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Wieviele Menschen in ein Land passen

Keine Panik, nur Theorie

https://de.1jux.net/270163
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In 2008 wurde im Auftrag der EU durch die Beraterfirmen Ramboll und EurAsylum eine Studie erstellt.

 

Sie heißt "Studie über die Machbarkeit der Einrichtung eines Mechanismus für die Umsiedlung von Begünstigten des internationalen Schutzes". Wer öfter mit EU-Schriftstücken zu tun hat, wird diesen Titel noch als recht knackig empfinden.

 

Es handelt sich also um eine Machbarkeitsstudie, die eine Entscheidungsgrundlage für später liefern soll. Hier werden Fakten und Zusammenhänge betrachtet, Zustände simuliert. Es geht ausdrücklich nicht um die Umsetzung, sondern um die Vorbereitung einer Entscheidung, ob oder ob nicht - wenn nein, was dann? Und wenn ja, wie.

 

Diese Studie beschäftigt sich mit Migration und Asyl, mit der Verteilung der nichteuropäischen Einwanderer im EU-Raum. Dafür simulierte und betrachtete man verschiedene Szenarien.

 

Nun ist klar, dass eine Machbarkeitsstudie kein "Montageplan" ist. Informationen und Denkmodelle kann man über alles Mögliche zusammentragen, ohne eine Umsetzung bereits im Blick zu haben.

 

***

 

2008 ist schon etwas länger her. Damals hat man noch nicht gewusst, was im August 2015 in Europa, in Deutschland, passieren wird. Jetzt, nachdem unser Land allein in 2015 über eine Million Menschen und in den Folgejahren jährlich Migranten im sechsstelligen Bereich aufgenommen hat, spüren wir die Auswirkungen deutlich, sind manche europäische Bürger insgesamt etwas hellhöriger als früher beim Thema Einwanderung. Denn man hat in den letzten Jahren erlebt, was man (also zumindest ich) nicht für möglich hielt. Kontrollverlust und Versagen der staatlichen Autorität, und das mit einem Schulterzucken der Verantwortlichen.

 

Dazu kommt, dass die EU nicht gerade durch gute Kommunikation mit ihren Bürgern auffällt. Für mich verhält sie sich in den letzten Jahren zunehmend unseriös. Hinterzimmerpolitik, gemacht von EU-Funktionären und hofiert von einem Teil der Vertreter ihrer EU-Mitgliedstaaten. Abgehobene, realitätsferne Elitenpolitik. Deutschland vorneweg.

 

Dabei wird, getreu der "Unsichtbare-Elefant-Strategie" des ehemaligen EU-Kommissionspräsidenten Jean Claude Juncker, auf Transparenz des eigenen Tuns, auf Kommunikation mit der europäischen Bevölkerung kein Wert gelegt. Man zieht durch, was man für richtig hält und sagt dann, wenn nichts mehr zu ändern ist: "Nu isses halt so.". Wahrscheinlich sieht man, ähnlich wie Frau Merkel, bestimmte Dinge als alternativlos an. Augen zu und durch. Fehlerdiskussionen gibt es auch im Nachhinein, wenn etwas gründlich schief ging, nicht. Fehlentscheidungen werden nicht zugegeben und weitreichende Korrekturen nicht gemacht. Die das kritisieren, werden nicht respektiert.

 

Immer fester bindet man die Mitgliedstaaten zusammen. Alternativlos? Wir werden sehen.

 

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Mich wundert es nicht, dass z. B. Großbritannien aus der EU ausgetreten ist und auch andere Mitgliedstaaten wackeln. Wäre ich zum Beispiel Grieche und vielleicht Inselbewohner von Lesbos, dann hätte ich eine Riesenwut auf die Zerstörerin meines Lebensraums, die EU. Denn die ist verantwortlich für die bürgerkriegsähnlichen Zustände auf den so schönen griechischen Inseln seit einigen Jahren. Und nicht nur dort.

 

Nun will ich die Umstände in Deutschland wirklich nicht mit denen auf Lesbos vergleichen. Doch wer in Ländern wie Tschechien, Polen oder Ungarn unterwegs ist - dienstlich oder privat - dem fällt auch ohne größere Aufmerksamkeit der Unterschied zu westdeutschen Städten und Gemeinden auf. In diesen selbstbewußten Nationalstaaten braucht man keine Betonpoller vor (Weihnachts)märkten, keine "Frauenschutzzonen" bei Großveranstaltungen, keine verstärkte polizeiliche Überwachung des öffentlichen Raums wegen steigender Gewalt- und Drogenkriminalität durch Menschen aus anderen Kulturkreisen. Schön eigentlich. 

 

Die Art und Weise des Umgangs miteinander, die Rechthaberei einiger EU-Mitglieder gegenüber anderen - unterträglich. Auch kommt mir das ganze Konstrukt EU, je starrer, selbstherrlicher und bürgerferner es wird, zunehmend arrogant vor. Man bemüht sich immer weniger, den Schein zu wahren. Die Aktion mit der unbekannten Bürgerplattform in Vorbereitung des neuen Asylpaktes ist nur ein winziges Beispiel. Darüber berichtete die Täterwerkstatt am 25.08.2020, HIER

 

Was durch eine Union, die eigentlich für Europa arbeiten, Mitgliedsstaaten und deren Bürger fördern und schützen sollte - was durch dieses Konstrukt aktuell gemacht wird, das entspricht nicht den gemeinsamen Grundsätzen, mit denen die EU nach dem zweiten Weltkrieg gegründet wurde: Frieden erhalten in Europa, gemeinsam leben und wachsen, dabei Eigenes bewahren. Heute wundert man sich auch nicht mehr darüber, dass die EU des öfteren gegen ihre eigenen Regeln und Gesetze verstößt. Zum Beispiel die Vergemeinschaftung von Schulden und den Umgang bei der Verteilung von Migranten. Durch diese Entwicklung der EU, durch ihr Tun und ihr Auftreten, sind viele Bürger misstrauisch und ablehnend geworden. Ich auch. Das will was heißen, denn ich war viele Jahre lang ein großer EU-Fan und Befürworter der europäischen Idee.

 

Aber jetzt gehts mir mit dieser europäischen Idee so wie mit der Kirche als Institution: Europa hat mit der EU genauso viel zu tun wie die Kirche mit wahrem Glauben. Also wenig bis nichts.

 

Und so gucke ich auf diese Studie zur Verteilung von Flüchtlingen von 2008 und kann einen negativen Eindruck nicht leugnen. Es erscheint so, wie wenn man in einer komfortablen, geräumigen Wohnung lebt. Und dann kommt der Vermieter, misst Deine Räume aus und sagt Dir: "Hier passen theoretisch zusätzlich zu Ihrer Familie noch 35 Personen rein. Aber machen Sie sich keinen Kopf - das ist alles nur Theorie. Ich erfasse es nur mal so, für die Statistik....".

 

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Was hat das mit unserer EU-Studie zu tun?

 

Ein Teil der Studie beschäftigt sich damit, wieviele fremde Menschen denn von den Einzelstaaten Europas aufgenommen werden könnten. Dabei betrachtet man, rein theoretisch, die aktuelle Einwohnerzahl in Personen und die Fläche des Landes in Quadratkilometern. Dann stellt man die Bevölkerungsdichte fest und berechnet, wieviele Leute eigentlich in das Land reinpassen würden. Als Schmerzgrenze nimmt man dabei eine durchschnittliche Bevölkerungsdichte von 1000 Einwohnern pro Quadratkilometer an. Diese Einwohnerdichte hat z. B. eine Stadt wie Saarbrücken.

 

Was kommt dabei heraus?

 

Deutschland hatte in 2008 ca. 82 Millionen Einwohner (heute sind es schon weit über 83 Millionen) und eine Einwohnerdichte von 231 Einwohnern pro Quadratkilometer. Laut EU-Studie passen reichlich zusätzlich 274 Millionen hier rein; das sind mehr als dreimal soviele Leute wie aktuell.

 

Ungarn könnte man demnach von 10 Millionen Einwohnern mit knapp 83 Millionen auffüllen - da höre ich Herrn Orbán schon laut schallend lachen.

 

Wie gesagt, es ist nur eine Machbarkeitsstudie. Eine theoretische Überlegung zu bestimmten Sachverhalten. Trotzdem ist mein derzeitiges Vertrauen in das Handeln unserer Regierenden auf nationaler und europäischer Ebene leider so gering, dass mich diese (wenn auch theoretischen) Zahlen nicht hoffnungsvoll stimmen.

 

Im Anhang / Annex C aus Seite 1-16 finden wir Tabelle 12. Hier können wir uns die Flächengröße der EU-Länder, deren Einwohnerzahl in 2008, die dazugehörige Bevölkerungsdichte angucken. Am Ende steht dann die Aufnahmekapazität. Die Zahl an Menschen, die bei Bevölkerungsdichte 1000 zusätzlich ins Land passen. Einmal als Richtwert und einmal als bereinigter Wert. "Bereinigt" ist nur Malta, weil hier die Bevölkerungsdichte schon über 1000 liegt, es ist also "voll". Die anderen Staaten können nach dieser Theorie eine Menschenmenge bis zur Richtwertgröße aufnehmen.

 

 

Theoretische Aufnahmekapazität an "Personen" pro Land (Spalte 1: Staatsgebiet in km2, Spalte 2: Einwohnerzahl 2008, Spalte 3: Bevölkerungsdichte 2008, Spalte 4:  Aufnahmekapazität bei Bevölkerungsdichte 1000), Studie "Final report reloc. of ref."
Theoretische Aufnahmekapazität an "Personen" pro Land (Spalte 1: Staatsgebiet in km2, Spalte 2: Einwohnerzahl 2008, Spalte 3: Bevölkerungsdichte 2008, Spalte 4: Aufnahmekapazität bei Bevölkerungsdichte 1000), Studie "Final report reloc. of ref."

 

Guckt man sich die Statements der EU-Bürgerbeteiligung zum Thema Asyl- und Migrationspakt an (HIER), so wird die derzeitige Politik von den Kommentatoren auf diesem mittlerweile geschlossenen Portal (ich bin dabei einer von 1829 Leuten) strikt abgelehnt. Geht darauf irgend jemand mal ein? Ja, Frau Merkel. Mit der Aufnahme zusätzlicher Migranten. Will heißen, der Willen der Bürger interessiert sie sowieso nicht. 

 

Sehr schade, traurig und schlecht für die Zukunft Europas.

 

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Ich weiß nicht, ob Walter Ulbricht vor 1961 eine Studie zum Thema Mauerbau in Auftrag gab. Falls doch, hätte man sich als deutscher Bürger vor dem 13. August 1961 wahrscheinlich auch gesagt, dass es sich hierbei um reine Theorie handele. Denn sowas könne ja wirklich niemand ernsthaft in die Tat umsetzen wollen, ein Volk einmauern. Und Ulbricht selber bekräftigte im Vorfeld, dass "niemand die Absicht habe, eine Mauer zu bauen."

 

Was dann gemacht wurde, wissen wir heute alle.

 

Vielleicht hat Ulbricht damals von Anfang an gelogen. Vielleicht glaubte er es auch selbst, was er da aussprach. Oder er sagte sich, was auch Ex-EU-Komissionspräsident Juncker 2011 äußerte: "Wenn es ernst wird, dann muss man lügen." (Quelle HIER).

 

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Rebecca Sommer, ehemalige UN-Mitarbeiterin, Filmemacherin, Flüchtlingshelferin, hast Du hier im Blog ja schon kennengelernt. Der Journalist Boris Reitschuster hat einen Artikel von ihr genau zu dieser Studie veröffentlicht. Du findest ihn gleich hier am Beitragsende.

 

Ebenso für Dich bereitgestellt die Originalstudie als pdf, denn die Verlinkungen funktionieren nicht zuverlässig. (Leider habe ich das Dokument nur in Englisch gefunden, 144 Seiten.)