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Georgs Purschenstein

Was geschah hier im Mai 1945?

Schloss Purschenstein; Neuhausen (Erzgebirge), 2023
Schloss Purschenstein; Neuhausen (Erzgebirge), 2023

 

Seit Sigfrid von Schönberg im Jahr 1429 in den Besitz der einst von Ritter Borso um 1200 erbauten Burg Purschenstein (Borsostein) gelangte, gehörte das Anwesen der mächtigen sächsischen Familie von Schönberg. Über fünfhundert Jahre blieb das so, Generationen kleiner von Schönbergs wurden hier geboren, wuchsen auf, übernahmen die Verantwortung für ihren Besitz. Diese lange Schönbergsche Epoche endete abrupt im Jahr 1945. Deutschland war von den Alliierten besiegt worden, der Zweite Weltkrieg endete.

 

Schloss Purschenstein steht in Neuhausen, Sachsen, wo im Mai 1945 die Rote Armee einmarschierte.

 

Schloss Purschenstein, um 1920 / Ansichtskarte (www.buchfreund.de)
Schloss Purschenstein, um 1920 / Ansichtskarte (www.buchfreund.de)

 

Letzten Samstag waren wir mal wieder am Schloss Purschenstein unterwegs; eine gute Gelegenheit zur Erinnerung an Vergangenes an diesem Ort. Heute ein Hotel; nach der Enteignung 1945 Kinderheim, Parteischule, Kulturhaus, Restaurant, Museum. Wer Lust hat, stöbert in Bildern und Geschichte (n) unserer früheren Besuche, z. B. HIER. Und HIER.

 

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Letzter adliger Besitzer von Schloss Purschenstein: Georg von Schönberg (15. Oktober 1875 – 10. Januar 1956) / http://familie-von-schoenberg.de/
Letzter adliger Besitzer von Schloss Purschenstein: Georg von Schönberg (15. Oktober 1875 – 10. Januar 1956) / http://familie-von-schoenberg.de/

 

Zu der Zeit lebte Georg von Schönberg, fast siebzigjährig, auf dem Schloss der Familie. Sein Bruder Hans, selbst Besitzer des Schlosses Reichstädt nahe Dippoldiswalde, war mit Frau Margarete auf der Flucht und landete für kurze Zeit auf Purschenstein. Was damals auf Purschenstein geschah, berichtet Hans von Schönberg im "Schicksalsbuch des Sächsisch-Thüringischen Adels" (Verlag C. A. Starke, Limburg, 1994) auf den Seiten 364/365. Wer am Geschick von Hans, Margarete und ihrem Schloss Reichstädt Anteil nimmt, der erinnert sich HIER.

 

Im Schlosshof
Im Schlosshof

 

"Anfang Mai hörte man den ersten Kanonendonner bei uns, und am 6. Mai 1945 vernahmen wir, dass die Rote Armee die Elbe überschritten habe. Wir waren zunächst entschlossen zu bleiben und unser geliebtes Reichstädt nicht zu verlassen. Doch am Nachmittag des 6. Mai wurde das Schloss für den Kommandeur einer SS-Panzerdivision und seinen Gefechtsstand requiriert. In deren Gesellschaft wollten wir nicht in die Hände der Sowjets fallen. So packten meine Frau und ich die ganze Nacht unsere notwendigsten Habseligkeiten zusammen, verluden sie auf einen Planwagen und verliessen Reichstädt um 3.30 Uhr am 7. Mai 1945 zusammen mit unserer Gärtnerfamilie, ebenfalls mit einem Wagen.

 

Wir wollten versuchen, die amerikanische Front zu erreichen. Wir fuhren in Richtung Altenburg, kamen aber nur bis Nassau, wo wir unter russischem Artilleriefeuer in einen Strom von flüchtenden Heeres- und Arbeitsdiensteinheiten gerieten. Es war ein beschämendes Bild, wie alles lief und flüchtete, Offiziere und Mannschaften auf allen nur denkbaren Fahrzeugen. Wir wurden mit dem Strom mitgerissen und konnten uns erst in Seyda wieder freimachen und fuhren nun nicht mehr wie beabsichtigt Richtung Olbernhau, sondern nach Purschenstein zu meinem Bruder. Dort hat es Gott gnädig mit uns gemeint, denn gerade hatten wir unsere Pferde in den Stall gebracht, da kamen die Tiefflieger. Wir übernachteten in Purschenstein mit der Absicht, am nächsten Morgen möglichst früh in Richtung Süden bis ins Gebirge und dort dann nach Westen weiterzufahren. Doch gegen 5 Uhr waren die Russen in Purschenstein und ihre Kolonnen befuhren die Strasse nach Süden. So blieb uns nichts übrig, als in Purschenstein zu bleiben."

 

 

"Wir erlebten dort einen scheusslichen Tag und eine fürchterliche Nacht. Die Russen hatten bei der Durchsuchung des Hauses zwei Pistolen und etwas Jagdmunition gefunden, obwohl meine Frau und ich eine Pistole und ganze Pakete Jagdmunition im Klo (kein WC) versenkt hatten. Was die Russen besonders interessierte, war der gefüllte Weinkeller. Ganz besonders schlimm war, dass ein deutscher General, der dort einquartiert gewesen war, seine Uniform nebst geladener Pistole zurückgelassen hatte, als er in Zivil geflohen war. Eine unverantwortliche Rücksichtslosigkeit gegenüber seinen Gastgebern, die er damit in höchste Gefahr brachte. Wir wurden dauernd verhört, mit Erschiessen bedroht und geschlagen. Es war wenig erfreulich! Am Nachmittag konnte ich Margarete, meine Frau, vor Behelligung von einem Russen retten. Nachts hatten wir uns – etwa 24 Personen – in zwei Fremdenzimmer auf allen möglichen Lagerstätten zur Ruhe begeben, als sehr bald eine Anzahl Russen erschien, die Türe eintrat, die Koffer aufschnitten und ausplünderten und schliesslich die Frauen und Mädchen in fürchterlicher Weise drangsalierten und vergewaltigten. Die Männer konnten gar nichts machen, da sie dauernd mit Erschiessen bedroht wurden. Meine Frau konnte ich wunderbarerweise so verstecken, dass sie unbehelligt blieb."

 

 

 

"Nach einem Vormittag, der mit Verhören und Schikanen ausgefüllt war, entschlossen wir uns, Purschenstein zu verlassen und nach Reichstädt zurückzuwandern. Mein Bruder Horst war mit der Generalsuniform verschleppt worden.

 

Als gegen Mittag der Hof einmal ganz frei von Russen war, machten wir uns auf den Weg, mussten allerdings alles zurücklassen und gingen wie wir waren, ohne Rucksack und ohne jede Verpflegung los. Zunächst begegneten wir keinem Russen, erst als wir in Bienenmühle auf die Staatsstrasse kamen, war diese dicht befahren von russischen Kolonnen."

 

 

 

Hans und Margarete schafften es heraus aus der russischen Besatzungszone und ließen sich nahe Unna im östlichen Ruhrgebiet nieder.

 

Georg von Schönberg, der letzte Schönberg im Besitz von Schloss Purschenstein, hatte keine Nachkommen. Deshalb gründete er noch zu seinen Lebzeiten eine Familienstiftung, welche Schloss und Forstbetrieb erben sollte - doch die spätere Bodenreform machte das zunichte.

 

Wie es Georg nach 1945 erging, auf welche Weise er sein Schloss verließ und wohin der Mann dann gelangte - das weiß ich nicht. Nur, dass er achtzigjährig im Jahr 1956 gestorben ist. Einiges vom Purschensteiner Inventar aus Georgs Nachlass ist heute auf Schloss Nossen in einer Dauerausstellung zu sehen.

 

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Heute, wo auch Georg von Schönberg seit mehr als einem halben Jahrhundert tot ist, kennt wahrscheinlich niemand mehr dessen Lieblingsplätze im Schlosspark; seine Verstecke der Kinderzeit, die heimlichen Orte der Jugend und diejenigen, welche der Erwachsene aufsuchte, wenn er einfach mal seine Ruhe haben wollte....

 

Ein schöner Platz: auf der Insel im Schlossteich
Ein schöner Platz: auf der Insel im Schlossteich