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Berlin, Berlin

Goethe, Biermann und - ich: etwas wiederfinden oder nicht

Altbau am Stuttgarter Platz in Charlottenburg. Foto: Imago/Schöning (Quelle: tip-berlin.de)
Altbau am Stuttgarter Platz in Charlottenburg. Foto: Imago/Schöning (Quelle: tip-berlin.de)

 

Im Mai 1778 war Johann Wolfgang Goethe das erste Mal in Berlin, der damaligen  preußischen Residenzstadt König Friedrich des Großen. Es war auch das letzte Mal, denn trotz vieler Einladungen besuchte der in Weimar lebende Dichter die Stadt nie wieder. 

 

Doch unterhielt er gute Kontakte dahin, besaß Freunde in Berlin, die ihn ausgiebig über Neugkeiten informierten. Goethe stammte aus Frankfurt am Main, hatte unter anderem in Leipzig, Straßbourg und Wetzlar gelebt und sich dann in Weimar häuslich niedergelassen. Immer wieder unternahm er längere Reisen: nach Italien, in die Schweiz, nach Süddeutschland. Er war jemand, der gern daheim war und gern reiste. Kein Widerspruch.

 

Viele Reisebeschreibungen und Briefe Goethes sind erhalten, die uns seine Lust am Neuen, seine Wissbegier, seinen Unternehmungsgeist, seine Fantasie offenbaren. Doch ausgerechnet mit Berlin haderte er. War es ihm zu laut, zu groß, zu preußisch, zu intrigant?

 

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Während wir heute durch Berlin fuhren und ich unter anderem die herrlichen Gründerzeitfassaden wiedersah, bedachte ich meine eigene Einstellung gegenüber der heutigen Hauptstadt unseres Landes. Durchaus unpolitisch beginnt das.

 

Da meine Großeltern väterlicherseits einige Jahre aus beruflichen Gründen in Berlin lebten, war auch ich ab und zu dort. In Berlin-Lichtenberg bewohnten sie eine schöne geräumige Altbauwohnung mit Bad und Innentoilette - damals keine Selbstverständlichkeit. In Berlin-Biesdorf hatten sie ein Gartengrundstück gepachtet. Dort war ich besonders gern, im Garten, am Wasser, mit dem Opa im Motorboot unterwegs. Konkurrenz zu meinem Kindheitsberlin gab es: meine Geburtsstadt Leipzig. Dort lebten die Großeltern mütterlicherseits, bei denen ich die ersten Jahre meines Lebens verbrachte. Immer war meine Liebe zu Leipzig größer als die zu Berlin.

 

Heute noch fühle ich mich nach Leipzig mehr hingezogen als nach Berlin, doch sollte ich vielleicht mal wieder herkommen - nicht nur auf der Durchreise? Mein letzter ausführlicher Berlinbesuch liegt zehn Jahre zurück. Damals lernte ich bei einem berufsbedingten Aufenthalt dort ein paar interessante Leute kennen. Seitdem bin ich ein kleiner Union-Berlin-Fan, auch wenn ich mich sonst nicht für Fußball interessiere. Und ich habe das erste Mal das Wort "Autonazi" gehört.  Schon damals fand ich diese Wortschöpfung  geschmacklos und unangemessen, gab aber nichts weiter auf das Gerede dieser Leute.

 

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Heute hängt eine riesige Ukrainefahne an der Fassade des Bundeswirtschafts- und Klimaministeriums. Das Wort "Nazi" ist in aller Munde in der Hauptstadt. Die Fahrraddemonstranten, von denen ich es damals zuerst im neuen Zusammenhang hörte, sitzen wahrscheinlich heute in Habecks Märchenministerium. 

 

Doch ich will mich auf mein "gutes" Berlin besinnen, das es stückweise zumindest sicher noch gibt. Vielleicht gilt es in diesem Jahr, das Alte neu zu entdecken: Lichtenberg und Biesdorf, Pankow und Prenzlauer Berg, den Treptower Park, Mitte - und evtl. endlich die Pfaueninsel (auf der ich noch nie war).