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Besser verstehen: Der Nahe und Mittlere Osten (4)

Arabischer Frühling: verjagte Diktatoren und ein Machtvakuum

www.diefreiheitsliebe.de
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Im zweiten Artikel unserer Nahost-Reihe hatten wir uns die Geschichte des Osmanischen Reiches und die Folgen seines Zerfalls angeschaut, im dritten Teil mit den Religionen vertraut gemacht.

 

Wie ging es weiter im Nahen und Mittleren Osten, nachdem das Osmanische Reich zerfiel ?

 

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Über die Jahrzehnte seit der Neuaufteilung der Region nach dem ersten Weltkrieg waren Diktaturen entstanden. Diese sorgten für eine gewisse Stabilität, aber auch für Terror gegen die eigene Bevölkerung.

 

Außenpolitisch kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen.

 

Allein von 1980 bis 2003 gab es drei "Golfkriege" genannte Konflikte. Beteiligte waren hier der Iran, hauptsächlich aber der Irak und die USA. Ganz grob gesagt ging es um die Vorherrschaft am Persischen Golf.

 

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Im Dezember 2010 begann ein Umsturz, der allgemein als "Arabischer Frühling" bezeichnet wird.

 

Hier wurden durch Revolutionen jahrzehntealte Machtgefüge zerstört und ihre Herrscher verjagt oder getötet. Diese Diktatoren hatten bisher ihre Länder fest im Griff. Auch der Westen kooperierte mit ihnen. Dadurch war in der politisch instabilen Region eine gewisse Ordnung eingekehrt. Meinungsfreiheit und Demokratie gab es nicht. Gemacht wurde, was der Herrscher befahl. Dort herrschten Männer mit eiserner Hand über Jahrzehnte. Diktatoren wie Gaddafi in Libyen, Assad in Syrien, Ben Ali in Tunesien , Saddam Hussein im Irak waren plötzlich am Ende. Sie flohen oder wurden hingerichtet.

 

Es entstand nun ein Machtvakuum, was nicht nur eine Chance für demokratische Entwicklung war. Sondern auch eine Situation, in der verschiedenste Kräfte hervortreten und um die Macht kämpfen würden. Um wieder Gewaltherrschaften zu errichten. 

 

Was geschah jetzt ? Wir schauen nach:

 

www.welt.de / Gaddafi am Ende
www.welt.de / Gaddafi am Ende

 

Bei "Wikipedia" lesen wir über den "Arabischen Frühling":

 

Am 17. Dezember 2010 begannen in Tunesien Proteste gegen die Regierung von Staatsoberhaupt Zine el-Abidine Ben Ali, nachdem sich der Gemüsehändler Mohamed Bouazizi in Sidi Bouzid infolge von Polizeiwillkür und Demütigungen selbst angezündet hatte. Innerhalb weniger Wochen kam es zu landesweiten Massenunruhen, die in den nächsten Monaten auf etliche Staaten in Nordafrika und dem Nahen Osten übergriffen.

 

Die Massenproteste führten bisher zur Absetzung und Flucht des tunesischen Machthabers Zine el-Abidine Ben Ali und zum Rücktritt des ägyptischen Präsidenten Husni Mubarak. Der Präsident Jemens, Ali Abdullah Salih, trat Ende 2011 nach über 30-jähriger Herrschaft zurück. In Libyen kam es zu einem Bürgerkrieg, bei dem Rebellen mit Unterstützung durch die NATO Staatschef Muammar al-Gaddafi stürzten, während in Syrien ein Bürgerkrieg noch andauert. In weiteren Ländern der Arabischen Welt kam es zu Regierungsumbildungen und politischen Reformen. Darüber hinaus berufen sich auch soziale Bewegungen in anderen Erdteilen auf den Arabischen Frühling.

Aus dem Magazin "Cicero":

DIE REBELLION UND IHRE FOLGEN-Vom arabischen Frühling zum weltweiten Winter

Im September 2011 trafen Nicolas Sarkozy und David Cameron, die Regierungschefs von Frankreich und Großbritannien, quasi über Nacht in Tripolis ein, der Hauptstadt Libyens. Es sollte die Stätte ihres Triumphes sein, waren sie doch die Hauptarchitekten des Nato-Einsatzes gewesen, der das Volk vom Tyrannen Muammar al-Gaddafi befreien und Demokratie in das Land bringen sollte. Es war der Herbst nach dem arabischen Frühling, den in der westlichen Welt nahezu alle Politiker und Medien unisono bejubelten. „Ihr habt die Solidarität und Bewunderung des französischen Volkes“, rief Sarkozy den Rebellen zu, und Cameron gab sich überzeugt, Libyen werde „eine große Erfolgsgeschichte“ werden.

In Ägypten hatte US-Präsident Barack Obama schon zu Beginn des Frühlings direkt eingegriffen. Diktator Hosni Mubarak solle „sofort zurücktreten“, hatte Obama am 1. Februar 2011 gesagt und so, wie es die New York Times damals formulierte, eine drei Jahrzehnte währende Beziehung der USA mit ihrem treuesten Verbündeten in der arabischen Welt aufgekündigt und sich mit dem Gewicht der Weltmacht auf die Seite der Straße gelegt.

Nach dem Aufstand herrscht Chaos

In Libyen endete der Aufstand mit dem brutalen Mord an Gaddafi, live zu sehen auf Youtube. Seitdem herrscht dort Chaos. Das Land befindet sich im permanenten Kampf zwischen verschiedenen Warlords und deren Milizen, was für die Destabilisierung großer Teile Nordafrikas gesorgt hat. Menschenschlepper-Mafias operieren praktisch ohne Gegenwehr und locken unzählige hoffnungsfrohe Migranten in das Land, die sich von dort auf die gefährliche Schiffsreise nach Italien machen. Tausende haben sie nicht überlebt.

In Ägypten artete die „Revolution“ auf dem Tahrir-Platz in eine Massenvergewaltigung aus, und statt von Hosni Mubarak wird das Land nun von einer anderen Militärdiktatur regiert.

Den anderen Ländern erging es nicht besser. Der hydraköpfige Bürgerkrieg in Syrien fand gerade seinen traurigen Höhepunkt mit der Rückeroberung von Aleppo. Im Jemen gibt es täglich Bombardements. All diese Länder wurden zu Sprungbrettern des so genannten Islamischen Staates, dessen globaler Terrorismus-Feldzug offenbar auch mit größten Anstrengungen kaum einzudämmen ist.

Machtverschiebungen auch im Westen

Die arabische Rebellion war ein Desaster. Für die unmittelbar beteiligten Länder, aber auch für die westliche Welt und ihre Anführer. Sarkozy und Cameron sind seitdem politisch in der Versenkung verschwunden. Der letzte westliche Regierungschef, der den Aufstand als Demokratiebewegung im Nahen Osten feierte und anschob, Barack Obama, verlässt gerade die politische Arena. Gut, dafür kann er erst einmal nichts, er darf ja nicht wiedergewählt werden. Doch auch sein Vermächtnis bleibt durch die anhaltende Katastrophe im Nahen Osten nachhaltig beschmutzt.

Stattdessen haben zwei Männer an Macht und Einfluss gewonnen, die sich mit den westlichen Werten von Freiheit und Demokratie nicht lange aufhalten. Recep Tayyib Erdogan hat das Chaos in der Region genutzt, um die Türkei zu einer Autokratie zu seinen Gunsten und sich selbst zum unverzichtbaren Mittelsmann der Weltmächte zu machen. Wladimir Putin wurde vom Nebendarsteller zum mächtigsten Strippenzieher im Nahen Osten.

Für was eigentlich?

Natürlich, am stärksten litten die Menschen in den arabischen Ländern an den Folgen der unheilvollen Revolution. Syrien bleibt das abschreckendste Beispiel. Bis zu einer halben Million Menschen sind dort bisher getötet worden. Die Lebenserwartung ist durchschnittlich um 20 Jahre gesunken, die Kindersterberate um 10 Prozent gestiegen. Geschätzte 12 Millionen Menschen, die Hälfte der Vorkriegsbevölkerung von 23 Millionen, befinden sich auf der Flucht. Fünf Millionen haben das Land verlassen und leben nun in Flüchtlingscamps der Nachbarländer von der Hand in den Mund. Eine Million Menschen ist nach Europa gezogen, wo sie nichts zu tun haben, außer auf ihre Asylentscheidung zu warten.

Psychische Schäden der Überlebenden sind in Zahlen nicht zu bemessen, dürften aber ebenfalls verheerend sein. Die Trauer über den Tod von Angehörigen und Freunden oder über den Verlust von Haus und Hof, der Schmerz und die Scham durch Folter, die ständige Furcht vor Bomben, Hunger, Flucht, Exil – und alles für, ja, für was eigentlich? Der Diktator Baschar Al-Assad jedenfalls ist immer noch an der Macht und nach der Eroberung  – oder Befreiung, wie man’s nimmt – von Aleppo wohl so fest wie seit dem Beginn des Bürgerkrieges nicht mehr.

Wie sich der Westen verändert

Doch auch im Westen spüren wir die Folgen. Die Zukunft der Europäischen Union, seit der deutschen Wiedervereinigung ein Hort der Stabilität, ist seit dem Brexit ernsthaft gefährdet. Und in den USA zieht bald Donald Trump ins Weiße Haus ein. Einer, der offenbar Putin mehr respektiert als die Nato. Beides ist – nicht nur, aber auch – das Ergebnis eines verstärkten Fremdenhasses, der mit der Masseneinwanderung von Kriegs- und Wirtschaftsflüchtlingen aus den Ländern der Rebellion in den Westen gekommen ist. Gleichzeitig ist die Frequenz der Attacken islamischer Terroristen auf westliche Zivilisten erschreckend hoch, was wiederum alles andere als beruhigend wirkt. Selbst eine Partei wie die Grünen wirbt nun für Maßnahmen der staatlichen Überwachung, die unvermeidlich sein mögen, aber das Leben eines jeden einzelnen Bürgers eben auch weniger frei machen.

Krieg, Terror, Hass, Brexit, Gestalten wie Putin, Erdogan und Trump so mächtig wie nie und vielleicht in Frankreich bald eine Präsidentin Marine Le Pen – natürlich konnten die Herren Cameron, Sarkozy und Obama nicht damit rechnen, dass ihre „große Erfolgsgeschichte“ einmal so enden würde. Doch der „Winter des Missvergnügens“, wie ihn Shakespeare beschrieb und in den sich der arabische Frühling so schnell gewandelt hat, wird auch uns so bald nicht mehr loslassen.