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Hervorgeholt: Das Gespenst in dem Zobelschen Hause von Annaberg

Einfallsreich, mutwillig, erschreckend - der "Zobo"

 

Weil ich den Zobo so gerne mag, habe ich Dir diese Geschichte aus Annaberg nochmal herausgekramt. Vor langer Zeit hatten wir die hier. Ich dachte mir heute, dass die Geschichte vom kleinen Gespenst immer wieder Spaß macht. Es geht los:

 

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Ich habe mal wieder bei Herrn Grässe im Sagenschatz gestöbert. Dabei fand ich eine Gespenstersage aus Annaberg (Erzgebirge). Es scheint ein ziemlich erfinderischer, mutwilliger und auch witziger Geist gewesen zu sein, über dessen Wirken sogar ein Buch geschrieben wurde ! Das interessiert mich, dieses Gespenst. Aber: Zuerst die Überlieferung von Herrn Grässe:

 
Johann Georg Theodor Grässe: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen. Band 1, Dresden 21874, S. CDXLII442-CDXLIII443

 

509. Das Gespenst in dem Zobelschen Hause zu Annaberg. 

 

"Im August und September des Jahres 1691 hat ein teuflisches Gespenst in dem Bürgerhause des M. Enoch Zobel zu Annaberg vielerlei Unruhe und Confusion angestiftet, wie derselbe selbst weitläufig beschrieben hat."

 

 

 

Annaberg bei Nacht / www.ipa-annaberg.de
Annaberg bei Nacht / www.ipa-annaberg.de

 

Was geschah denn nun wirklich im Hause Zobler, im Spätsommer des Jahres 1691 ?

 

Was war das für ein Gespenst ? Was tat es ?

 

Also dann, pass gut auf:

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Enoch Zoblers Buch über unser Gespenst / Quelle: Bibliotheksarchiv
Enoch Zoblers Buch über unser Gespenst / Quelle: Bibliotheksarchiv

 

Ende des 17. Jahrhunderts lebte der Erzdiakon Enoch Zobler in Annaberg im Erzgebirge.  Als hoher Würdenträger der evangelischen Kirche, gleich nach dem Bischof im Rang folgend, bewohnte er ein schönes Haus der Annaberger Innenstadt in der Nähe des Marktes.

 

Herr Zobler war ein gelehrter Mann. Ein Theologe, der sogar an der Leipziger Universität gelehrt hatte. Nun war er nach Annaberg gekommen. Enoch Zobler hatte ein rustikales Eheweib, die Zoblerin, welche mit Taufnamen Benedikte hieß, was sie nicht mochte - aber nicht ändern konnte. Beide hatten mittlerweile sieben Kinder, die gesund und munter durch das Haus tobten, die Treppen herauf und herunterrannten und -fielen, lärmten, den Eltern die Haare vom Kopf fraßen und allerhand Streiche ausheckten. Vor allem die beiden Ältesten, Johannes und Heinrich, waren stadtbekannt für ihren intelligenten Übermut.

 

So wundert es uns nicht, dass es zunächst nicht so auffiel, als unser Gespenst, wir nennen es mal Zobo, ins Haus eingezogen war.

 

Zobo reagierte zunächst ungläubig und verblüfft auf die Ignoranz seiner auserwählten Familie. Denn das Gespenst war nicht umsonst hierher gekommen. Es war etwas eitel, standesdünkelhaft und wissensdurstig, deshalb wollte es gerne bei einem Gelehrten wohnen, in der Stadt. Außerdem war hier der Komfort besser als auf dem Dorf draußen, zumal im 17. Jahrhundert. Und Zobo mochte keinen Stallgeruch, viel lieber waren ihm da die Küchendüfte, die durch die beträchtlichen Koch- und Backkünste Benediktes verursacht wurden.

 

Da keiner Notiz von Zobos Ankunft nahm, die sich durch leichtes Türenzuschlagen, Wind im Haus und ein singendes leises Geräusch im Raum ankündigte, begann unser Gespenst mutiger zu werden. Erst klapperte es mit den Küchenutensilien herum, immer lauter werdend. Dann erschreckte es die Singvögel der Hausfrau, die in einem Käfig im Stubenfenster standen und nun hektisch schreiend hin und her sprangen.

 

Das zumindest bewegte Benedikte dazu, mit einer hochgezogenen Augenbraue prüfend ins Zimmer zu gucken, Sie vermutete eine fremde Katze auf der Fensterbank. Nichts zu sehen. Na gut, wer weiss, dachte sie und eilte wieder an ihre Arbeit.

 

 

"Das gann ja wohl nich wahr sinn..." schimpfte Zobo vor sich hin. Den Dialekt hatte das Gespenst aus Halle mitgebracht, wo es eine Weile im Haushalt eines Mediziners herumgespukt hatte. Nun sann es täglich neue Streiche aus, um die hiesigen Hausbewohner zu erschrecken.

 

Zuerst gelang ihm das bei der alten Magd Christel, einer frommen und etwas furchtsamen Person. Zobo sang ihr ins Ohr, pustete ihr ins Gesicht, stieß gegen ihren Wassereimer - so dass er überschwappte und Christels Strümpfe durchnässte. Nachts jammerte es gespenstisch durch den Hausflur. Auch verschwanden Dinge, um dann urpötzlich irgendwo wieder aufzutauchen. Wenn man bei der Sucherei nach ihnen schon fast verzweifelt war. Dunkle Schatten bewegten sich an der Wand, helles bläuliches Licht unbestimmbarer Quelle erleuchtete nachts wie aus dem Nichts die Betten der Hausbewohner. Darüber erschraken alle sehr. 

 

Zobo war nun sehr zufrieden. Familie Zobler indes fürchtete das ihrer Meinung nach gottlose Geschöpf und meinte, es sei vielleicht gar mit dem Teufel im Bunde. Was nicht den Tatsachen entsprach. Denn Zobo war so fromm wie eine alte katholische Nonne. Nur war es eben ein Gespenst und musste spuken und Mensch und Tier erschrecken, das war seine Aufgabe. Sehr gerne saß Zobo nach getaner Arbeit in der schönen Annenkirche. Hier lauschte es dem Heulen des Windes um den Kirchturm und dem Kirchenkantor beim Orgelüben. Manchmal summte es leise mit und wurde etwas melancholisch, wenn die Frau des Pfarrers den Altar mit Blumen schmückte. Es freute sich aufs Erntedankfest und vor allem - Weihnachten!. Ja, ja - Zobo war schon ein besonderes Gespenst. Das konnten die Menschen aufgrund ihrer allgemeinen Beschränktheit (aus Gespenstersicht) natürlich nicht wissen.

 

 

Deshalb begannen Familienmitglieder, Bedienstete und Freunde, sich regelmäßig am Tag im Gespensterhaus zu treffen. Hier besprachen sie die Lage, beteten gemeinsam und sangen fromme Lieder. Auch das vom Luther "Ein' feste Burg ist unser Gott" - Zobos Lieblingslied. Vor der Textstelle "Und wenn die Welt voll Teufel wär..." gruselte es sich immer. Nun hätte diese ganze Betriebsamkeit das Gespenst eigentlich nicht verjagt, sondern eher entzückt. Liebte es doch die Musik über alles und war der Überzeugung, auch selbst ein Geschöpf Gottes zu sein. Aber Familie Zobler und die anderen Beteiligten, allen voran Frau Benedikte und Christel, sangen so scheußlich, dass Zobo starkes Kopfweh und Zahnschmerzen bekam und eine Zeitlang aufs Spuken verzichten musste.

 

Es genas schließlich wieder und trat erholt eine neue Gespensterwoche an. Hier hatte sich Zobo nun etwas Besonderes ausgedacht. Nachdem es einige Dinge versteckt und wie üblich etwas Wind gemacht hatte, schob es Möbelstücke durchs Haus und holte alte Kleidungsstücke aus den Tiefen der Schränke. Davon drapierte Zobo einiges im Hausflur und in den Wohnräumen. Einige Unterröcke der Hausfrau, eindeutig aus deren schmaleren Zeiten, hängte der Geist über den Gartenzaun im Hof und sah wohl die lüsternen Blicke von Herrn Enoch, der an früher dachte. Nun ja.

 

 

So, nun sammelte Zobo etwas Fichtenreisig draußen vor der Stadt. Auf dem Rückweg erschreckte es noch den Bäckermeister Roscher, indem es ihm von hinten auf den krummen Rücken sprang. Der Mann schrie auf und rannte davon. Später war dann von einem bärenhaften Wesen die Rede, was Quatsch ist, wie wir nun wissen.  Mit den Fichtenzweigen aber schmückte Zobo bei seiner Rückkehr das Zoblersche Haus.

 

Seine beste Idee kam erst noch. Opfer war diesmal die arme Christel, die sich eines Freitagabends im Holzzuber des Waschhauses ein Bad bereitet hatte. Glücklich und erschöpft von der Woche saß die Magd im dampfenden Wasser, summte ein frommes Lied und entspannte sich. Als es auf einmal an der Tür raschelte. Christel schrak auf und blickte zur Waschhaustür. Da erstarrte sie. Leise, ganz leise und langsam öffnete sich die Tür. Sie knarrte nicht. Keine Menschenhand würde das so vollbringen.

 

Und da !!!! Ein Schatten an der Wand. Länglich und schwarz. Was war das ?! Gebannt starrte Christel dahin.

 

Kein Zweifel ! Ein schöner muskulöser und nackter Männerarm ! Christel kreischte entsetzt. Der Hausherr kam erschrocken ins dampfende Bad gestolpert, hatte er doch den Schrei gehört. Nachdem er sich an die dampfige Luft gewöhnt hatte und wieder etwas sah - sah er - Christel in der Wanne !!! Nun stieß auch er einen Schrei aus. Dann schwiegen beide abrupt. Enoch reichte Christel ein Badelaken, in das sich die fromme Person sofort einhüllte. Dann erzählte sie ihm, was sie beobachtet hatte.

 

 

 

 

"Dieses verdammte Gespenst !" schrie Herr Zobler, der Erzdiakon. Wie konnte dieses Wesen es nur wagen, ihm, dem Würdenträger, so auf der Nase herumzutanzen ? Es reichte jetzt endgültig. Erst heute früh war er selber sehr erschrocken. Als Zobler nämlich früh am Morgen in der Dämmerung die Hühnereier aus dem Garten ins Haus holte, da guckte seine Urgroßmutter in ihrer schwarzen Haube freundlich grinsend aus dem Küchenfenster. Schräg über die noch geschlossenen gelben Mittagsblumen im Fenstertopf sah sie ihn an. Aber sie war es nicht. Sie konnte es nicht sein ! Denn Urgroßmutter war schon seit vierzig Jahren tot und würde wohl heute aus keinem Fenster mehr herausschauen. Es war natürlich Zobo. Der Schreck aber saß Enoch Zobler tief in den Knochen. Die Frühstückseier hatte er fallen lassen. Die Katze freute sich und begann gerade, die Eiermatsche aufzuschlecken. Aber Frau Benedikte kam wie eine Kanonenkugel aus dem Haus geschossen, gefolgt von der Mehrzahl ihrer Kinder. Das Gespenst war über die aus dem Haus stürzende Frau so nun selber dermaßen  erschrocken, dass es ihr aus Versehen eine kräftige Ohrfeige gab. Die Katze stob davon.

 

Das war nicht nett, aber effektiv. Sofort war Ruhe.

 

Die wie aus dem Nichts getroffene Frau fasste sich ungläubig an die schmerzende Wange. Alle anderen standen stumm, mit aufgerissenen Augen, im Hof des Zoblerschen Anwesens. An einem Septembertag des Jahres 1691.

 

Nach dieser gespenstischen Hochleistungsphase Zobos wurden die Gebete und dazugehörigen Gesänge im Haus intensiviert. Dreimal mindestens täglich traf man sich bei der geplagten Familie. Zobo war bald entnervt, denn die Beteiligten waren wirklich grauenhafte Sänger und Sängerinnen vor allem. Das Gespenst hatte schon begonnen, an seinen Fingernägeln zu knabbern, so nervös war es geworden. Als dann eines abends alle fünf Strophen des Lutherliedes "Aus tiefer Not schrei ich zu Dir" wirklich mehr geschrien und gekrächzt als gesungen  wurden, da gab Zobo auf. Zitternd packte das Gespenst seine Sachen und verließ das Haus des Erzdiakons für immer und legte auch den an den Familiennamen Zobler angelehnten eigenen Namen "Zobo" ab.

 

***

 

Einige Wochen später, in der gemütlichen Vorweihnachtszeit, war unser Gespenst wieder vollständig erholt. Auch ein neues Zuhause hatte es gefunden. Unweit der Stadt Dresden, in Rabenau wohnte es jetzt. Bei der sehr belesenen und musikalischen Witwe eines ehemaligen Steuerbeamten. Da diese Person ziemlich schwer hörte und schon etwas vergesslich war, störte sie sich nicht an den Streichen ihres neuen Hausgenossen. Dieser hatte aus seiner Annaberger Erfahrung gelernt und verhielt sich zu Hause etwas zurückhaltender. Das Gespenst lebte mit der Steuerbeamtenwitwe in schöner Eintracht und sehr friedlicher Koexistenz. Auch als es in der Adventszeit begann, nachts leise Weihnachtslieder zu singen, so störte es die Witwe nicht. Diese kluge Frau kaufte auch ein Jahr später das Buch eines gewissen Enoch Zobler, der über seine Gespenstererfahrungen in Annaberg berichtete. Das 1692 erschienene Buch hieß "Historische und theologische Vorstellung eines Gespenstes". 

 

Unser Gespenst las es mit großer Aufregung, vor allem die Szene mit der Ohrfeige für Frau Benedikte, "deren Spur am nächsten Tag noch durch rote Streifen im Gesicht " zu sehen gewesen war und die Erinnerung an den furchtbaren Gesang im Hause Zobler regten es auf. Doch als es fertig gelesen hatte, lächelte es. Etwas selbstgefällig zwar, aber immerhin.

 

Wie gut, dass es jetzt in Rabenau so glücklich lebte. Wie sein neuer Name nun war ? Nun, wir verraten es nicht...... Vielleicht wohnt es ja noch dort und will nicht erkannt werden.

 

***

Der Maulwurf grinst. Nein, von ihm erfährst Du das wohl auch nicht. Er hält dicht und ist ein guter Geheimnisbewahrer, wenn er will.