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In Wolkenburg (3)

Das Ende der Ära der Grafen von Einsiedel in Wolkenburg - 1945

Helene Theresie Gräfin von Einsiedel-Wolkenburg, geb. Keysselitz (1852 - 1907) / Gemälde von Julius Scholtz, 1874, Kunstsammlungen Chemnitz
Helene Theresie Gräfin von Einsiedel-Wolkenburg, geb. Keysselitz (1852 - 1907) / Gemälde von Julius Scholtz, 1874, Kunstsammlungen Chemnitz

 

Das Jahr 1945 war ein Schicksalsjahr für Europa und damit auch für das kleine Wolkenburg an der Zwickauer Mulde.

 

Der Zweite Weltkrieg endete im Mai; die Alliierten besetzten das besiegte Deutschland. Millionen von Bewohnern der deutschen Ostgebiete flohen oder wurden vertrieben; zogen westwärts. Man fürchtete die Russen und versuchte, in die von den Westalliierten kontrollierten Landesteile zu kommen. Auch Adlige verließen ihren riesigen Güter in Ostpreußen und Pommern. Später auch Adelsfamilien aus Sachsen, Thüringen, Brandenburg und Mecklenburg.

 

Wolkenburg wurde erst von den Amerikanern, dann von den Russen besetzt. Die von Einsiedels wohnten noch auf dem Schloss.

 

Schloss Wolkenburg (www.tag24.de/nachrichten/regionales/sachsen/zwickau/schloss-wolkenburg-zeigt-seine-adlige-vergangenheit-2375206)
Schloss Wolkenburg (www.tag24.de/nachrichten/regionales/sachsen/zwickau/schloss-wolkenburg-zeigt-seine-adlige-vergangenheit-2375206)

 

Zwei Staaten sollten später auf deutschem Boden entstehen: die BRD und die DDR. Die DDR ging aus der russischen Besatzungszone hervor. Hier etablierte sich ein sozialistisches System, worin für den Adel und seine Herrensitze kein Platz war. Dass die Burgen, Schlösser und Rittergutshäuser fast immer auch wirtschaftliche Betriebe waren, die Benötigtes produzierten - z. B. Getreide, Fleisch, Ziegel, Bier oder was auch immer - das darf man nicht vergessen. Auch nicht, dass es hier Arbeit, Brot und im Notfall auch Hilfe für viele Menschen gab. Und Kultur und Traditionen gepflegt wurden - über Jahrhunderte. 

 

Jetzt, nach Kriegsende, vertrieb man die Barone und Gräfinnen aus ihren herrschaftlichen Häusern. "Junkerland in Bauernhand" war deutlich. Oft wurde geplündert und zerstört. Wertvolles ging in den Wirren dieser Zeit verloren, aber einiges konnte erhalten und so manches auch wiedergefunden werden.

 

 

Wie erging es Schloss Wolkenburg im Jahr 1945?

 

Plakat der KPD, 1945
Plakat der KPD, 1945

 

Fery Graf von Einsiedel auf Wolkenburg, geboren im Jahr 1910, war der letzte adelige Besitzer von Schloss Wolkenburg und der dazugehörigen Ländereien und Wirtschaftseinheiten: Felder, Wälder, Gärten, Mühlen, kleinere Betriebe und - das Parkrestaurant; Du erinnerst Dich?

 

Kurz vor Weihnachten 1945 mussten Graf Fery, seine beiden kleinen Kinder und seine Mutter Gräfin Katharina Schloss Wolkenburg verlassen. 

 

Kurzfristig setzte man jetzt die vier vor die Tür, nur mit etwas Gepäck, was jeder tragen konnte. Fery war im Krieg schwer verwundet worden und ging nun mit einem Beinstumpf an Krücken. Nur mit einem Rucksack verließ er sein Haus, worin seine Vorfahren ungefähr dreihundert Jahre gelebt hatten. Er war zu diesem Zeitpunkt fünfunddreißig Jahre alt, geschieden, konnte wenig tun für seine Mutter und seine Kinder.

 

 

Schloss Wolkenburg, 2023
Schloss Wolkenburg, 2023

 

Historischer Hintergrund ist die sogenannte „Bodenreform“: Im September 1945 enteignete man in der russischen Besatzungszone viele Großagrarier, Adlige, aber auch Industrielle. Erstens gab es die Enteignungen nach dem Bodenreform-Gesetz, die landwirtschaftliche Güter betraf, die größer waren als 100 Hektar. Und dann gab es Sonder-Befehle der Sowjetischen Militäradministration (SMAD), die sich gegen Kriegsverbrecher, Adlige oder sonstige missliebige Personen richtete, die man ebenfalls vertrieb und deren Besitz einkassierte. Allein in Sachsen wurden 1.200 Herrensitze und Schlösser verstaatlicht; 12.000 Personen enteignet (Zahlen-Quelle: HIER).

 

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Zurück zu Graf Fery von Einsiedel und seiner Familie zum Jahresende 1945. Die Kinder brachte man bei Verwandten unter; Katharina fand Zuflucht in verschiedenen Pfarrhäusern und durfte sich nach einem Jahr in der Stadt Altenburg niederlassen. Fery bat bei dem einflussreichen Wilhelm Pieck, KPD-Funktionär und später erster (und einziger) Präsident der DDR, darum, wenigstens das zum früheren Schlossbesitz gehörende Parkrestaurant betreiben zu dürfen und damit seine Familie durchzubringen - umsonst. Er durfte es nicht.

 

 

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Das Parkrestaurant gehört heute zur Gemeindeverwaltung.
Das Parkrestaurant gehört heute zur Gemeindeverwaltung.

 

Über Graf Ferys späteres Leben erfahren wir, dass er Schwierigkeiten hatte, Arbeit zu finden und eine Zeitlang im Westen, wohin er geflohen war, von Sozialhilfe lebte. Man kann sich denken, wie es dem Kriegsversehrten und Enteigneten ging.  Dann arbeitete der Mann bei einer kleinen bayrischen Zeitung als Korrektor, verdiente wenig. Im Jahr 1947 heiratete der Graf in Straubing das zweite Mal, eine Frau namens Rosemarie Thiele. Ob das Paar Ferys Kinder aus erster Ehe zu sich holte, weiß ich nicht. Aus Rosemarie Thiele wurde Roma Gräfin von Einsiedel-Wolkenburg. Ihr verdanken wir den Bericht über die Geschehnisse in Wolkenburg 1945 und danach; im "Schicksalsbuch des sächsisch-thüringischen Adels" ist er gedruckt worden. 

 

Schloss Wolkenburg war mittlerweile geplündert worden. Es wird berichtet, dass nicht die Wolkenburger Einwohner sich dazu hergaben, sondern fremde Personen dafür extra gebracht worden waren. Wertvolles Porzellan schmiss man den Burgfelsen hinunter; historische Papiere und Bücher wurden verbrannt oder verschleppt. Auch dem Inventar insgesamt ging es nicht besser. Einiges aber wurde gerettet und versteckt, um viel später wieder an seinen alten Platz zurückzukehren.

 

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Das werden wir im Frühjahr 2023 sehen, wenn wir zur  Besichtigung in das Schloss hinein dürfen. Wenn man diese Dinge weiß, dann guckt man doch mit anderen Augen darauf.

 

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Nach der Plünderung kam man irgendwann wieder zur Besinnung. Wohnungen und Unterrichtsräume wurden im Schloss eingerichtet. Eine katholische Gemeinde nutzte einen Raum für ihre Gottesdienste. Viele Leute gingen ein und aus, taten ihre Arbeit, dachten sich ihren Teil, fanden ein neues zu Hause. Glaubten teilweise sicher auch an eine bessere Zukunft, den neuen Staat, eine gerechtere Gesellschaftsordnung.

 

 

Das Leben ging weiter. Irgendwie. Überall.

 

Blick zum Schloss Wolkenburg über die Zwickauer Mulde
Blick zum Schloss Wolkenburg über die Zwickauer Mulde

 

Graf Fery starb 1983, sicher nicht mehr in Armut - der enteignete Adel hatte in der BRD meistens Entschädigungszahlungen erhalten; damit konnte ein wirtschaftlicher Neubeginn gelingen. Die alte Heimat aber vermissten sicher viele von ihnen ein Leben lang.

 

Herrn Fery von Einsiedels Witwe Roma gelang es, die Urne in die DDR zu überführen und in der alten Schlosskirche (Kapelle auf dem Friedhof) bestatten zu lassen. Sicher war das ein letzter Wunsch des Verstorbenen.

 

Die alte Kirche auf dem Wolkenburger Friedhof. Darin befand sich die Familiengruft der Grafen von Einsiedel-Wolkenburg.
Die alte Kirche auf dem Wolkenburger Friedhof. Darin befand sich die Familiengruft der Grafen von Einsiedel-Wolkenburg.

 

1985 ereignete sich dann Seltsames: die Gruft der Grafen von Einsiedel in Wolkenburg wurde geöffnet. Man holte die alten Särge und Urnen heraus; verscharrte sie draußen an der Kirchenmauer, ohne Stein und sonst etwas. Lange erregte dort ein liebloser Erdhaufen Ärgernis, bis 1991 endlich dessen Einebnung erfolgte und wenigstens eine kleine Steintafel an der Kirchenmauer befestigt wurde.

 

Wahrscheinlich tat man das nun endlich, weil ein Besuch von Gräfin Roma bevorstand - so vermutete sie selbst.

 

 

Aber auch Positives gelang. Dirk-Hildebrand Gert von Einsiedel, 1940 in Wolkenburg geboren, war eines der beiden Kinder, die 1945 aus Schloss Wolkenburg vertrieben wurden. Fünf Jahre alt war er damals. Er besuchte das Schloss seiner Vorfahren erst kürzlich, im Jahr 2019, anläßlich einer Gemäldeübergabe. Verschwundenes kehrte also zurück.

 

Wir können es heute wieder bewundern (Quelle HIER).

 

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In diesem Jahr ab Ende März 2023.

 

 

Wappen derer von Einsiedel / https://de.m.wikipedia.org/wiki/Einsiedel_(Adelsgeschlecht)
Wappen derer von Einsiedel / https://de.m.wikipedia.org/wiki/Einsiedel_(Adelsgeschlecht)