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Das Leben der Dinge (1)

Am Tag der Antiquitäten (USA)

Möbel aus dem elterlichen Haushalt, heute bei mir daheim - mit Sonnenschein
Möbel aus dem elterlichen Haushalt, heute bei mir daheim - mit Sonnenschein

 

Heute, am 09. April, begeht man in den USA einen besonderen kleinen Feiertag: den Ehrentag der Antiquitäten.

 

Über die Hintergründe kann man auf der Website "Kuriose Feiertage" von Sven Giese nachlesen.

 

Wer so wie ich von alten Gegenständen fasziniert ist, neugierig auf die damit verbundenen Lebensläufe, auf die Seele dieser Dinge, der kann bestimmt diesem Tag etwas abgewinnen. Wobei klar ist, dass nicht jeder alte Gegenstand eine Antiquität oder wertvoll ist - was mich nicht stört.

 

Schon als Kinder sind die meisten von uns gespannt, was es mit einigen Altertümlichkeiten im Haushalt, auf Dachböden, in Garagen, bei Nachbarn und Freunden, in Museen, Burgen und Schlössern oder anderswo so auf sich hat. Dabei geht es nicht vordergründig um den materiellen Wert einer Sache, sondern um deren "Persönlichkeit", deren Vorleben - deren Geheimnis.

 

Wie alt ist dieses Porzellanservice, das schon die Urgroßeltern besaßen? Wer hat nicht schon alles aus den gold-schwarz gemusterten Tassen getrunken, die riesigen Kaffee- und Teekannen befüllt, dieses "gute" Geschirr vorsichtig abgewaschen und wieder an seinen Platz gestellt? Welche köstlichen Suppen servierte man in der dazugehörigen ungeheuren Terrine zu Taufen, Hochzeiten, Beerdigungen, Geburtstagen; zu Ostern und Weihnachten?  Woher stammen die schönen Jugenstil-Möbel im elterlichen Schlafzimmer, die mit besonders feinen Mamorplatten auf Nachtischen und Kommode belegt sind? Was ist mit jener alten Uhr, die der Opa zur Konfirmation bekam?

 

Unglaublich war für mich als Kind das Gefühl, einmal Omas Brautkleid in Händen zu halten. Auf dem Hochzeitsfoto trägt sie es, als sehr junge Frau. Und jetzt, so lange Zeit danach, lag der zarte weiße Seidenstoff tatsächlich in meiner Hand. 

 

Einige von uns beschäftigen sich noch als Erwachsene mit dem Herumstöbern, dem Sammeln und der Aufarbeitung und Reparatur alter Dinge. Egal ob Ölbild, Holzstuhl, Geschirr, Kleiderschrank, Kaffeemühle oder Schreibtisch - geht man die Arbeit richtig an, ist der Lohn ein benutzbarer Gegenstand, welcher das Auge erfreut und immer etwas Einmaliges darstellt. Abseits von heutzutage massenhaft hergestellten Billigmöbeln pappeähnlicher Konsistenz oder der alltäglichen Gebrauchs- und Dekorationskeramik, die überall anzutreffen und oft auch schön ist, aber eben noch nicht so viel erlebt hat bisher.

 

Teekanne aus dem Kaffee-, Tee- und Speiseservice meiner Urgroßeltern (Porzellanfabrik Herrmann Ohme / 1920er Jahre, Niedersalzbrunn (heute Sczawienko) im ehemaligen Landkreis Waldenburg / Niederschlesien)
Teekanne aus dem Kaffee-, Tee- und Speiseservice meiner Urgroßeltern (Porzellanfabrik Herrmann Ohme / 1920er Jahre, Niedersalzbrunn (heute Sczawienko) im ehemaligen Landkreis Waldenburg / Niederschlesien)

 

Haltbar sind gerade diese alten Möbel: gebaut für ein ganzes Leben und für das mehrerer Generationen danach - wenn diese Nachfolger denn wollen.

 

Heute in Zeiten stark ausgebildeter gesellschaftlicher Doppelmoral, vorangetriebener grüner Transformation und verdrängter traditioneller Wurzeln wird immer von "Nachhaltigkeit" gesprochen. 

 

Doch wird danach gehandelt?

 

Erbt man beispielsweise die komplette Schlafzimmereinrichtung seiner Großeltern, so sparte man sich tausende Euro für qualitativ ähnlich hochwertiges Mobiliar, wenn lieber in die Aufarbeitung des Vorhandenen investiert würde: neue Matratzen, neue Lattenroste oder Federböden für die Betten, Überarbeitung des Holzes, der kleinen Beschläge und Schlösser. Mit Tapete, Bildern, Vorhängen und Teppich kann man ein ganz eigenes, modernes Design schaffen. Worin das Alte und das Neue auf einzigartige Weise zusammenspielen. Wo die Vergangenheit noch da ist und uns manchmal vielleicht einfach durch ihr gegenständliches, im Wortsinne "begreifbares"  Vorhandensein tröstet. 

 

Doch viele wollen "was Neues", das aber auch nicht teuer sein soll. Dann ärgert man sich lieber mit instabilen, gerade gekauften Pappteilen herum, die unsensibel und teilweise peinlich verarbeitet sind, dabei kaum einen Umzug überstehen, geschweige denn ein ganzes Leben halten und das auch gar nicht sollen. Deshalb werden diese leider charakterlosen Wegwerfteile auch in kurzen Abständen durch ähnlich Wertloses ersetzt. Diese bedauernswerten Machwerke haben selten die Chance, über die Zeit ein Eigenleben zu entwickeln. Dafür können sie nichts, der Besitzer aber schon.

 

Es ist eben nicht nachhaltig, so zu handeln. Auch nicht, wenn die Pappteile angeblich klimaneutral, ohne Ausbeutung fremder Menschen und unter Schonung natürlicher Ressourcen weltweit hergestellt und transportiert werden. Während man gute Qualität, oft perfekte handwerkliche Arbeit wegschmeißt, weil sie  "unmodern" ist. Was für ein Käse.

 

Wer Ideen, etwas Mut und Geschick hat, der erfindet sich hier einen einmaligen und ganz eigenen Stil, der wirklich umweltfreundlich ist. Und noch dazu unverwechselbar, voller Erinnerungen, Geschichten und aufmunternder Gegenwart.

 

Hast Du auch ein paar solcher alten Sachen bei Dir? Dann ist heute der geeignete Tag, mal zu jedem von ihnen hinzugehen, das eine oder andere vielleicht aus seiner Dachbodenverbannung zu erlösen, darüberzustreichen, sich an die Herkunft dieser Dinge zu erinnern - und sich zu freuen, dass sie alle noch da sind.

 

Bei Dir.

 

Klavierstuhl, auf dem mehrere Generationen unserer Familie am Instrument saßen. Auf dem Foto zum Artikelbeginn ist eine Zeichnung an der Wand zu sehen, auf der mein Opa diesen Stuhl und das Klavier verewigt hat.
Klavierstuhl, auf dem mehrere Generationen unserer Familie am Instrument saßen. Auf dem Foto zum Artikelbeginn ist eine Zeichnung an der Wand zu sehen, auf der mein Opa diesen Stuhl und das Klavier verewigt hat.