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Zeichen und Wunder

Die Uhr

Geheimnisvoller und unerwarteter Fund hier
Geheimnisvoller und unerwarteter Fund hier

 

Als ich gestern nach Dienstschluss einen Feldweg entlangging und in ein kleines Wäldchen einbog, da blinkte plötzlich etwas im Gebüsch. So ein gleißender Lichteffekt, wie wenn man jemanden mit einem kleinen Spiegel auf sich aufmerksam machen will, ihn mit dem Lichtfleck verwirrt und neckt. Neugierig und auch angespannt ging ich auf das Blinkern zu. Man weiß ja nie, was einen da erwarten kann.  Und fand schließlich - eine Armbanduhr, die jemand ordentlich an einem Ast des hier wachsenden hohen Gebüschs befestigt hatte.  Damit sie vielleicht gefunden werden kann von ihrem "Verlierer". Die Abendsonne schien auf das gläsern bedeckte Ziffernblatt und spiegelte sich darin.

 

Ich staunte sehr, war fassungslos.

 

Denn das war nicht irgendeine Armbanduhr, nein - sondern die meiner Leipziger Oma! Genau kenne ich diese Uhr, die sie jahrelang im Alltag trug, solange ich mich zurückerinnern kann. Das schmale schwarze Lederarmband, das goldgerahmte zarte Rechteck mit den leicht erhabenen Ziffern auf weißem Grund, die typischen Abnutzungsspuren, die so einen Gegenstand einzigartig und für den aufmerksamen Betrachter immer erkennbar machen. Wie kommt diese Uhr hier an den Ast?

 

***

 

Nun ist meine Oma schon seit zehn Jahren tot, doch sie hinterließ damals diese Uhr meiner Mutter. Die benutzte sie ebenfalls im alltäglichen Leben, denn für die feineren Anlässe hatte sie auch eine feinere Uhr....

 

Eines Tages Anfang August, meine Mutter war auf "Hunderunde", öffnete sich das Armband der Uhr unbemerkt. Am Ende des Spaziergangs war die Uhr weg und ließ sich auch beim Suchen auf den hiesigen  Wiesen- und Feldwegen in den darauffolgenden Tagen nicht finden.

 

Ärgerlich und traurig erzählte meine Mutter mir von diesem Verlust, da die kleine Armbanduhr für sie einen großen ideellen Wert hatte. Weil sie ja ein Erinnerungsstück an meine Oma war. Weg ist weg, sagte ich - da kann man jetzt nichts mehr ändern. Überall auf oder neben den Spazierwegen könnte das kleine Schmuckstück liegen, unauffindbar. Wie die Nadel im Heuhaufen.

 

***

 

Wochen vergingen. Meine Mutter starb.

 

Und ich lebe noch und finde jetzt die Uhr wieder. Nachdem ich mich von meinem Erstaunen erholt hatte, dachte ich mir: wie schön es wäre, jetzt meine Mutter anrufen zu können. Sie zu fragen: "Na, was denkst Du denn, was ich gerade vor mir liegen habe?" Um dann mit der Sprache herauszurücken, mich an ihrer Freude zu freuen und ihr später die Uhr wiederzubringen. Leider geht das nicht mehr. Aber ich denke an meine Mutter. Und ich überprüfe die Uhr. 

 

Sie geht noch.

 

Ich werde das Schmuckstück jetzt ab und zu tragen - denn: diese kleine, einfache Uhr ist auch für mich noch wertvoller geworden.