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Die Schmiede bleibt hier?

Kampf eines kleinen Werkes - Demo am 10. Oktober 2020 in Roßwein

In Roßwein, Oktober 2020
In Roßwein, Oktober 2020

 

Heute, am 10. Oktober 2020,  bin ich nach Roßwein gekommen.

 

Hier habe ich einige Jahre gearbeitet und bin seit der Zeit diesem alten, traditionsreichen Industriestandort, der kleinen Stadt, ihrer schönen Umgebung und einigen Leuten hier sehr verbunden. Laut Aufruf der IG Metall soll heute in Roßwein für den Erhalt des Schmiedewerkes demonstriert werden.

 

Sein derzeitiger Eigentümer, eine Firmengruppe aus Österreich, möchte zum Jahresende die Produktion hier einstellen. Zwei Schmieden besitzt dieses Unternehmen seit 2017. Um wenigstens einen Standort davon wirtschaftlich betreiben zu können unter den herrschenden Bedingungen, dafür muss laut Einschätzung der gegenwärtigen Unternehmensleitung der andere geopfert werden. Bleiben soll das größere Werk im Sauerland, die Roßweiner Aufträge will man dann auch dort schmieden.

 

Für das Werk in Roßwein hat man in ein paar Wochen zum Jahresende 2020 die Schließung vorgesehen.

 

Mitarbeiter des Werkes und Roßweiner Bürger sind nicht einverstanden damit und wehren sich. Die IG Metall und die sächsische Landesregierung haben sich eingeschaltet. Die regionale Presse berichtet.

 

 

Eine Menschenkette vom Werk bis zum Markt soll heute gebildet werden. Diesen Weg kenne ich gut, war ja früher mein Arbeitsweg, zehn Minuten reichlich. Ich bin gespannt und denke mir, dass bestimmt viele Leute herkommen werden. Bestimmt. Hoffentlich.

 

Dann bin ich da.

 

Auf dem Weg zwischen Markt und Goldbornstraße wartet eine Stunde vor Demobeginn ein alter Freund, das Rossi, auf mich. Es lächelt etwas rebellisch. 

 

 

Bevor es losgeht, gehe ich noch ein Stück hinter der Schmiede an der Mulde lang.

 

 

Die Roßweiner Schmiedewerke sind so eine Firma, wo fast jeder, der hier in Roßwein und Umgebung wohnt, einen Bezug dazu hat. Entweder man arbeitet da, hat da gearbeitet oder eine Ausbildung gemacht. Oder jemand aus der Familie schmiedete, reparierte, plante, rechnete, kochte oder putzte schon hier und machte sich einen Kopf um das alles - vielleicht lange, bevor man überhaupt selbst auf der Welt war. Ich kenne einen ehemaligen Kollegen, der seit vielen Jahren beim Arbeiten in der Schmiede mit dem Vornamen seines Großvaters gerufen wird, der Vorname des Alten wurde zum Spitznamen des Jungen. Weil der Opa eben früher auch schon hier gearbeitet hat, man ihn kannte und schätzte.

 

Wer im Schmiedewerk tätig war, der brachte manchmal auch seinen Nachwuchs hier unter. Tausende Leute kamen früher täglich zur Arbeit nach Roßwein, in die Schmiedewerke und die anderen größeren Betriebe, die hier lange Zeit ansässig waren. Man sieht das noch an den vielen leerstehenden alten Produktionsgebäuden und Industriebrachen. Und den teilweise verlassenen Kneipen, Läden, Hotels und Wohnhäusern in der Stadt.

 

Interessante Berufe gab es zu erlernen, die Ausbildung war gut. Viele Facharbeiter, Ingenieure, Betriebswirte, zum Beispiel Instandhalter, Industrieschmiede, Werkzeugbauer, Bürokaufleute, Maschinenbauer, Konstrukteure hat der Standort hervorgebracht. Sie sind durch eine gute und harte Schule gegangen.

 

Wer hier mal eine Weile tätig war, der ist woanders nicht mehr so leicht zu erschrecken. Oft körperlich schwere Arbeit unter harten Bedingungen wie Hitze, Lärm, Zunderdreck. Der Termindruck bei den Lieferungen der Schmiedeteile, die hohen Kosten der energie- und verschleißintensiven Prozesse. Die Schwierigkeiten.

 

Automobilzulieferer zu sein, so wie das Roßweiner Schmiedewerk in den letzten Jahren als Hersteller von Pleueln und Ausgleichswellen für Verbrennungsmotoren, das ist keine leichte Sache. Und auch nicht etwas für jeden.

 

Große Autokonzerne interessiert es nicht, ob es in Roßwein gerade Probleme mit der Maschine, dem Material, fehlenden Mitarbeitern oder womit auch immer gibt. Egal, ob Du Kopfschmerzen hast oder Bandscheibe, müde bist wie ein Stein, ein Maschinenausfall passiert, kein Stahl geliefert wurde, ein Ersatzteil nicht gleich verfügbar ist, der Strom ausfällt, der Muldenpegel steigt, zu Hause Probleme zu bewältigen sind oder die Familie Dich braucht. Der Kunde will seine Teile haben. In guter Qualität. Bis gestern. Egal wie. Basta.

 

Früher schmiedete man hier beispielsweise auch Baggerzähne für Baumaschinen und andere Teile für den Maschinenbau. Viele teilweise sehr schmerzhafte Veränderungen hat dieses Werk schon erlebt. Und zwei große Hochwasser in den letzten zwanzig Jahren auch noch.

 

***

 

Eine Menge zu lernen gab es in Roßwein, auch den Umgang miteinander. Einstecken - ja. Austeilen - auch. Wenn man neu war, hat man ziemlich schnell gemerkt, dass es nicht hauptsächlich um einen selber und die eigenen Befindlichkeiten geht. Ziele mussten erreicht werden, das ging nur gemeinsam. Tatkräftige, kompetente und tapfere Frauen und Männer habe ich hier kennengelernt. In der Schmiedehalle, im Konstruktions- und Lohnbüro, bei der Qualitätssicherung, in der Endfertigung, im Chefsekretariat, in den Werkstätten der Instandhaltung, in der Logistik, bei der Gebäudereinigung, im Controlling, im Werkzeugbau, beim Wachschutz. Viele Menschen, von denen ich was gelernt habe, so oder so. Ja, und DAS alles verbindet. Über die gemeinsame Arbeit und verbrachte Zeit hinaus.

 

Und deshalb bin ich heute auch hier, genau wie so viele andere.

 

 

12:00 geht es los. Wir treffen uns auf dem Roßweiner Markt. Vertreter der IG Metall sind da, einige Betriebsräte anderer Firmen, der Roßweiner Bürgermeister. Und viele aktive und ehemalige Kollegen des Roßweiner Schmiedewerkes, ihre Angehörigen und andere Unterstützer. Vom Markt aus setzt sich der Demonstrationszug in Bewegung Richtung Goldbornstraße, dem Standort des Werkes. Um das geht es uns allen heute. Die geplante Schließung trifft auf Gegenwehr. Nicht lautlos soll das akzeptiert werden. Rufe werden laut: "Was wollen wir? Die Schmiede bleibt hier!" 

 

Alte und Junge, Mädchen mit Puppenwagen, Väter mit Kindern auf der Schulter,  kämpferisch aussehende Fahnenträger. Frauen und Männer wehren sich gegen den drohenden Verlust ihres Arbeitsplatzes. Einer schlägt rhytmisch eine große Trommel, die tiefen Klänge gehen mir ans Herz. Ein anderer Demonstrant hat sich als Tod verkleidet, mit Sense.  All das drückt heute aus: Es geht um den Erhalt eines traditionsreichen Schmiedestandortes hier in Mitteldeutschland. Seit weit mehr als hundert Jahren schmiedet man in Roßwein an Hämmern und Pressen. Nicht so einfach hergegeben werden soll das. Es ist ein Stück Heimat für uns.

 

Ich treffe alte Kollegen, wir begrüßen uns. Auf der Brücke über die Mulde am Werder, da stoppt der Zug. Es gibt Grußbotschaften der Gewerkschaft und der angereisten Betriebsräte. Dann geht es weiter bis zum Werk. Der Zug hält an, wir unterhalten uns, ACDC tönt aus dem Lautsprecher. Dann informiert der Gewerkschaftsvertreter zum aktuellen Stand der Verhandlungen über das Werk. Der Betriebsratsvorsitzende des Schmiedewerkes spricht. Unternehmensleitung, Gewerkschaft und die sächsische Landesregierung sind seit einigen Wochen im Gespräch miteinander. Eine Lösung für die Zukunft des Werkes, seiner Mitarbeiter, soll gefunden werden. Die Redner verschweigen nicht, dass das schwierig ist. Was hier herauskommt, das wird sich zeigen.

  

Gut ist, das so viele gekommen sind und zeigen: "Mir ist es nicht egal, was hier passiert. Ich bin da."

 

 

Die Leipziger Internetzeitung (www.l-iz.de) schreibt am 05. 10. 2020:

 

 

"Die 110 Kolleginnen und Kollegen der Frauenthal Powertrain GmbH setzten sich entschieden für eine Fortführung ihres Betriebes ein. Nach Planung der Geschäftsführung sollen die Roßweiner Schmiedewerke zum Jahresende geschlossen werden. Der Betriebsrat und die Beschäftigten haben ein klares Ziel vor Augen: „Standorterhaltung und wenn das nicht klappt und die Schließung unumgänglich ist, das Bestmögliche für unsere Kolleginnen und Kollegen auszuhandeln. Unsere Leute werden den Kopf nicht in den Sand stecken und dabei zusehen, wie hier der Schlüssel umgedreht wird. Wir werden bis zum Schluss darum kämpfen, dass unser Traditionsbetrieb erhalten bleibt“, so Hans-Joachim Porst, Betriebsratsvorsitzender."

 

Den kompletten Beitrag der LIZ findest Du hier am Artikelende.

 

Gucken wir uns doch paar Bilder des Tages heute an:

 

 

Was die Zukunft in Roßwein bringt, das werden wir sehen. Hoffen wir das Beste und machen etwas daraus.  So, wie man es hier immer getan hat.

 

Kleiner Zieramboss, geschmiedet im PSW Brand-Erbisdorf. Auch die Roßweiner Schmiedewerke gehörten jahrelang in den Firmenverbund mit den Brand-Erbisdorfern.
Kleiner Zieramboss, geschmiedet im PSW Brand-Erbisdorf. Auch die Roßweiner Schmiedewerke gehörten jahrelang in den Firmenverbund mit den Brand-Erbisdorfern.

 

Ein kleiner Amboss steht immer noch auf meinem Schreibtisch und erinnert mich ans Schmieden. Und damit auch an Roßwein.