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"Nutzet die Zeit, sie eilet dahin."

Im Schlosspark Purschenstein

 

"Nutzet die Zeit, sie eilet dahin."

 

Das steht auf der Sonnenuhr von Schloss Purschenstein in Neuhausen. Die Uhr sieht man vom Schlosshof aus. Ermahnungen zur Zeit gibt es ja genug.

 

Vom allseits bekannten "Carpe diem." (Nutze den Tag.) über das fast warnende "Hora ruit." (Die Stunde enteilt.) bis hin zu den weniger klassisch gesprochenen Worten: "Ich hab' nicht den ganzen Tag Zeit." oder der freundlichen Aufforderung: "Wenns geht, heute noch." Schon als Kinder lernen wir, das Trödeln und Träumen als negativ gelten und zielsicheres Ableisten eines Tagesablaufs alles ist, alles sein soll. "Trödelliese" und "Träumer" genannt zu werden - das sind keine Auszeichnungen.

 

Wir streifen durch den wunderschönen oberen Schlossgarten und erkunden endlich auch den Park mit den Teichen weiter unten. Dort gibt es eine kleine Insel mit einer einzigen Bank drauf. Da müssen wir hin. Hier auf Schloss Purschenstein waren wir im Frühling schon mal, damals gabs auch paar Infos zur Schlossgeschichte, nachzulesen gleich hier hinterm Button. Die Insel war damals besetzt, aber heute erobern wir sie.

 

 

Während die Sonne auf dem Wasser der Teiche und in den Baumkronen blinkert,  machen wir uns ein paar Gedanken zu dem, was die Uhr uns gesagt hat. Über die Zeit und deren Nutzung. 

 

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Was ist Zeit? Eine Abfolge von Ereignissen in unveränderlicher Reihenfolge, sagt uns die Physik. Die Jahreszeiten zum Beispiel. Und was, wenn es gar keine Ereignisse gibt? Gibt es dann auch keine Zeit? Knifflig.

 

Effektivität bedeutet, die richtigen Dinge zu tun. Effizienz bedeutet, die richtigen Dinge in möglichst kurzer Zeit hinzukriegen.

 

Eine effiziente Person ist also gut organisiert, hat alles im Griff, nutzt auch Zwischenzeiten optimal, ist konzentriert, aufmerksam, gut vorbereitet und möglichst auch noch bestens gelaunt und frisch. Also eigentlich ekelhaft, oder?

 

Aufgrund eigener Unperfektion stören mich solche Menschen manchmal ein wenig. Ich möchte insgeheim etwas tun, um ihren Zeitplan durcheinanderzubringen, dieses ganze Konstrukt zu stören, etwas Unordnung in diese Geradheit zu bringen. So wie diese super sauber aus dem Ei gepellten kleinen Sonntagsmädchen mit weißen Kniestrümpfen, ordentlicher Frisur und sauberem Kleid. Die gab es in meiner Kinderzeit durchaus.

 

Nur ich war nicht so. Immer hatte ich aufgeschlagene Knie, was schlecht zu Röckchen und Kniestrümpfen aussah. Meine Haare waren wild und mein Dasein insgesamt weniger elegant als das der Sonntagsmädchen. Einerseits gefielen sie mir und ich wollte auch so sein. Andererseits verabscheute ich dieses Glattgeleckte immer schon und hatte ab und zu Lust, sie in den Dreck zu schubsen.

 

"Nichtstun führt oft zum allerbesten Irgendwas." sagt Pu, der Bär. Und wie an all seinen bärigen Bonmots ist auch hier was dran.

 

Sich nicht unter Druck setzen, dahintreiben, träumen, trödeln, spinnen - das kann auch was bringen. Neue Ideen zum Beispiel.

 

 

Ausschnitt Sonnenuhr Purschenstein "Nutzet die Zeit, sie eilet dahin." (Ganzes Foto folgt weiter unten)
Ausschnitt Sonnenuhr Purschenstein "Nutzet die Zeit, sie eilet dahin." (Ganzes Foto folgt weiter unten)

 

Alles weist uns darauf hin, dass die eigene Zeit begrenzt ist. Dass wir sie nicht unbeachtet vorbeigehen lassen sollen, sondern sinnvoll nutzen. Man sagt auch, dass es "nie zu spät" sei. Damit ist gemeint, dass sich in vielen Lebenslagen etwas Gutes gestalten lässt. Man kann sich auch im Alter verlieben oder eine ganz neue und erfüllende Lebensweise finden. Vielleicht besser, als man es vorher je hatte.

 

Bestimmte Dinge lassen sich aber nicht nachholen. Bedauert man beispielsweise mit Mitte sechzig, keine eigenen Kinder zu haben, so ist das, zumindest für Frauen, nun nicht mehr möglich. Man kann aber auch da Wege finden. Sich um vorhandene Kinder kümmern, die einen brauchen. Ehrenamtlich in der Diakonie zum Beispiel oder in erweiterter Familie oder Nachbarschaft. 

 

Charlie Brown und Snoopy (www.pinterest.com)
Charlie Brown und Snoopy (www.pinterest.com)

 

Hat man beruflich Zeit in den Sand gesetzt, nichts oder nur wenig getan, um etwas zu lernen und voranzukommen, dann lässt sich das auch ändern. Immer. Man muss es wollen und ich sage nicht, dass es leicht ist. Sicher schafft das nicht jeder. Ein wenig Glück gehört auch immer dazu - wie bei allem.

 

Ich weiß von einem Mann, der sich nach Jahren der Alkoholabhängigkeit endlich zum Entzug entschloss und - den auch schaffte. Eine harte Zeit.

 

 

Nach Monaten der Therapie und des wiederkehrenden Seins und Bewußtseins wollte der Mann  etwas Sinnvolles machen aus seinem Leben. Er fand diesen Sinn in einer Erzieherausbildung, die er suchte, fand, machte und auch abschloss. Auch da unkten Leute wie immer: "Du, in Deinem Alter - Dich nimmt eh keiner mehr."

 

Und er? Hat drauf gepfiffen und es trotzdem gemacht.

 

Das ist erst zwei Jahre her. Heute ist er vierundfünfzig Jahre alt und arbeitet in einer Wohngruppe für Jugendliche, die als "schwierig" gelten. Und hier ist dieser Mann natürlich genau der Richtige. Er hat Erfahrung in diesem Leben, vorrangig nicht die gutartigen - sondern eher das Dunkle. Der ist nicht mit Drogen, Alkohol, Kriminalität und persönlichem Absturz zu erschrecken. Hat er alles schon gesehn. Und kann zuhören, verstehen, raten und helfen - auf Augenhöhe. Vor ihm braucht man sich auch nicht zu schämen. Wegen gar nichts. Außer dem Aufgeben natürlich ...

 

Er weiß, wie es sich anfühlt, wenn man am Boden liegt, keiner an einen glaubt und man total durch ist. Wenn man sich immer wieder als genau der Versager erweist, für den einen sowieso schon alle halten. Und er hat auch erfahren, wie man aufsteht und sich behauptet. Den Kampf aufnimmt, so oft verliert und doch am Ende gewinnen kann.

 

Und das auch dieses Ende nie das Ende ist.

 

 

Zierknauf der großen Teichbrücke
Zierknauf der großen Teichbrücke

 

Das gibt Kraft. Das macht stolz. Das zeigt einem selbst, dass die Möglichkeiten zur Veränderung immer da sind, nie alle werden. Und das kann jemand, der das selbst erlebt hat, viel besser vermitteln als einer ohne solche Erfahrung. Damit will ich nicht sagen, dass jeder gute Erzieher oder Sozialarbeiter erst selbst abhängig oder kriminell gewesen sein muss. Aber auch diese finsteren Erfahrungen können helfen, etwas Neues später besonders gut zu können: zu verstehen, zu verzeihen, geduldig und manchmal hart zu sein - das alles auszuhalten.

 

Zu wissen, das es immer irgendwie weitergeht und man meistens an einem anderen Tag stirbt. Nicht heute. Auch, wenn es sich manchmal so anfühlt.

 

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Was, so fragst Du Dich vielleicht, hat das denn jetzt alles mit der Sonnenuhr von Purschenstein zu tun? Ganz einfach: Die Zeit lässt sich immer nutzen, das ist der große Trost. Auch wenn wir wissen, das sie für uns endlich ist.

 

 

Die alte Uhr hat recht. Und Pu, der Bär - ja, der auch.

 

Schlossportal Purschenstein
Schlossportal Purschenstein

 

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Und weil es hier so gut passt, folgt das Lied "Busy doing nothing" aus dem Film "Christopher Robin". Vielleicht willst Du heute auch noch ein bisschen nichts tun? Oder in den nächsten Tagen mal nach Purschenstein fahren? Vielleicht auch endlich "Christopher Robin", einen tollen Film von 2018 mit Ewan McGregor, anschauen... Ich sage Dir, das ist ein Film nicht nur für Kinder. Denn er enthält für uns alle viel Weisheit. Streaming bei Amazon; Trailer in der Täter-Mediathek HIER.