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Libyen-Konferenz in Berlin

Diplomatische Konfliktlösungsbemühungen im Kanzleramt

Angela Merkel und Wladimir Putin © REUTERS/Axel Schmidt
Angela Merkel und Wladimir Putin © REUTERS/Axel Schmidt

 

Letzten Sonntag, 19.01.2020, fand eine Konferenz zur Verbesserung der Situation in Libyen statt. Ziel ist die Schaffung eines neuen, stabilen Staates auf Libyens Boden. Hier herrscht schon neun Jahre lang Bürgerkrieg. Seit dem Arabischen Frühling, in dessen Verlauf man den langjährigen libyschen Herrscher Muammar al-Gaddafi tötete und sein Regime zerfiel (s. auch Teil 4 - Nahost-Reihe).

 

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Über Gaddafi selber läßt sich einiges erzählen. Vom Revolutionsführer und Putschisten, der 1969 König Idris I. vertrieb, stieg der junge Oberst Gaddafi zum Staatspräsidenten auf. Sein Vorbild war das ägyptische Staatsoberhaupt Gamal Abdel Nasser. Gemeinsame politische Richtung der Panarabismus: ein Zusammenschluss und eine Stärkung der Staaten des arabischen Raums nach Ende des Kolonialismus. Israel lehnte er komplett ab.  Muammar al-Gaddafi war Stammesangehöriger der Gaddafa, eines Beduinenstammes aus Tripolitanien.

 

Gaddafi baute Libyen von einer traditionellen Stammesgesellschaft zu einem modernen Land um. Er entwickelte Wirtschaft und Industrie, reorganisierte das Bildungs- und Gesundheitswesen und nahm Einfluss auf die religiösen Aktivitäten in seinem Land. Auch führte er ein Familienrecht ein, das Frauen besser stellte.

 

Gaddafi empfand sich als blockfrei, tendierte aber mehr zur Sowjetunion als zu den USA. Sein eigenes Volk stimmte ihm lange Zeit zu und genoss die verbesserten Lebensbedingungen. Aber das galt nur, solange niemand die Pläne des Staatsoperhauptes in Frage stellte oder sich dessen Willen entziehen wollte. Gaddafis berüchtigte Geheimpolizei kümmerte sich dann darum. Gaddafi werden  Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen. Mord, Folter, Vergewaltigung, Anstiftung zu Massenvergewaltigung. 2011 im Mai wurden vom Chefankläger des Internationalen Gerichtshofs deshalb Haftbefehle für Muammar al-Gaddafi und seinen Sohn Saif al-Islam erlassen.

 

Das Ausland ging vorsichtig mit diesem bizarren Paradisvogel um. Denn Gaddafi war nicht nur ein Modernisierer seines Staates, sondern auch ein eitler, unberechenbarer und grausamer Mensch.

 

In den 1980er Jahren entwickelte er sich in Richtung Staatsterrorismus, nahm Kontakt zu deutschen und palestinensischen Terroristen auf. Der Anschlag auf die Berliner Diskothek "La Belle" im April 1986 geht auf sein Konto. Das war der Anlass für amerikanisches Bombadement Libyens. Die Adoptivtochter Gaddafis, Hana, kam dabei erst fünfzehnjährig ums Leben. 1988 explodierte im schottischen Lockerbie ein amerikanisches Passagierflugzeug, wofür später ein libyscher Terrorist verurteilt wurde. 

 

In den nächsten Jahren bemühte Gaddafi sich um gute Beziehungen zum Westen. Da er über eine große Menge Erdöl verfügte, wurde das gerne angenommen. Im eigenen Land hatte Gaddafi mit Aufständen und Unruhen zu kämpfen. Die immer größere Korruptheit und Brutalität seines jahrzehntealten Regimes empörte die Bevölkerung.

 

In 2011 wurde Gaddafi gestürzt, gejagt, floh in seine alte Stammesregion und wurde dort im Herbst umgebracht. Sein Reich zerfiel nach 42jähriger Herrschaft. Im entstandenen Machtvakuum kam es zum Bürgerkrieg, der bis heute andauert.

 

General Haftar, derzeit der einflussreichste Mann Libyens, war langjähriger Gaddafi- Verbündeter, danach sein erbitterter Gegner. 

 

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Diesen Artikel hier zur Libyen-Konferenz habe ich bewusst nicht in den Nahost-Teil (1 - X) einsortiert. Ich möchte gerne die darin gebrachten paar grundsätzlichen Gedanken für den Nahen und Mittleren Osten vom aktuellen Geschehen trennen. Um mehr Klarheit zu haben, denn die gesamte Lage ist schon komplex und unübersichtlich genug. Deshalb nun heute hier aktuell aus dem Berliner Kanzleramt.

 

Dazu habe ich Dir einen Artikel aus der heutigen "Neuen Zürcher Zeitung" mitgebracht.

 

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Ich finde es gut, wenn die Konfliktparteien und Schutzmächte sich gemeinsam mit der Situation in Libyen auseinandersetzen, sich treffen, miteinander reden. Vielleicht auch anfangs nur über Vermittlung. Egal. Hauptsache, man tut etwas Diplomatisches, um sich anzunähern. Aber zu Euphorie besteht, glaube ich, leider auch kein Anlass.

 

Viel Vorarbeit wurde geleistet, um diese gegensätzlichen Parteien zusammenzubringen.

 

Das Bild oben zeigt die Bundeskanzlerin im Gespräch mit Wladimir Putin, dem russischen Präsidenten, im Rahmen der Konferenz in Berlin. 

Berlin feiert seine Libyen-Konferenz – aber die eigentlichen Kontrahenten sassen nicht einmal im selben Raum

Bei dem Treffen haben sich die Konfliktparteien des Bürgerkriegslandes und ihre Schutzmächte auf einen Plan für einen dauerhaften Waffenstillstand verständigt. Er ist vor allem eines: vage. 

Marc Felix Serrao, Berlin

In Berlin haben sich die Teilnehmer einer Konferenz zur Befriedung des Bürgerkriegs in Libyen am Sonntag auf einen Plan geeinigt, an dessen Ende ein dauerhafter Waffenstillstand stehen soll. Das haben Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel, der Aussenminister des Landes, Heiko Maas, Uno-Generalsekretär Antonio Guterres und der Uno-Sondergesandte für Libyen, Ghassan Salamé, am Abend im Kanzleramt erklärt.

Zufrieden mit sich und ihrer Konferenz: die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel wartet für das Gruppenfoto auf die Ankunft weiterer Teilnehmer.

Zufrieden mit sich und ihrer Konferenz: die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel wartet für das Gruppenfoto auf die Ankunft weiterer Teilnehmer.

Michael Sohn / AP

Neben einem Waffenembargo, das künftig stärker als bisher überwacht werden solle, seien sich die Teilnehmer darin einig gewesen, dass es keine Chance auf eine militärische Lösung des Konflikts gebe, erklärte die Kanzlerin. Dieser, so der Konsens, könne nur politisch beendet werden. Die Berliner Konferenz stelle damit einen wichtigen Beitrag zu den Friedensbemühungen der Vereinten Nationen dar. Auch EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen erklärte, sie sei zufrieden. Am euphorischsten äusserte sich Deutschlands Aussenminister Maas. In Berlin habe es einen «Geist der Zusammenarbeit» gegeben, der weit über das hinausgegangen sei, was man bei anderen Gelegenheiten schon erlebt habe, sagte er.

Russland bleibt zurückhaltend

Deutlich zurückhaltender äusserte sich Russlands Aussenminister Sergei Lawrow. Er bezeichnete die Konferenz laut der Agentur Interfax als nützlichen, aber «kleinen Schritt nach vorn». Es sei noch nicht gelungen, einen «ernsthaften und dauerhaften Dialog» zwischen den Kontrahenten in Gang zu setzen.

An der Berliner Konferenz nahmen mit Russland, den USA, China, Frankreich und Grossbritannien alle fünf ständigen Mitglieder des Uno-Sicherheitsrates teil. Anwesend waren ausserdem Vertreter der Türkei, Ägyptens, der Vereinigten Arabischen Emirate, von Kongo-Brazzaville, Italien und Algerien sowie Entsandte der Arabischen Liga, der EU und der Afrikanischen Union.

Wirklich konkret ist der sogenannte Fahrplan nicht. So wurde nach Auskunft der Kanzlerin in Berlin weder über ein Überwachungsregime für die Einhaltung der Waffenruhe noch über mögliche Sanktionen bei Verstössen gesprochen. Auch gelang es den Gastgebern nach eigenen Angaben nicht, die zwei zentralen Akteure – Libyens Ministerpräsidenten Fayez al-Sarraj und seinen Kontrahenten General Khalifa Haftar – an einen Tisch, geschweige denn in denselben Konferenzraum zu bringen. Beide waren zwar in Berlin anwesend, aber nicht als offizielle Konferenzteilnehmer.

Man habe den Ministerpräsidenten und den General stets zeitnah und unabhängig voneinander konsultiert, sagte Merkel. Eine auf diesem Wege erreichte Einigung bestehe nun in einer Liste von Namen für ein «Fünf plus fünf»-Militärkomitee, das den Weg von der derzeitigen Waffenruhe zu einem dauerhaften Waffenstillstand ebnen soll. Die Einladung für ein erstes Treffen des Gremiums solle in Kürze verschickt werden. Die Gross- und Mittelmächte, die bisher im Hintergrund agierten, hätten zugesichert, bis dahin keine weitere Unterstützung für die eine oder die andere Bürgerkriegspartei zu leisten.

Zu den Unterstützern Haftars und seiner «Libyschen Nationalen» zählen Russland, die Vereinigten Arabischen Emirate, Saudiarabien und Ägypten. Die Türkei und Katar stehen hingegen der Regierung Sarrajs mit militärischen Mitteln bei. Den Strippenziehern im Hintergrund geht es mal um politischen Einfluss in Nordafrika, mal um Libyens Öl- und Erdgasvorkommen. Uno-Generalsekretär Guterres bezeichnete die Folgen des Kampfs um die Rohstoffe als «sehr beunruhigend». Mehrere Ölhäfen des Landes seien derzeit geschlossen, und kurz vor der Konferenz sei auf einem Ölfeld die Förderung eingestellt worden. In den anstehenden Verhandlungen werde es vor allem um die Frage gehen, wie die Einnahmen aus dem Rohstoffhandel aufgeteilt werden, sagte Deutschlands Aussenminister Maas.

Risse innerhalb der EU

Aus Sicht der Europäer ist Libyen zudem als Tor für Migranten aus Afrika von vitalem Interesse. Je instabiler die Verhältnisse dort sind, desto schwerer lassen sich die Schlepperbanden kontrollieren. Auf eine einheitliche Haltung hatte sich die EU bisher allerdings nicht verständigen können, dazu waren die nationalen Interessen zu verschieden. Merkel sagte in Berlin, dass die Mitglieder der Staatengemeinschaft sich einander deutlich angenähert hätten. Sie lobte unter anderem das Engagement von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Italiens Premierminister Giuseppe Conte. Die beiden waren zuletzt auf Konfrontationskurs, weil auch Frankreich als Verbündeter General Haftars gilt.

Noch zu Beginn der Woche waren erste Gespräche über einen möglichen libyschen Waffenstillstand in Moskau gescheitert; der 76-jährige General Haftar war, ohne zu unterschreiben, wieder abgereist. Auch aufgrund von dessen Verhalten ist es zu früh, von einem Durchbruch zu sprechen. Die Kriegsparteien und ihre Schutzmächte müssen die nun erreichte Annäherung in den kommenden Wochen mit Leben füllen.

In Libyen war nach dem Sturz und der Ermordung des Machthabers Muammar al-Ghadhafi vor neun Jahren ein Bürgerkrieg ausgebrochen. Die jetzige Regierung von Sarraj ist zwar international anerkannt, kontrolliert aber nur noch kleine Gebiete rund um die Hauptstadt Tripolis im Westen des Landes. Haftar und seine Verbündeten haben ihren Einflussbereich unterdessen immer weiter ausdehnen können.