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Dazu NEIN sagen!

"Verschwörerische und rassistische Ratten"

 

Als Kind guckte ich mir gern mit meinen Großeltern alte Fotos an. Bilder, wo die heute Älteren noch Kinder oder junge Leute waren.

 

Das Baby, das der Opa war.

 

Der Junge, der später ernst neben seinem Bruder stehend in die Kamera schaut. Die Omas als junge Mädchen, schöne Frauen. Viel später der Vater und die Mutter als Brautpaar und als jugendliche Eltern. Im Freibad, auf der Straße, in der Sommerfrische, im Beruf, bei Festen. Oft mit fröhlichen Gesichtern.

 

Meine Leipziger Oma überlebte die Bombenangriffe auf ihre Heimatstadt, rettete ein Pflegekind der Familie und sich selbst einmal aus großer Gefahr während eines Brandes in einer solchen grauenhaften Nacht.

 

Auf einem kleinen Schwarzweißbild mit gezacktem Rand war diese blonde junge Frau, die später die Mutter meiner Mutter werden sollte, zu sehen: lachend. Gemeinsam mit ihrer Freundin A. saß sie auf einer steinernen Mauer, beide in Sommerkleidern, schön frisiert.

 

Auf meine Frage, wann und wo genau das denn sei, sagte meine Oma: Ach, das war im Krieg. Ich staunte. Als Kind konnte ich mir nicht vorstellen, dass jemand im Krieg was zu lachen hatte. Dass auch im Krieg nicht immer und überall Bomben fielen, getötet wurde, Menschen starben, das war mir noch nicht klar. Dass in Parallelwelten ein Leben gelebt wurde, wo man sich um Normalität bemühte, so gut es ging und ein Stück vom Glück zu fassen suchte. Weihnachtsbäume wurden geschmückt und Kuchen gebacken, man verliebte sich, zog um in eine andere Wohnung, legte einen Garten an - trotz all dem da draußen.

 

Man versuchte, sich eine Meinung zu bilden und in der Welt klarzukommen. Man glaubte, hoffte, verstand, verstand nicht, verzweifelte, verdrängte, vergaß. Verdrängte vor allem, was unfassbar erschien und einen selbst vor unlösbare Probleme gestellt und möglicherweise die Freiheit, sogar das Leben gekostet hätte.

 

Manchmal auch zu groß die Dimension für den kleinen Menschen, zu unglaublich die Dinge, die, wenn überhaupt, meistens nur äußerst vorsichtig angedeutet wurden.

 

Dass man nicht glauben mochte, was mit den Juden geschah. Dass man sich nicht vorstellen wollte oder konnte, was in Lagern wie Buchenwald oder Auschwitz passierte. Was auch deutsche Soldaten polnischer oder russischer Zivilbevölkerung antaten. Dass in der DDR verdrängt wurde, was in Bautzen geschah, in Hoheneck, an der innerdeutschen Grenze. Was die Stasi machte. Dass nach 1945 das KZ Buchenwald von den Russen weiter betrieben wurde, nur mit anderen Häftlingen....

 

Ich verstehe diese Angst, wenn es einmal so weit gekommen ist und das Eintreten für eigene Überzeugungen, das Festhalten an eigener Menschlichkeit das Leben kosten kann. Oder die wirtschaftliche Existenz. Wenn man damit nicht nur sich selbst, sondern seine Familie, seine Freunde und Kollegen in große Gefahr bringt. 

 

Alles fängt einmal an.

 

Oft klein, unmerklich, scheinbar unbedeutend. Nicht sofort gab es nach 1933 Vernichtungslager, nicht sofort brachte man die Juden weg aus ihrer Heimat. Man bereitete das Volk vor. Ein Schritt. Und noch einer. Und noch einer. Und noch viele waren nötig, um das Grauenhafte anzurichten, was wir heute wissen. Nicht unverständlich finde ich die Angst, sich gegen einen grausamen und scheinbar allmächtigen Feind zu stellen, bei dem nichts gilt außer dass der Zweck die Mittel immer heiligt.

 

Aber die besonderen Anfänge, denen man bekanntlich immer wehren soll, was ist damit? Sich selbst eine Überzeugung zu schaffen und dazu auch zu stehen. Sich zu wehren gegen Verunglimpfung und Entrechtung Andersdenkender. Nicht bei jedem Druck einzuknicken und alles zu tun, was verlangt wird. Immer wieder hingucken, Sachverhalte hinterfragen, auf negative Entwicklung hinweisen. Herauskommen aus der lauen Komfortzone; denken und seine Meinung äußern. Sachlich.

 

Nein sagen, wenn es drauf ankommt und wenn es noch geht.

 

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Die Tagesschau veröffentlichte am letzten Samstag einen Artikel auf ihrer Website, in dem im Zusammenhang mit der Plattform Twitter die Rede von Andersdenkenden war. Man nennt sie hier bei der ARD "verschwörerische und rassistische Ratten", die "in ihre Löcher zurückgeprügelt werden müssen". Schreibt ein Journalist in seinem Kommentar auf der Website des öffentlich rechtlichen Rundfunk im besten Deutschland aller Zeiten; eine Sprache, die an Goebbels und den "Stürmer" erinnert. Das ist keine beliebige Kleinigkeit, sondern zeigt die Richtung, wo es hingeht.

 

Zum Glück haben viele NEIN dazu gesagt, der Sender korrigierte seinen Beitrag und stellte klar, dass es ja so nicht gemeint war. 

 

Wie denn dann?! 

 

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Anbei der archivierte Orginalartikel von "Tagesschau":