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Hervorgeholt: Kuhweide statt Ostseestrand

Teil 1: Urlaub in H. - unlustiger Start in glückliche Zeit

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In einem längst vergangenen Sommer, ich war damals ca. elf Jahre alt, ereignete sich etwas Besonderes in unserer Familie. Daran erinnerte ich mich jetzt wieder, als es hier letztens um Ute und die Schwärme und Goethe ging.... - Du weißt schon: um das naheliegende Schöne. Also, pass auf.....

 

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Kurzfristig, den Grund weiß ich nicht mehr, fiel damals unser lange geplanter Ostsee-Urlaub ins Wasser, und das nur wenige Wochen vor der Abreise. Ferienplätze mussten organisiert werden, so einfach fuhr man damals als Familie nicht "ins Blaue". Mein Vater, ein einfallsreicher Optimist, kam eines Abends freudestrahlend zur Tür herein und verkündete, er habe ein neues Feriendomizil für uns gefunden. Ein Kollege, der dort selbst schon war, hatte es ihm angeboten. Noch war es frei.

 

Meine Mutter und ich freuten uns, baten meinen Vater, doch zu verraten, wo es denn nun sei. Er schien ein wenig unsicher und sprach: "Najaaa ..., an der Ostsee ist es jedenfalls ... nicht ....".

 

Meine Mutter guckte schon unlustig. Als großer Meeresfan freute sie sich immer besonders auf die jährlichen Besuche an den schönen Stränden in Zingst und Prerow oder am Bodstedter Bodden. Es waren aber nun auch nicht der Greifswalder Bodden oder die Müritz oder der Senftenberger See. Es gab wohl dieses Jahr gar kein größeres Gewässer dort, wo wir nun hinfahren würden: nämlich in ein Erzgebirgsdorf nahe der tschechischen Grenze. Ja. Ein Stück noch hinter der kleinen Stadt Frauenstein mit ihrer berühmten Burgruine lag es. Mein Vater beschrieb alles so blumig er konnte.

 

Meine Mutter war wenig erfreut über diese Aussichten; die bittere Enttäuschung war ihr anzusehen.  Für diese paar Kilometer lohne es sich ja nicht, da überhaupt hinzufahren. Urlaub könne man DAS ja wohl beim besten Willen nicht nennen, knurrte sie enttäuscht.

 

Ich dagegen sah DAS ganz anders. Mein Vater erzählte nun allerhand von unserem zukünftigen Urlaubsquartier, um es auch meiner Mutter schmackhaft zu machen. Nämlich, dass wir zwei Zimmer oben in einem Bauernhaus bekommen würden. Das Haus stehe auf einem großen Wiesengrundstück mit Garten am Bach. Die Leute, die in diesem Haus wohnten und unsere Gastgeber sein würden, hatten jede Menge Tiere: zwei Schweine, neun Kühe, mehrere Hühner plus Hahn, Enten, Katzen, ein Pferd. Das alles hatte ihm der ortskundige Kollege schon verraten. Nur ein Hund fehlte, aber den brachten wir ja schließlich selber mit. Damals war es Erko, unser Mittelschnauzer. Ich war total begeistert, denn in diesem Alter gab es für mich nichts Besseres als große und kleine Tiere, Wald und Feld. Und Steine. Tag für Tag wartete ich auf den Urlaubsbeginn.

 

Als es dann so weit war, fuhren wir los. Entspannt erreichten wir nach einer dreiviertelstündigen Autofahrt unseren Urlaubsort, das Dorf H.. Wie H. mit vollem Namen heißt, dass erfährst Du am Ende der ganzen Story. Dann habe ich für Dich noch ein paar Ideen, falls Du selber dort mal hin willst. Aber zurück in die Geschichte:

 

Wir erreichten das Dorf aus nordwestlicher Richtung über eine kleine Landstraße, die ein Stück durch dichten Wald führte. Dann lichtete sich der Wald und man sah das Ortsschild. Danach stand gleich ein großes Fachwerkhaus direkt an der Straße. Ein Gasthaus, wo es unter anderem allerbeste panierte Schnitzel mit Mischgemüse (eines meiner Lieblingsessen damals) geben würde und eine fantastische Schaukel - das konnte ich aber beim Ankommen noch nicht wissen. Wir bogen kurz vor diesem  Haus rechts ab und fuhren in einer schönen Kurve die Dorfstraße leicht bergan. Wenn ich mich richtig erinnere, hatte mein Vater damals eine handskizzierte Karte seines Kollegen mit, damit wir unser Ziel besser finden sollten. Und es klappte.

 

Bald erreichten wir es: ein kleiner Dreiseitenhof mit gelbgestrichenem Wohnhaus, dessen oberes Geschoss und der Giebel mit weinrot lackiertem Holz verkleidet waren. Daneben zur U-Form vervollkommnet Stall und eine mächtige Scheune aus geölten schwarzbraunen Brettern. 

 

Der Garten mit riesigem Rittersporn, knallorangenen Mittagsblumen und fetten Rhababerblättern schloss sich an die Giebelseite an. Davor eine Wiese mit Obstbäumen. Hier liefen weiße Enten durchs Gras.  Wir fuhren langsam auf den kleinen Hof zwischen den Gebäuden. Die Gastgeber warteten schon auf uns und kamen aus dem Haus. Mann und Frau mittleren Alters, Herr und Frau G., sehr freundlich.

 

Wir stiegen aus dem Auto, begrüßten die Gastfamilie. Währenddessen gab es einen Höllenlärm, denn unser Hund Erko, ein jagdlustiger Schnauzer, hatte Katzen und Hühner und anderes Getier längst gerochen und nun auch gesehen.

 

Er bellte, zerrte und sprang an der Leine aufgeregt umher, vom Jagdeifer ergriffen. Dann betraten wir einen dunklen, kühlen Hausflur mit Steinplattenfußboden. Wohlig kühl und dämmerig war es an diesem heißen, hell leuchtenden Sommertag hier drin. Es roch gut - nach Gemäuer, trockenem Holz, Heu, gekochten Kartoffeln und frisch gewaschener Wäsche.

 

Eine kurze Treppe führte in den ersten Stock, wo wir tatsächlich die nächsten drei Wochen wohnen würden. Vater und Mutter bekamen ein großes Zimmer mit Waschbecken für sich. Ich das zweite, viel kleinere, allein für mich. Unglaublicher Luxus damals im Urlaub. Zwei Betten, ein schmaler Schrank, ein Stuhl und ein Nachttisch passten gerade in " mein" Zimmer hinein. Ich brauchte nur ein Bett, das zweite war mit einer groben grauen Decke abgedeckt. Die Wände waren hellgelb gestrichen und mit dem Muster von einer Farbwalze verziert.  Manchmal lag Erko hier auf dem zweiten Bett; er pendelte zwischen beiden Zimmern hin und her. Lag der Hund nicht dort, hatte ich Platz für meine Bücher, gesammelte Dinge (vor allem Steine) und allerlei Kram, den ich so brauchte. War Erko mit meiner Mutter zu langen Spaziergängen außer Haus, so lockte ich manchmal eine der Katzen des Hauses hinein, um sie eine Weile zu streicheln oder auch nur anzuschauen.

 

Ein Paradies. Keiner redete rein. Ich konnte machen, was ich wollte, solange es keinen Ärger mit anderen Leuten gab und ich zu den Essenszeiten pünktlich da war. Meine Eltern ließen mich weitestgehend in Ruhe, was sehr klug von ihnen war. Denn nur so erlebte ich einen Sommer voller Abenteuer.....

 

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Morgen mehr :-).

 

 

Mein schönstes Ferienerlebnis - oder so.
Mein schönstes Ferienerlebnis - oder so.