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Weniger Warnungen, mehr Lösungen !

Von gewissenlosen Kesselwärtern, Kernkompetenzen und Edward Hopper

Herbst 2022 in Roßwein
Herbst 2022 in Roßwein

 

Gestern Abend machte ich eine Runde durch Roßwein.

 

Ich gehe an der Mulde entlang, durch die Altstadt und - natürlich auch in die Goldbornstraße. Unterwegs finde ich ein paar Kastanien.

 

 

Goldbornstraße, Roßwein
Goldbornstraße, Roßwein

 

Hier habe ich früher mal gearbeitet. Und, wahrscheinlich ist das so wie bei Verbrechern, komme ich immer wieder an die Orte meiner Taten zurück. Es verbindet mich viel mit diesen Plätzen, wo so viel Zeit meines Lebens jeden Tag und jede Nacht irgend etwas stattgefunden hat. Heute also Roßwein.

 

 

Die Gedanken verändern sich, sobald ich hier bin. Es ist nicht so, dass ich mich die ganze Zeit an Vergangenes erinnere - das natürlich auch. Hauptsächlich aber fällt mir was Neues ein; sehe ich Dinge aus anderer Perspektive, verstehe bisher Unklares besser. Es fällt jetzt leichter, mir eigene Fehler einzugestehen und etwas anders zu machen. Und das ist doch ganz gut so, oder?

 

Kleiner Schmiedehammer mit Antriebsmotor - natürlich in TOMATENROT
Kleiner Schmiedehammer mit Antriebsmotor - natürlich in TOMATENROT

 

Deutschlands Ingenieure und Wissenschaftler, seine Dichter und Denker, seine Meister, Handwerker und viele Bürger anderer Professionen wurden einst weltweit berühmt für ihre  Qualitätsarbeit. "Made in Germany" - das war modern, durchdacht, sicher, wissenschaftlich fundiert, handwerklich ausgereift - egal, ob Kant, Sauerbruch oder Siemens.

 

Darauf konnte man sich verlassen, ohne verlassen zu werden. Gab es Probleme, überlegten sich die Deutschen Lösungen, tüftelten so lange auch an dem verzwicktesten Problem herum, bis sie eine Idee und diese verworfen - oder in die Tat umgesetzt hatten.

 

Man erfand Neues und war darauf aus, den gegenwärtigen Zustand zu verbessern. Machte man Fehler, dann lernte man meist daraus. Sehr gutes Beispiel ist die Gründung des TÜV, des Technischen Überwachungsvereins, den heute jeder in unserem Land kennt.  

 

Doch wie kam es dazu?

 

Instandhaltungsgebäude im Hintergrund / Gesenkschmiede Roßwein
Instandhaltungsgebäude im Hintergrund / Gesenkschmiede Roßwein

 

Im Jahr 1865 ereignete sich in Mannheim ein schwerer Unfall in einer Brauerei. Hier explodierte ein Dampfkessel. Die Ursachen waren Wassermangel, zu hoher Druck und vernachlässigte Wartung. Es stellte sich heraus, dass das Personal, was mit dem Kessel und in dessen Umgebung arbeitete, wenig von der Anlage verstand.

 

Bei diesem Unfall gab es einen Toten und mehrere Verletzte. Immer wieder kam es in dieser Zeit zu Zwischenfällen bei der Arbeit mit Dampfkesseln. Die ortsansässigen Dampfkesselbetreiber wollten in Zukunft derartiges Unglück verhindern und gründeten einen Dampfkessel-Überwachungsverein. 

 

Der Ingenieur Carl Isambert ist der erste hauptamtlich tätige Sachverständige eines freien technischen Überwachungsvereins in Deutschland. Regierungsbeamte mit ähnlichen Aufgaben gab es vorher schon. Im Oktober 1868 begann Isambert, Sohn eines Hüttenwerksdirektors, seinen Dienst für die Dampfkesselüberwachung und begab sich bald darauf auf eine Inspektionsreise durch das Land.

 

Dabei entdeckt er den mangelhaften Zustand vieler Dampfkesselanlagen und die oft rudimentären Kenntnisse ihrer Bediener und Betreiber. Großen Handlungsbedarf gab es also.

 

Schulung des Personals und regelmäßige Kesselinspektionen sollten ab nun sein. Man einigte sich auf einzuhaltende Standards und Verfahrensweisen; arbeitete bald auch über nationale Grenzen hinweg zusammen. Und hatte Erfolg. Die vom Dampfkessel-Überwachungsverein betreuten Kessel verursachten kaum noch Unfälle.

 

Freiberger Mulde, flußaufwärts vom kleinen Blauen Wunder
Freiberger Mulde, flußaufwärts vom kleinen Blauen Wunder

 

Es wurde mit Sicherheit auch damals geflucht, geschimpft - oder jemand riss nachts um zwei das Papier vom Reißbrett und trampelte wütend darauf herum, so wie ich einmal während des Studiums. Doch auch der oder die erholte sich wieder und arbeitete weiter. Es war wenig verbreitet, ständig als Alarmglocke durch die Welt zu gehen: zu warnen und Angst zu verbreiten, ohne konstruktive Lösungen anzubieten. Wozu? Spiegelfechter und Rauchbombenwerfer, Scharlatane und Schwätzer hat es immer schon gegeben - teilweise auch sehr erfolgreiche.

 

Doch scheinbar konzentrierte man sich damals stärker auf das Wesentliche; zumindest in Bereichen, auf die es wirklich ankam. Denn von Herrn Isambert ist vieles über seinen beruflichen Werdegang bekannt. Es gibt Niederschriften des Ingenieurs, wo er seine Inspektionen dokumentiert. Dort ist unter anderem von festgeklemmten Sicherheitsventilen und mehreren gewissenlosen und sogar einem irrsinnigen Kesselswärter die Rede.

 

Auch ist noch überliefert, dass er verheiratet war. Also Herr Isambert, nicht der Kesselwärter... Nichts wissen wir dagegen über Isamberts sexuelle Orientierung und Vorlieben, seine persönlichen Probleme und Schwierigkeiten. Wir werden nie erfahren, was und wieviel er am liebsten aß und trank, welche Kleidung er bevorzugte, ob er mal auf Sylt im Urlaub war oder eine Geliebte hatte. Und warum? Weil es für die Allgemeinheit unwesentlich ist. Wichtig ist in dem Zusammenhang allein die Fachkompetenz dieses Mannes; sein Wissen, seine Erfahrung, seine Gründlichkeit, sein Engagement.

 

Heute dagegen -  wenig WESENTLICHES zu wissen und zu können - und sich darauf auch noch sehr viel einzubilden - scheint äußerst modern zu sein. Man wird und bleibt damit sogar "Fortschrittskoalition", sitzt als Parlamentarier im Bundestag oder bekleidet hohe innerparteiliche Funktionen. Den Mangel an Wesentlichem gleicht man aus mit allem möglichen Käse, der völlig beliebig ist. 

 

Deswegen erscheint es auch äußerst wichtig, dass unsere jüngste Bundestagsabgeordnete ihre Bisexualität bekannt gibt, natürlich medienwirksam. In einer Zeit der Krisen, Kriege, Existenzängste. Des Werteverfalls und des Niedergangs des Landes. Ein Kanzler, der von "Unterhaken" und "Doppel-Wumms" spricht. 

 

Nun ja. Nichts wissen macht nichts. Nichts merken stört nicht, keinen Stil haben auch nicht. Und Unliebsames gleich ganz vergessen offenbar ebenfalls nicht. Ich hoffe nur, die Wählerschaft ist weniger vergesslich als der Kanzler und weniger naiv als mancher unerfahrene Parlamentarier. Und erinnert unsere Politiker deutlich daran, wer deren Arbeitgeber ist: wir alle, die Steuern zahlen und das Land am Laufen  halten.

 

Vince Ebert; Physiker, Kabarettist und Autor fasst es knackig zusammen: "Heute redet eine Minderheit von Germanistikstudium-Abbrechern, von Apokalyptikern und wissenschaftlichen Analphabeten diesem Land ein, dass im Verzicht, im Reduzieren und im Sparen die Lösung aller Probleme liegt. Dieses Land hat mehr verdient. Lichtblick statt Blackout!."

 

***

 

Apropos Lichtblick: einige Ansichten aus Roßwein habe ich hier mit. Darunter gemischt findest Du diesmal als kleines Experiment für die Augen ein paar Bilder des US-amerikanischen Malers Edward Hopper (1882 - 1967), dessen kontrastreiche Werke so gut zu diesen heutigen Fotos passen, finde ich. Lass' Dich überraschen:

 

 

Wie immer, wenn ich hier bin, besuche ich meinen alten Freund, das Rossi. Es steht noch am Platz; dort gleich an der alten Muldenbrücke. Wie immer lächelt das Rossi etwas hintergründig, aber nicht unfreundlich.

 

Nach einer Weile wünschen wir uns Glück und - ja, bis zum nächsten Mal. Es wünscht mir Gesundheit und was zu lachen; ich wünsche ihm, dass das Licht anbleibt und es keinen Schaden erleidet. Dann geht jeder von uns wieder ganz unspektakulär seinen eigenen Dingen nach.

 

Den wesentlichen ;-).

 

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Marienkirche Roßwein
Marienkirche Roßwein

 

Die geschriebenen bzw. gravierten Botschaften an Roßweins Wänden und Schildern hinterlassen heute drei Fragen bei mir: 1. Was hat es mit dem Imker-Bafög auf sich (Bild X) ? 2. Es ist Donnerstag und ich kaufe mir WAS (Bild Y)? Und drittens: Wer sind Ulla und Hannes (Bild Z) ?

 

Wer hier für Aufklärung sorgen will, kann mir bitte über das Kontaktformular schreiben ...

 

Fotografieren wie Hopper gemalt hätte - Kabelrollen auf der Goldbornstraße
Fotografieren wie Hopper gemalt hätte - Kabelrollen auf der Goldbornstraße