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Roßwein ohne Schmiede

" ... ist wie Thor ohne Hammer "

Historisch gewachsen: VEB Schmiedewerke "Hermann Matern", Goldbornstraße, Roßwein 1965 /  (www.digitale-bibliothek.de), Foto: Günther Hanisch
Historisch gewachsen: VEB Schmiedewerke "Hermann Matern", Goldbornstraße, Roßwein 1965 / (www.digitale-bibliothek.de), Foto: Günther Hanisch

 

1862 gründete Karl Friedrich Wolf in Roßwein eine Achsenfabrik. Schon 1876 stellte man erste Dampfhämmer zum Schmieden hier auf. Was mit wenigen Mitarbeitern am Ufer der Freiberger Mulde begann und Mitte der 1980er Jahre einen Großbetrieb mit ca. 1400 Mitarbeitern umfasste, das steht nun still.

 

Eine erfolgreiche Entwicklung in den ersten Jahrzehnten seines Bestehens bis zur Demontage nach dem zweiten Weltkrieg erlebte der Standort. Dann folgten neues Wachstum während der DDR-Jahre, nach der politischen Wende 1989 mehrfache Umfirmierung der verbliebenen Gesenkschmiede. Für internationale Automobilhersteller schmiedete man später hier, hauptsächlich Motorenteile wie Pleuel. Für Marken wie Peugeot, Renault, Audi, VW, Daimler - ein renommierter und anspruchsvoller Kundenkreis. 

 

2017 übernahm das österreichische Unternehmen Frauenthal AG die Roßweiner Schmiedegeschäfte vom Mahle-Konzern. Auch die Plettenberger Werke im Sauerland verkaufte Mahle an Frauenthal. Das sollte das letzte Mal sein, dass Roßweiner Schmiedewerker "mit verkauft" wurden, wie schon so oft vorher beim Besitzerwechsel des Werkes. 

 

Die kurze Geschichte unter dem Namen Frauenthal endet jetzt, im Dezember 2020, denn das Werk in Roßwein wird geschlossen. 

 

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Im September 2020 erfuhr die Öffentlichkeit von der Firmenentscheidung der Frauenthal AG, ihren Roßweiner Standort zu schließen und die Aufträge komplett im Plettenberger Werk zu bearbeiten. Man wehrte sich in Roßwein natürlich heftig gegen diese Pläne, zu wertvoll waren nicht nur der eigene Arbeitsplatz, sondern auch die lange Schmiedetradition dieses Ortes. Keinen Dienst nach Vorschrift hatten die meisten hier geleistet, sondern waren oft weit darüber hinaus gegangen, gerade in den Zeiten nach 1989 - als es galt, im neuen Wirtschaftssystem zu überleben.

 

Dieses Werk ist bis heute Arbeitsplatz, Lebensort, Herzstück.

 

Sächsische Landesregierung, die Stadt Roßwein und die Gewerkschaft setzten sich ein. Mitarbeiter des Werkes und ihre Unterstützer demonstrierten im Oktober 2020 in Roßwein gegen die Schließung. Medien berichteten. Von dort habe ich auch den Spruch abgeguckt, der hier die Überschrift für den Artikel bildet: "Roßwein ohne Schmiede ist wie Thor ohne Hammer!" hatten die Kollegen auf ein Transparent geschrieben. Und das stimmt. Sicher weiß jemand auswärtiges wie ich nicht alle Roßweiner Geschichten, Geheimnisse und Hintergründe - aber klar ist: das Schmiedewesen in dieser Stadt gehört ganz oben auf die Liste der Traditionen.

 

Das alles kann eine unternehmerische Entscheidung des aktuellen Eigentümers nicht rückgängig machen.

 

Zum Jahresende 2020 ist das Werk zu.

 

Thors Hammer Mjölnir
Thors Hammer Mjölnir

 

Die Mitarbeiter haben diese Woche ihre Kündigungen erhalten. Ich wünsche mir für die Betroffenen, dass die verhandelten Leistungen des Unternehmens insgesamt zufriedenstellend sind - auch, wenn man einen Arbeitsplatz natürlich nicht "bezahlen" kann. Schon gar nicht, wenn jemand viele Jahre da gearbeitet, sich mit seinem Tun identifiziert hat.

 

Auch, wenn es manchem so vorkommt: Die gemeinsame Arbeit ist nicht verloren. Weltweit befinden sich Schmiedeteile aus Roßwein in Betrieb. Die gesammelte Erfahrung, das Wissen gehen einem selbst nicht verloren. Genausowenig wie die Erinnerungen: gute und schlechte. Wer hier gearbeitet hat, wurde von diesem Umfeld geprägt.

 

Wichtig ist jetzt, dass jeder der Kollegen einen Neuanfang findet und sich darin einlebt, wieder Sinn sieht in der täglichen Arbeit. Leicht dahingesprochen und so schwer gemacht - das weiß ich aus eigener Erfahrung.. Für diesen Anfang wünsche ich allen Schmiedewerkern viel Erfolg. Mut, neue Ideen - und das Stückchen Glück, was man immer braucht, wenn einem etwas gelingen soll.

 

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Thors Hammer namens Mjölnir, ein Symbol für Stärke, Fruchtbarkeit und Gerechtigkeit, hatte einen viel kürzeren Stiel als eigentlich beabsichtigt war bei seiner Herstellung - denn auch bei der Schmiedung des göttlichen Hammers durch schmiedekundige Zwerge klappte nicht gleich alles so, wie es sollte.

 

Wesentlich: Dieser Hammer verfehlt nie sein Ziel, wenn er geworfen wird. Und danach kehrt er immer in die Hand seines Werfers zurück. Sogar, als der Hammer der Edda-Sage nach einmal von Riesen gestohlen wurde, konnte man das edle Teil mit List und Mut wieder zurück holen. Und deshalb - bleibt auch Thor niemals lange ohne den Hammer. Also?

 

Lasst Euch nicht unterkriegen.

 

 

An der Schmiedelinie SP22 (Foto: Jörg Kießling)
An der Schmiedelinie SP22 (Foto: Jörg Kießling)