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Jean Claude Juncker und der riesige Elefant

Auch so wird Politik gemacht

Bild: Copyright: ℗© 2019 Rafael Schlagl Adami
Bild: Copyright: ℗© 2019 Rafael Schlagl Adami

 

Der Politiker Jean Claude Juncker, gebürtiger Luxemburger, war von 2014 - 2019 der Vorsitzende der EU- Kommission. Er sagte mal etwas sehr Deutliches über den Politikstil in Brüssel:

 

"Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter - Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt." (Zitat Spiegel, 27. 12. 1999 "Die Brüsseler Republik", ganzer Artikel s. Button)

 

Jean Claude Juncker / www.consilium.eu
Jean Claude Juncker / www.consilium.eu

 

Projekte, die in der EU nach dieser Art betrieben wurden, sind zum Beispiel die Einführung der europäischen Gemeinschaftswährung, des Euro oder die EU-Migrationspolitik. Krass, oder ?

 

Diese Strategie heißt "Der Elefant im Raum". Im englischen Sprachgebrauch ist der "elefant in the room" eine übliche Metapher. Wir deutsch Sprechenden kennen das riesige Tier eher aus seiner folgenreichen und oft unabsichtlich verheerenden Tätigkeit in diversen Porzellanläden, was aber eine andere Grundsituation bezeichnet.

 

Mancher kennt sicher auch die Strategie des "Elefanten im Raum" aus eigener Erfahrung: Ein Riesenproblem existiert, ist allgegenwärtig. Aber alle Beteiligten tun so, als wäre es nicht da. Sie ignorieren diesen "Elefanten", weil sie sich nicht mit ihm beschäftigen wollen oder können. Das Problem ist einfach zu groß. Zu kompliziert, zu schmerzlich, zu gefährlich, zu erschreckend - zu anstrengend auch. 

 

Es kann ein Problem einer Familie sein, beispielsweise mit Sucht oder Missbrauch. Oder das eines Arbeitsteams in einer Firma, wenn immer mehr Leistung abgefordert wird. Oder in der Partnerschaft. Oder es ist die EU-Kommission, die betroffen ist.

 

Eines ist in allen Fällen gleich, wenn es eine Elefanten-Situation ist: die Augen werden fest geschlossen, das Problem verdrängt.

 

Das geht dann solange, bis erstens der Elefant randaliert und die Ignoranten verletzt. Oder er ist zweitens im Raum auf eine Größe angewachsen, die selbst bei geschlossenen Augen ein Leugnen seiner Existenz nicht mehr zulässt. Weil sich keiner der Anwesenden im Raum mit dem Tier mehr bewegen oder richtig atmen kann.

 

Oder drittens:  jemand, zum Beispiel Monsieur Juncker, ruft eines Tages: "Oh la, la - wen haben wir denn da? Was für ein riesiger Elefant - mon dieu. Na, was machen wir denn mit dem? Hier ist mein Plan.....". Und zack: jeder ist froh, dass jemand endlich einen Plan hat und sich des Elefanten annimmt. Denn alle haben vor dem Großen Angst, fühlen sich zumindest unbehaglich und können ihn nicht leiden. Den Elefanten. Das Problem.

 

Dann wird der Plan von Herrn Juncker so wie er ist bzw. mit nur kleinen Änderungen und wenig Widerspruch verabschiedet. Alle sind erleichtert, mancher ist leicht unzufrieden, aber das verliert sich bald. Juncker lächelt charmant und hat erreicht, was er wollte.

 

Und der große Elefant ? Hat tatsächlich den Raum verlassen, erst einmal.....

 

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Herr Juncker muss es wissen.

 

Er ist Sohn eines gewerkschaftlich aktiven Stahlarbeiters aus dem industriellen Süden Luxemburgs.

 

Sein ganzes Erwachsenenleben widmete Juncker sich der Politik. Er trat 1974 im Alter von 20 Jahren in die Christlich Soziale Volkspartei CSV ein, studierte Rechtswissenschaften und erhielt 1979 seine Zulassung als Anwalt. Danach startete er ins politische Leben, arbeitete als Staatssekretär und hatte in Luxemburg mehrere Ministerämter inne. Später wechselte er dann in die Europapolitik, war von 2005 - 2013 Präsident der Euro-Gruppe und danach Vorsitzender der EU-Kommission bis Herbst 2019. 

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Liest man diesen zwanzig Jahre alten Artikel des "Spiegel" heute, merkt man, wie sehr sich die deutsche Medienlandschaft seitdem gewandelt hat. So Kritisches, Offenes, Interessantes findet man heute nicht so oft, im "Spiegel" schon gar nicht. Wie die Meinungsvielfalt kleiner geworden und dem Mainstream gewichen ist!

 

Was uns damals normal vorkam, das finden wir heute äußerst bemerkenswert. 

 

Illustration: Wiebke Rauers (www.wiebkerauers.tumblr.com)
Illustration: Wiebke Rauers (www.wiebkerauers.tumblr.com)