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Probleme aufschieben statt lösen

Richtlinienkompetenz und "Methode Schneepflug"

www.twitter.com / @IrenaBuzarewicz
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Der Bundeskanzler hat im Ampel-Gehampel um die Atomkraft gestern entschieden, dass die drei derzeit noch betriebenen deutschen Kernkraftwerke bis Mitte April 2023 im Leistungsbetrieb weiterlaufen sollen.

 

Gut, dass endlich eine Entscheidung getroffen wurde. Gut, das alle drei Werke gemeint sind. Gut, dass das im Leistungsbetrieb und nicht im Reservebetrieb erfolgen soll. Soweit finde ich die Entscheidung des Kanzlers gut, die auch eine unwürdige und fruchtlose Hin-und-Her-Beißerei der Beteiligten endlich beendet.

 

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Aber warum nur bis Mitte April 2023?

 

Was wird dann anders sein als heute? Wird unser Energiemix in Deutschland dann plötzlich ganz anders zusammengesetzt sein als heute? Wie sollte das in wenigen Monaten möglich sein?

 

Warum trifft man nicht jetzt eine grundlegende Entscheidung - wo man doch absehen kann, dass die Energieprobleme über den Frühling 2023 hinaus bestehen werden und man auch dann noch  irrsinnig wäre, eigene Kraftwerke abzuschalten? Warum gibt man damit nicht endgültig Ruhe in die Debatte und gibt Betreibern der AKWs, deren Angestellten und Geschäftspartnern Planungssicherheit? Nein, man schiebt das Problem wie mit dem Schneepflug vor sich her. Dabei wird es immer größer, türmt sich auf und begräbt schließlich alles unter sich ...

 

Wieder entscheiden eher die Befindlichkeiten der Fortschritts-Koalitionäre als Fakten,  denn es gibt schon jetzt jede Menge Streit unter den Ampelnden.

 

Würde man nun ganz ideologiefrei und emotionslos entscheiden, was wirklich vernünftig wäre, nämlich eine langfristige Nutzung vorhandener Kraftwerkstechnik und den mittelfristigen Wiedereinstieg in die moderne Atomstromproduktion, dann wäre es wahrscheinlich das Ende der Ampel. Und das will man unbedingt vermeiden.

 

Wobei ich da anderer Meinung bin: lieber ein Ende mit Schrecken als Schrecken ohne Ende! Was Grüne in verantwortungsvollen Positionen anrichten können, sieht man in unserer Zeit deutlich. Diese Personen sollten sich anderen Aufgaben widmen und nicht unser Land zerstören.

 

Viel Gefühl und wenig Wissen, mehr Ideologie als wirkliches Verstehen - das kann sich ein Industrieland wie Deutschland nicht ungestraft leisten.

 

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Auf der Straße, auf der ich wohne, gibt es auch ein Büro des Kreisverbandes Mittelsachsen der Grünen. Dort konnte man heute früh in bunter Kreideschrift auf dem Bürgersteig lesen: "Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!" In dem Fall kann ich nur sagen: Gott sei Dank!

 

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Grafik PRIMÄRenergieverbrauch  (Umweltbundesamt / AG Energiebilanzen / 2021)
Grafik PRIMÄRenergieverbrauch (Umweltbundesamt / AG Energiebilanzen / 2021)

 

Guckt man sich den Primärenergiemix 2021 an, dann versteht man die Zusammenhänge besser.

 

Gas von unserem bisher größten Lieferanten, nämlich Russland, wollen wir nicht und bekommen es teilweise auch nicht. Das soll ersetzt werden durch Gas anderer Lieferanten und auf anderen Transportwegen unser Land erreichen. Aufwändig, teuer, nicht ausreichend verfügbar, nicht sicher verfügbar. Nordstream1 und 2 will man in Deutschland nicht nutzen, auch im Falle umfangreicher Reparaturen nicht. Frackinggas aus anderen Ländern nehmen wir gerne, nur selber wollen wir dieses Verfahren nicht anwenden.

 

Kohle wollen wir eigentlich auch nicht. Der Kohleausstieg in den nächsten Jahren ist weiterhin beschlossene Sache. Einige Kohlekraftwerke gehen zwar jetzt wieder ans Netz, woher die Kohle und zu welchem Preis kommen soll, ist teilweise unklar.

 

Öl gefällt uns nicht so gut, da es auch ein fossiler Brennstoff ist . Auch sein Preis steigt. 

 

Die Kernkraft gilt hierzulande als Hochrisikotechnologie. Man ist bestrebt, komplett AKW-frei zu werden. Der Einkauf von Atomstrom aus anderen Ländern macht allerdings kein moralisches Problem.

 

Die erneuerbaren Energien sollte man nutzen, aber nicht denken, dass man komplett auf permanentliefernde, so genannte grundlastfähige Systeme verzichten kann. AKWs, Kohle- und Gaskraftwerke liefern immer Strom, auch im Dunkeln, bei Windstille oder wenn Parteitag der Grünen ist. Es kommt also auf eine intelligente Mischung der Primärenergielieferanten an.

 

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DIE WELT schreibt am 17. 10. 2022:

 

"Bundeskanzler Olaf Scholz hat im Koalitionsstreit um die Atomkraft ein Machtwort gesprochen. „Ich als Bundeskanzler habe die Entscheidung getroffen“, schreibt er in einem Brief an die Minister Robert Habeck (Grüne), Christian Lindner (FDP) und Steffi Lemke (Grüne) und beruft sich auf seine Richtlinienkompetenz.

 

Demnach sollen alle drei deutschen Atomkraftwerke bis Mitte April laufen können. „Es wird die gesetzliche Grundlage geschaffen, um den Leistungsbetrieb der Kernkraftwerke Isar 2, Neckarwestheim 2 sowie Emsland bis längstens zum 15.4.2023 zu ermöglichen“. Damit diktiert Scholz seinen Koalitionspartnern einen Kompromiss. Der Weiterbetrieb des AKW Emsland war eine Forderung der FDP, die Begrenzung des Betriebes auf Mitte April 2023 eine Forderung der Grünen."

 

Leserkommentar in der WELT vom 17.10.2022 zum Artikel "Scholz spricht Machtwort - Alle drei AKWs sollen bis April weiterlaufen können"
Leserkommentar in der WELT vom 17.10.2022 zum Artikel "Scholz spricht Machtwort - Alle drei AKWs sollen bis April weiterlaufen können"