"Lerne lachen ohne zu weinen"

Kurt Tucholsky 1931: "Neben den Menschen gibt es noch Sachsen und Amerikaner ..."

Tucholsky-Ausgabe 1907 - 1932, Verlag Volk und Welt 1972
Tucholsky-Ausgabe 1907 - 1932, Verlag Volk und Welt 1972

 

Bei uns daheim stand früher diese kleine Ausgabe der Werke von Kurt Tucholsky im Bücherschrank. Es gibt in diesem Design noch einen grauen Band, der Tucholskys "Briefe" enthält und später hinzukam.

 

Schon als größeres Kind las ich in diesen bunten Bänden, manches gefiel mir sehr, manches war mir damals unverständlich oder langweilig. Doch ich probierte alles aus, was ich an Lesefutter fand.

 

Heute habe ich diese insgesamt sieben Bände als gute alte Freunde wieder bei mir. In der Täterwerkstatt kommt jetzt ein 1931 in der Weltbühne veröffentlichter Text, den Kurt Tucholsky unter einem seiner Pseudonyme, nämlich als Kaspar Hauser, schrieb. Den mochte ich auf Anhieb, diesen "Aufsatz".

 

Ich erinnere mich, dass ich das Buch heimlich mit aus der Wohnung nahm, um meiner Freundin daraus vorzulesen. Dieser Text heißt "Der Mensch" und ist im Band "Lerne lachen ohne zu weinen" (das ist der mit dem braunen Schutzumschlag) enthalten.

 

Hier kommt er für Dich:

Der Mensch

 

Ein Schulaufsatz von Kaspar Hauser

Der Mensch hat zwei Beine und zwei Überzeugungen: eine, wenns ihm gut geht, und eine, wenns ihm schlecht geht. Die letztere heißt Religion.

Der Mensch ist ein Wirbeltier und hat eine unsterbliche Seele, sowie auch ein Vaterland, damit er nicht zu übermütig wird.

Der Mensch wird auf natürlichem Wege hergestellt, doch empfindet er dies als unnatürlich und spricht nicht gern davon. Er wird gemacht, hingegen nicht gefragt, ob er auch gemacht werden wolle. Früchte im Mutterleib werden vom Staat geschützt, solange sie noch nicht draußen sind; wenn sie erst einmal draußen sind, erlischt dieses Interesse.

Der Mensch ist ein nützliches Lebewesen, weil er dazu dient, durch den Soldatentod Petroleumaktien in die Höhe zu treiben, durch den Bergmannstod den Profit der Grubenherren zu erhöhen, sowie auch Kultur, Kunst und Wissenschaft.

Der Mensch hat neben dem Trieb der Fortpflanzung und dem, zu essen und zu trinken, zwei Leidenschaften: Krach zu machen und nicht zuzuhören. Man könnte den Menschen geradezu als ein Wesen definieren, das nie zuhört. Wenn er weise ist, tut er damit recht: denn Gescheites bekommt er nur selten zu hören. Sehr gern hören Menschen: Versprechungen, Schmeicheleien, Anerkennungen und Komplimente. Bei Schmeicheleien empfiehlt es sich, immer drei Nummern gröber zu verfahren als man es grade noch für möglich hält.

Der Mensch gönnt seiner Gattung nichts, daher hat er die Gesetze erfunden. Darf er schon nicht, dann sollen die andern aber auch nicht.

Um sich auf einen Menschen zu verlassen, tut man gut, sich auf ihn zu setzen; man ist dann wenigstens für diese Zeit sicher, daß er einem nicht davonläuft. Manche verlassen sich auch auf den Charakter.

Der Mensch zerfällt in zwei Teile: in einen männlichen, der nicht denken will, und in einen weiblichen, der nicht denken kann. Beide haben sogenannte Gefühle: man ruft diese am besten dadurch hervor, daß man gewisse Nervenpunkte des Organismus funktionieren läßt. In diesen Fällen sondern manche Menschen Lyrik ab.

Der Mensch ist ein pflanzen- und fleischfressendes Wesen; auf Nordpolfahrten frißt er hier und da auch Exemplare seiner eignen Gattung, doch wird dies durch den Faschismus wieder ausgeglichen.

Der Mensch ist ein politisches Geschöpf, das am liebsten zu Klumpen geballt sein Leben verbringt. Jeder Klumpen haßt die andern Klumpen, weil sie die andern sind, und haßt die eignen, weil sie die eignen sind.

Jeder Mensch hat 1 Leber, 1 Milz, 1 Lunge und 1 Fahne; sämtliche vier Organe sind lebenswichtiger Natur. Es soll Menschen ohne Leber, ohne Milz und mit halber Lunge geben; Menschen ohne Fahne gibt es nicht.

Schwache Fortpflanzungstätigkeit facht der Mensch gern an und dazu hat er mancherlei Mittel: den Stierkampf, das Verbrechen, den Sport und die Gerichtspflege.

Menschen miteinander gibt es nicht. Es gibt nur Menschen, die herrschen, und solche, die beherrscht werden. Doch hat noch niemand sich selber beherrscht: weil der opponierende Sklave immer mächtiger ist als der regierungssüchtige Herr. Jeder Mensch ist sich selber unterlegen.

Wenn der Mensch fühlt, daß er nicht mehr hinten hoch kann, wird er fromm und weise; er verzichtet dann auf die sauern Trauben der Welt. Dieses nennt man innere Einkehr. Die verschiedenen Altersstufen des Menschen betrachten einander wie verschiedene Rassen; Alte haben gewöhnlich vergessen, daß sie jung gewesen sind, oder sie vergessen, daß sie alt sind, und Junge begreifen nie, daß sie alt werden können.

Der Mensch möchte nicht gern sterben, weil er nicht weiß, was dann kommt. Bildet er sich ein, es zu wissen, dann möchte er es auch nicht gern: weil er das Alte noch ein wenig mitmachen will. Ein wenig heißt hier: ewig.

Neben den Menschen gibt es noch Sachsen und Amerikaner, aber die haben wir noch nicht gehabt und bekommen Zoologie erst in der nächsten Klasse.