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"Feste Plätze" und Doreen

Mahnende Worte und freundliche Überraschungen

 

Als ich Anfang März eine Wanderung in der Nähe von Dippoldiswalde machte, da verlor ich unterwegs irgendwo meinen Personalausweis. Ich hatte ihn, obwohl ich es doch besser weiß, unvorsichtigerweise lose in meine mit Reißverschluss gesicherte Jackentasche gesteckt. Um das kleine Dokument schnell bei der Hand zu haben, wenn bei der Ticketkontrolle in Bus und Bahn evtl. danach gefragt würde. Das Heraussuchen aus der Brieftasche, das eventuelle hektische Auskippen anderer Karten, Ausweise und sonstiger Portemonnaieinhalte wollte ich auf diese Weise vermeiden.

 

So der Plan. Niemand fragte mich an diesem Tag nach meinem Ausweis. Dafür war er am Abend verschwunden. Verloren aus der Jackentasche, vermutlich beim Herumkramen unterwegs.

 

Da erinnerte ich mich an eine immer wiederkehrende Ermahnung meines sehr ordentlichen Leipziger Opas: "Feste Plätze!" forderte er. Für fast alles und jeden. Durcheinander und Unordnung waren ihm äußerst zuwider. Ein geistig und körperlich produktiver Mensch; eine kultivierte Person, die sich "im Griff" hatte und nicht ein Spielball ihrer wirren Gefühle war, konnte sich seiner Meinung nach nur in einem geordneten Umfeld entwickeln.

 

Vom sprichwörtlichen Genie, welches angeblich das Chaos beherrscht, hielt er gar nichts. "Feste Plätze!" bedeutete, dass z. B. der Wohnungsschlüssel an seinem Haken zu hängen hatte, wenn man in der Wohnung war. Immer.  Nicht auf dem Schuhschrank neben der Tür liegen sollte er, nicht in der Hand- oder Hosentasche stecken oder irgendwo anders. Nichts entschuldigte das Ignorieren dieser Ordnungsregel: keine Eile, kein Stress, keine Müdigkeit oder sonst etwas.  Nein - an seinem festen Platz, am Schlüsselhaken war der Schlüssel aufzubewahren. Damit man ihn dort immer fand, wenn man ihn brauchte. IMMER.

 

Nach dieser großväterlich weisen Grundregel hätte also mein Ausweis unbedingt in der Brieftasche in seinem Fach bleiben sollen, woraus er dann im Bedarfsfall in aller Ruhe zu entnehmen gewesen wäre. WÄRE.

 

So hielt der Opa es mit allen Dingen.

 

"Feste Plätze!" rief er mahnend durch die Wohnung, wenn wieder mal jemand ratlos etwas suchte, weil er oder sie den betreffenden Gegenstand eben nicht an den für ihn vorgesehenen Ort getan hatte.

 

Dieser Ausruf des Opas wurde später auch bei uns daheim zum geflügelten Wort.

 

Im Kampf gegen das Chaos, das scheinbar rund um die Uhr tatkräftig auf der Lauer liegt, um unser verzweifeltes Ordnungsstreben zu torpedieren, wo immer es nur geht.

 

***

 

Der Ausweis war also weg, da war nichts zu machen. Eine spätere halbherzige Suchrunde ergab natürlich nichts, da ich den Ort des Verlustes nicht mal annähernd eingrenzen konnte. Statt des Ausweises fand ich eine schicke Adidas-Mütze, die ich auf die Leitplanke am Straßenrand legte. Vielleicht freute sich ja derjenige, der sie verloren hatte und möglicherweise später ebenfalls suchend hier entlangkam. Er würde erfolgreich sein, doch ich hatte es aufgegeben.

 

Da erreichte mich vorgestern ein Briefumschlag ohne Absender mit etwas Festem darin. Ich öffnete vorsichtig, und da war - mein Personalausweis. Bei ihm lag ein Zettel, handgeschrieben mit schöner, ordentlicher Schrift. Eine Doreen schrieb mir, sie hätte meinen Ausweis gefunden. Leider war über diese freundliche Person nichts weiter als der Vorname zu erfahren; gerne hätte ich mich bei ihr bedankt.

 

Ich freute mich sehr, ersparte mir das doch den Aufwand, der für einen neuen Ausweis nötig gewesen wäre - zumal ich ihn in den nächsten Wochen reisebedingt dringend brauche. Es ist  gerade heute nicht mehr selbstverständlich, einen gefundenen Ausweis aufzuheben, mitzunehmen, in einen Briefumschlag zu stecken, diesen zu beschriften, zu frankieren und schließlich in einen Briefkasten zu werfen. Das macht sicher nicht jeder.

 

Danke, Doreen.