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Voll normal - oder nicht?

Vom Springen in unbekannte Gewässer

Altstadt am Abend im Dezember
Altstadt am Abend im Dezember

 

Schön ist die alte Stadt in dieser Jahreszeit; winterliches Dunkel liegt beizeiten über den weihnachtlich beleuchteten Straßen und Gassen. Man geht auf den Weihnachtsmarkt und in die Geschäfte, kauft Alltägliches, Adventsklimbim und - Weihnachtsgeschenke.

 

Schön, wenn der Schmerz nachlässt, denke ich mir. Nach über zwei Jahren Corona-Maßnahmen-Zirkus freut man sich einfach über das, war wir "Normalität" nennen.

 

Wann war eigentlich jemals irgendwas "normal"? frage ich mich heute manchmal. Was ist denn das überhaupt?

 

Und - Du wirst lachen - ich erinnere mich deutlich an Zeiten, die nicht besser oder leichter waren als heute, nein. Aber deutlicher geprägt vom gesunden Menschenverstand und der Abwesenheit einer Unmenge an heute üblichen Absurditäten.

 

Normal eben.

 

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Für die Jüngeren, die sich vielleicht nicht mehr erinnern, ein paar Beispiele:

 

Man ging ohne Outdoor-Equipment in den Wald. Ohne Wasserflasche, Proteinriegel, Kompass-App und Satelliten-Navigation. Nur auf längere Wanderungen nahm man was zu trinken und ein paar Bemmen mit. Heute, wo Rentner im Partner-Jack-Wolfskin-Look mit Wasserflaschen oder isotonischen Sportgetränken in der Hand mutig die Fußgängerzone der Stadt entlanggehen, erscheint frühere Leichtigkeit weit weg. Außerdem haben die ganz sicher eine Reiseversicherung abgeschlossen,  Sagrotan-Tücher und für alle Fälle eine FFP2-Maske einstecken ...

 

Man diskutierte nicht andauernd über sein Geschlecht, seine sexuelle Orientierung, seine Vorlieben und was damit zusammenhängt. Man hatte nämlich auch anderes zu tun, so am Tag. Klar gab es Probleme, die mit Vertrauenspersonen besprochen wurden. Schönes, Schlimmes und Abenteuerliches, was auch mal erzählt sein wollte. Aber dieses dauernde Kreisen um den eigenen Hintern war nicht populär.

 

Es war mehr Privatheit üblich, was nicht mit Verklemmung und Prüderie verwechseln werden sollte. Schließlich hatten der "Summer of Love", die Verfügbarkeit der Verhütungspille die Gesellschaften in Ost und West verändert. Man belästigte trotzdem nicht zwanghaft sein Gegenüber mit seinen intimsten Themen, definierte sich nicht ausschließlich über sein Geschlecht. Doch war sexistische Pöbelei an der Tagesordnung, das muss auch gesagt werden.

 

Man ging arbeiten, in die Ausbildung, zur Schule oder in die Uni. Man besaß einen Hund oder Wellensittich, sammelte internationale Zigarettenpackungen oder Briefmarken, baute Modellflugzeuge, züchtete Kaninchen, hörte die Hitparade, fuhr Rad, Auto oder Moped, ging zum Wandertag, kochte Experimentelles oder Klassisches, übte Klavier, guckte sich unter der Hand kursierende Pornohefte an, traf sich mit den Sportschützen, nahm an Schwimm- oder Matheolympiaden teil oder am Kirchenkreis, mauerte die Garage des Nachbarn, flirtete mit ihm oder dessen Frau. Manchmal oder öfter oder immer war man ernsthaft verliebt. 

 

Da gab es so viel Neugier und Ausprobierlust, weil man nicht schon im Kindergarten mit Sado-Maso-Praktiken, Lederstrapsen, bunten Transvestiten und Transgenderideologie angeödet wurde und das alles mit Lego-Figuren mehrmals durchgespielt hatte. Niemand musste sich im Kleinkindalter schon mal gedanklich an unnatürliche Familienzusammensetzungen gewöhnen. Schon die Kleinen spielten Vater, Mutter Kind. Junge war Junge, Mädchen Mädchen. Es gab kleine Jungs, die lieber mit Puppen spielten als mit Autos. Und Mädchen, die sich immer den größten Sandbagger schnappten. Die "glückliche" Familie war sicher auch damals eine Ausnahme und nur wenigen vergönnt; bei den meisten ging es irgendwie.

 

Vieles, so kann ich für mich selbst sagen, wusste man erst mal überhaupt nicht, hatte keine Ahnung und dafür später um so erstaunlicheren Spaß am Herausfinden, am Erforschen, am Verstehen. Am Erleben. Enttäuschung gehörte auch dazu, klar.

 

Es gab insgesamt mehr Leichtsinn, mehr Unbekümmertheit, mehr Risikofreudigkeit, mehr Härte - was nicht immer gut war. Gab es mehr Schmerz? Vielleicht, vielleicht nicht. Aber das damit verbundene Lebensgefühl war schöner und purer, auch wenn es gefährlich sein konnte. Oder auch gerade deshalb. Sex ohne Kondome, Radfahren ohne Helm, Springen in unbekannte Gewässer, Konsumieren abenteuerlicher Mixturen, Rauchen und Trinken bis zum Abwinken. Sich um Kopf und Kragen reden. Wenn es schief ging, die Konsequenzen aushalten.

 

Heute kaum vorstellbar, wo schon das Essen ungewaschenen Nicht-Bio-Obstes oder der Verzicht auf Atemschutzmasken im öffentlichen Raum als verantwortungslos und gefährlich gelten.

 

 

 

Ich kenne noch jede Menge ganz normale Männer, die weder krasse Machos noch weichgespülte Malte-Torbens waren und sind. So einer fragte nicht, ober er Dich jetzt küssen darf oder nicht, ob mehr angesagt ist oder eher nichts. Er begriff auch ohne Männerselbsthilfegruppe mit Stuhlkreisdiskussion, was er zu tun und zu lassen hatte. Meistens. Die Frauen dagegen überlegten nicht täglich, ob sie denn das Lustobjekt eines Mannes sein wollten und wie ungerecht das Patriarchat sie behandelte. Die meisten hatten Spaß am Schönsein, am Begehrtwerden und konnten mit oft derbem Sexismus und hartem Alltag ganz gut umgehen.

 

Die Leute trugen keine Checklisten für alles bei sich, die meisten fragten sich nicht dauernd, was erlaubt war oder angebracht. Gewalt gab es, aber nicht jeder zweite hatte ein Messer dabei. Es herrschten noch ein paar Grundsätze: dass man keinen weiter schlägt, wenn er am Boden liegt. Dass Gewalt gegen Schwächere hässlich ist. Dass nicht mehrere auf einen gehen. Dass auch einem Gegner gegenüber bestimmte Regeln gelten und nicht alles erlaubt ist.

 

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Schweißerin im VEB Warnowwerft Rostock (Foto: Harald Lange/ imago images) / www.spiegel.de
Schweißerin im VEB Warnowwerft Rostock (Foto: Harald Lange/ imago images) / www.spiegel.de

 

Bestimmte Sachen hatten die meisten im Instinkt, anderes in der Kinderstube gelernt, mit der Zeit erfahren.

 

Und dann war da die allgemeine Spießigkeit, das Beobachten der Nachbarn, das Spähen durch die Gardinen, das Verurteilen derer, die "anders" waren. Das Gerede der Familie, der  Mitschüler und Kollegen. Nicht schön.

 

Der Unterschied zu heute: die damaligen Spießer hielten was auf sich, wußten aber genau, dass sie nicht fortschrittlich waren, wollten das auch gar nicht sein. Jetzt ist es so, dass die sich fortschrittlich Nennenden oft gerade extrem kleinkariert und intolerant sind, es aber nicht von sich ahnen. Oder wenigstens niemals zugeben würden, wie groß ihre Anmaßung und ihre Borniertheit sind. Auch ist die Humorlosigkeit dieser Leute auffällig.

 

Man war damals noch näher am praktischen Leben, weil noch nicht soviel unterstützende Technik verfügbar war. Fast jeder konnte einen Ofen heizen, ein Spiegelei braten, einen Fahrradschlauch flicken oder eine Wand streichen. Der Fernseher (mit nur wenigen Sendern) hatte noch keine eigene Bedieneinheit mit 38 Tasten, am besten noch doppelt belegt. Das Telefon war mit einer einfachen Wählscheibe ausgestattet, die jeder Schimpanse schnell zu bedienen lernte. Man konnte damit telefonieren, sonst nichts. Oder doch - werfen ging auch.... Da nicht jeder ein Telefon hatte und man damit nicht das Haus verlassen konnte, rief man sich auch nicht andauernd an. Sondern traf sich lieber, ohne Wasserflasche und ohne ... und da schließt sich für heute hier der Kreis.

 

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Mag sein, dass Erinnerung manches verklärt.

 

Es gab damals auch Schlimmes, was zum Glück heute überwunden ist. Doch der "Hausverstand", wie das in Österreich heißt, hatte klar die Oberhand - auch, wenn einem das persönlich nicht immer bewusst war und auch nicht immer gepasst hat.

 

Niemals hätte man freiwillig in der Gesellschaft anhaltende und grundlose Nichtleistung mit Geld unterstützt, die Existenz von Mann und Frau und der klassischen Familie infrage gestellt, unkontrolliert kulturfremde Menschenmassen ins eigene Land gelassen, leichtsinnig wirtschaftliche Grundlagen zerstört.

 

Niemals wären diese dauerhafte Ausplünderung eines Landes, die täglichen Vergewaltigungen und Messerstechereien als normal hingenommen worden - weil das hier eben nicht normal ist.