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Hervorgeholt: Kontrollverlust und Jogginghose

Inhalt und Form

Jogginganzug von Karl Lagerfeld (Bildgrundlage HIER)
Jogginganzug von Karl Lagerfeld (Bildgrundlage HIER)

 

„Jogginghosen sind das Zeichen einer Niederlage. Man hat die Kontrolle über sein Leben verloren und dann geht man eben in Jogginghosen auf die Straße.“  (Zitat aus "Karl über die Welt und das Leben" von  Jean-Christophe Napias; Sandrine Gulbenkian und Karl Lagerfeld)

 

 

Dieses Zitat über Jogginghosen wird dem berühmten Designer Karl Lagerfeld (1933 - 2019) zugeschrieben. Man findet es wirklich in einem der Bücher, die über ihn geschrieben wurden. Das Buch "Karl über die Welt und das Leben" hat er selbst autorisiert, man kann also davon ausgehen, dass er mit dem darin zu findenden Jogginghosen-Bonmot zumindest einverstanden war.

 

Es gibt Lagerfeld-Jogginganzüge, ja. Liest man das Zitat genauer, dann fällt auf, dass Lagerfeld sich nicht grundsätzlich gegen das Tragen von Jogginganzügen ausspricht. Aber er verbittet sich den Ersatz der Alltagskleidung durch Sportkleidung. Auch sehr zu recht, finde ich.

 

Natürlich ist Mode immer Geschmacksache und es kann einem auch wurst sein, was Karl Lagerfeld meinte oder nicht.

 

Mancher legt mehr Wert auf sein Äußeres als ein anderer. Einer trägt gerne leuchtende Farben, bunte Muster, verschiedenste Stoffe. Der nächste ist mit Jeans und schwarzem oder weißen T-Shirt zufrieden. Es gibt Frauen, die ziehen leider nie Röcke und Kleider an und zwängen sich lebenslänglich in oft unvorteilhafte Jeans. Wie gut ein dickerer Hintern in einem Kleid aussieht, wenn darüber ein schönes Dekolleté sichtbar ist. Wie schmeichelhaft eine ziemlich magere Figur von einem bunten Sommerkleid umspielt wird. Wie knackig ein schicker Rock aussieht, auch wenn er mit Turnschuhen und lockerem Shirt kombiniert wird.

 

Kleider machen Leute. Wie Du Dich anziehst, das sagt etwas aus. Über Dich und Deine Einstellung Deiner Umwelt gegenüber. Über Einfallsreichtum, finanzielle Möglichkeiten, die Beziehung zum eigenen Körper, Respekt anderen gegenüber, über die Lust am Spielen, Mut. Oder auch den Verzicht auf Schnickschnack. Die Reduzierung auf Notwendiges. Die Aussage: interessiert mich nicht; ich lege auf Äußerlichkeiten keinen großen Wert.

 

In früherer Zeit gab es eine strengere Kleiderordnung. Mit der Kleidung zeigte man Respekt für einen Anlass, eine Institution, für sein Gegenüber. Ein Sonntagskleid, einen "guten Anzug". Die meisten Menschen in zivilisierten Gesellschaften gehen auch in moderner Zeit nicht im Bademantel und Flipflops zur Arbeit oder in der Kittelschürze mit Adiletten auf ein Hochzeitsfest oder im Schlabberlook zum ersten Date. Warum? Siehe oben: man würdigt sein Umfeld mit seinem Auftreten. Und die äußere Form gibt einem unter Umständen auch inneren Halt.

 

Ich erinnere mich an das Anziehen besonders schöner Sachen, unalltäglicher Kleidungsstücke, schon als Kind. Dann, wenn man etwas Besonderes vorhatte: feierte, ausging, sich zeigte.  Inhalt und Form wirken auch hier zusammen.

 

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Wann begann dieser heute sichtbare "Verfall"? Seit wann ist es normal, in Schlabberhosen zur Arbeit, zur Schule, zum Einkaufen, wohin auch immer zu gehen? Wahrscheinlich unternehmen heute Leute in Joggingkleidung alles mögliche, nur wenig Sportliches. Wozu diese Sachen eigentlich mal gemacht wurden, scheint heute weitgehend uninteressant.

 

Frühere Moden sind heute vergangen. Dass Männer hauptsächlich Anzüge tragen, dass beide Geschlechter nur mit Hut auf die Straße gehen, dass Pumps nicht zu Hosen passen, das Rot und Pink nicht zusammen getragen werden sollen, dass eine seriöse Frau tagsüber keinen knalligen Lippenstift verwendet, dass ältere Personen keine bunte Kleidung tragen - wie auch immer. Schnee von gestern.

 

Veränderung ist auch schön, eröffnet Möglichkeiten. Bliebe alles immer gleich, auch in der Mode, wäre es langweilig. Jetzt gibt es angenehm zu tragende Stoffe, die pflegeleicht sind, atmungsaktiv und dabei wunderschön. Kommt halt drauf an, was daraus genäht wird.

 

Allein die reine Bequemlichkeit zur Mode zu machen, egal zu welchem Anlass? In Jogginghose zur Arbeit, zum Einkaufen, zum Wandern, ins Cafè, ins Kino, ins Konzert, zur Party, zum Fest?

 

Nein, auf keinen Fall.

 

Es ist einfach zu schade um das, was man dann nicht mehr sieht:

 

Genau so bequem wie ein Jogginganzug, aber viel schöner. (Mode von Blutsgeschwister, Foto: fashionstreet-berlin.de
Genau so bequem wie ein Jogginganzug, aber viel schöner. (Mode von Blutsgeschwister, Foto: fashionstreet-berlin.de