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Mensch und Maulwurf: ein Dialog (26)

Natürliche Heilkräfte

 

Am letzten Wochenende unternehmen Pawel und ich einen langen Spaziergang durch den Wald. Auf einem unserer Lieblingswege, der flussaufwärts an der Freiberger Mulde entlang führt. Nur wenige Kilometer von ihrer Quelle entfernt, wo der Fluss noch schmal ist und über große Steine schnell und laut dahinsprudelt.

 

Das Wetter ist kühl, aber zum großen Teil sonnig und schön. Dadurch sieht der Wald freundlich aus, leuchtet hellgrün, im Schatten sind Sonnenflecken. Die kleinen Schaumkronen des in der Sonne schimmernden Flusswassers tanzen auf den rauschenden Wellen. Schon alleine dieses Geräusch des fließenden Wassers tut mir gut, genau wie die klare, frische Luft, der Geruch nach Nadelbäumen, wachsenden Kräutern und Waldboden. Schneereste liegen vereinzelt noch herum, aber auch hier oben ist es eindeutig Frühling geworden.

 

Während wir hurtig voranschreiten, da unterhalten wir uns natürlich. So über dies und das. Aber es geht etwas schleppend im Dialog. Und das - ist heute eindeutig meine Schuld.

  

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Die Freiberger Mulde, ca. 7 km nach ihrer Quelle flussabwärts
Die Freiberger Mulde, ca. 7 km nach ihrer Quelle flussabwärts

 

Maulwurf (guckt schräg von der Seite): "Deine Laune war aber auch schon mal besser...."

Yvonne (starrt auf den Weg): "Hhmmmrzh....gnarf."

Maulwurf (rollt die Augen und stichelt): "Sind Mylady etwa grimmig heute? Womit könnte ich Eure Majestät denn missgestimmt haben?"

Yvonne (muss lachen): "Schon gut, ich hör ja schon auf. Hast recht. Außerdem kannst Du nix dafür."

Maulwurf (beiläufig): "Was ist denn los? Willst Du mir vielleicht was erzählen?"

Yvonne (zuckt die Schultern, schüttelt den Kopf, nickt dann unlustig): "Eigentlich..... gibts nichts zu erzählen. Wahrscheinlich ist das eben nicht mein Tag.... (brummelt vor sich hin)."

Maulwurf (reißt wütend die Augen auf): "Nicht! DEIN! Tag ....? Nicht Dein TAAAG....? Was hat Dir der schöne Tag denn getan? Guck Dich doch mal um: blauer Himmel mit den interessantesten Wolken, die man sich denken kann. Grüner Wald. Ein sauberer, fröhlicher Fluss. Ein schöner Wanderweg. Ein volles Kaffeerohr im Rucksack. Ein Maulwurf als Reisekamerad. WAS willst Du eigentlich noch? Könntest jetzt auch havariebedingt in irgendeinem Hydraulikkeller stehen oder mit gebrochenem Bein im Krankenhaus liegen ... "

Yvonne (kleinlaut): "Stimmt. Stimmt alles, trotzdem ist mir heute so grummelig zumute. Einige Sachen klappen nicht so, wie sie sollten und...."

Maulwurf (fällt unterbrechend ins Wort): "AHA!!! Da haben wirs. Es hat wieder mal jemand nicht das gemacht, was er sollte. Beziehungsweise: was DU wolltest? Naaaa?"

Yvonne (gibt auf): "Ja, so ist es wohl."

Maulwurf (schnaubt): "Wie oft haben wir jetzt schon darüber diskutiert, wie das mit den anderen ist und mit einem selber? Mit den eigenen Erwartungen und Zielen?" (Guckt aufmunternd und ungläubig) "Komm schon! Was lernen wir von Frau Obermaier?"

Yvonne (seufzt, nimmt sich dann aber zusammen): "Sich hohe Ziele setzen, aber nicht aufgeben, wenn unterwegs etwas schief geht. Nichts erwarten. Vor allem: nicht dauernd was von anderen erwarten. Ich weiß."

Maulwurf (versöhnlich): "Na bitte. Du hast es ja. Du weißt auch, dass Selbstmitleid die schlimmste aller Todsünden ist....?!"

Yvonne (beschämt und heiser): "Ja."

Maulwurf (gut gelaunt): "Weißt Du was? Wir machen jetzt Pause! Guck mal, hier setzen wir uns hin." (Er wuselt geschäftig über einen trockenen, großen Stein und zerrt etwas aus dem Rucksack.) "Kaffeerohr raus und eine süße Kleinigkeit.... Du wirst sehn, Dir gehts gleich besser, pass auf."

 

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Pawel hat was gegen Grilligkeit....
Pawel hat was gegen Grilligkeit....

 

Ist es wirklich so einfach?

 

Ja.

 

Wir sitzen auf dem Stein in der Sonne, trinken sehr starken, guten Kaffee. Essen einen kleinen Snack, blinzeln in die Sonne. Die Vögel singen. Wir schweigen und lächeln. Die guten Kräfte der Natur wirken auf uns ein. Wir lassen sie.

 

Eine ganze Weile später streckt sich der Maulwurf und kommt dann doch noch mit einem Klassiker um die Ecke, wie gewohnt.

 

Maulwurf: "Naaa, Mylady? Jetzt doch ein Klassiker gefällig?"

Yvonne: "Aber immer doch, mein Guter. Lass hören!"

 

Maulwurf:  "1000 Dinge gehen vorwärts, 999 davon rückwärts - das nennt man Fortschritt." Ist von Henri-Frédéric Amiel, einem Schweizer Schriftsteller und Philosophen des 19. Jahrhunderts. Und wenn der das sagt, müssen wir auch nicht so kleinlich sein, oder?"

 

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Ich staune nicht zum ersten Mal über die Klugheit und den Humor meines kleinen Kollegen. Gut, dass er da ist.