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Hervorgeholt: Der Schamprich zu Nossen

Auf der Spur eines Aufhuckgespenstes

Abends in Nossen
Abends in Nossen

 

In Johann August Ernst Köhlers "Erzgebirgssagen" finden wir auch eine Geschichte aus der Stadt Nossen, ganz am äußersten Rand des Osterzgebirges gelegen. Vielleicht schon eher Erzgebirgsvorland, gerade die nördliche Grenze des Erzgebirges scheint recht unscharf zu sein.

 

In Köhlers Sage Nr. 87 geht es um einen gewissen Schamprich, der ein Gespenst ist. Oder war. Ein sogenannter Aufhocker, ein Druckgeist. Solche unangenehmen Kollegen fühlen sich in der Sagenwelt der ganzen Erde zu Hause und quälen die Menschen. Sie sind, so wie der Alb und der Nachtmar, böse oder zumindest -  äußerst unsympathisch.

 

Man sagt, sie lauern am Fuß von Bergen, an Friedhöfen und in Hohlwegen, an aufwärts führenden Wegen und Straßen und werden nur in der Dunkelheit tätig. Dann warten sie, bis ein nichtsahnender Mensch vorbeikommt und setzen sich auf dessen Schultern. Eigentlich ist der Geist federleicht, aber durch die Panik, die der "Besessene" meist empfindet, wird die Last immer schwerer, die Angst immer größer, das Entsetzen immer unerträglicher. So ein Aufhocker kann angeblich  vom ordentlichen Schrecken über grauenhaftes Entsetzen bis hin zum Tod wirken. Also sind wir gewarnt.

 

 

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Der Aufhocker von Hildesheim und der gequälte Wanderer (Bildgrundlage Foto auf www.vergleichende-mythologie.de/)
Der Aufhocker von Hildesheim und der gequälte Wanderer (Bildgrundlage Foto auf www.vergleichende-mythologie.de/)

 

Diese Aufhockergeschichte lässt sich auch ganz geisterlos und pragmatisch sehen. Denn befällt einen so ein Aufhocker nicht wie das schlechte Gewissen? Oder wie die Angst? Er IST das schlechte Gewissen, er IST die Angst. Das schlechte Gewissen macht einen nachts schlaflos, man fürchtet sich vor den Folgen seines (unguten) Tuns, bereut manches herzlich, fühlt sich schuldig gegenüber anderen. Dieses schlimme schlechte Gewissen kann auch krank machen und körperlich schädigen, genau wie der beschriebene Geist.

 

Und so läuft es auch mit der Angst, die bekanntlich ein schlechter Ratgeber ist. Wie man gerade in der heutigen Zeit wieder sieht, kann sie auch gestandene Persönlichkeiten dumm und handlungsunfähig machen.

 

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Wir haben keine Angst vor Gespenstern,  sondern erwarten Gefahr ausschließlich von real existierenden Personen, Gegenständen und Vorgängen. Dagegen kann man sich wappnen, auf verschiedene Art; wir tun das.  Unser Gewissen ist momentan ruhig, also machten wir uns an einem längst vergangenen Februarabend noch in der Dämmerung auf die Suche.

 

Nach dem Schamprich von Nossen.

 

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Schloss Nossen - einmal herum
Schloss Nossen - einmal herum

 

Einmal umrunden wir das gesamte Schloss, an dessen Ostseite der Schamprich früher gesehen worden sein soll. Seinen alten Weg siehst Du hier blau markiert. Wenn das so stimmt, dann ließ der Nossener Aufhocker sich vom Fuß des Schlosses, vom Muldental, hinauf in Richtung Markt mitnehmen. Eine praktische Idee, geht es doch ganz gut bergauf....

 

Der alte Wirkungsbereich des Schamprich (blau markiert) / (Foto: www.zweimuldenland.de)
Der alte Wirkungsbereich des Schamprich (blau markiert) / (Foto: www.zweimuldenland.de)

 

Von Karoline Hess erfahren wir etwas mehr Allgemeines über dieses Wesen nordischer Mythen, den Aufhocker:

 

 

Und so erzählt man sich hier in Nossen:

 

 

Johann August Ernst Köhler / Sagenbuch des Erzgebirges (1886)

 

87. Der Schamprich zu Nossen

(Jugenderinerung eines geborenen Nosseners)

 

"Auf dem Fußwege, der an der Südseite des Schloßberges von der Unterstadt (dem früher sogenannten »Loch«) nach der Oberstadt führt, trieb noch vor fünfzig Jahren ein Spukgeist, der Schamprich, sein Wesen. Er pflegte sich des Nachts den Leuten am Anfange des Weges nach einigen Schritten »aufzuhucken« und sich den Berg hinauf bis zum Stumpfe einer großen Eiche tragen zu lassen, wobei die Last immer schwerer wurde. Mit dem Neubau der Dresdner Straße, bei der auch der obere Teil des Weges in Wegfall kam, ist er verschwunden. Der Eichenstumpf befand sich gegenüber dem dicken runden Eckturme, in welchem Lips Tullian einige Zeit verwahrt worden sein soll, links am Wege.

 

In früherer Zeit mußte der Stadtnachtwächter am nördlichen Schloßgraben entlang gehen und von der äußersten Bergecke aus, an der sogenannten Dechanei, die Stunde abtuten. Da hat er einmal in einer Winternacht von unsichtbarer Hand eine Ohrfeige bekommen, daß ihm die Pelzmütze den Berg hinabrollte. Er schrieb den Schabernack dem Schamprich zu."

 

 

Gesagt, getan. Gegen 17 Uhr verlassen wir den Nossener Markt Richtung Schloss. Dort gehen wir in den Schlosshof. Danach suchen wir den Wirkungskreis des Geistes, beginnend am Westflügel mit den moritzburgähnlichen Türmen.

 

Von dort soll er muldentalwärts führen. Wir finden den Weg, die Dämmerung schreitet voran. Ein runder, heller Mond scheint ruhig auf unsere geisterhafte Strecke. Wir suchen in Ecken, hinter Bäumen und sogar unten am Fluss, wo es tatsächlich ein paar Stellen gibt, wo ein Gespenst sich wohlfühlen könnte..... Aber außer ein paar jungen Nossenern, die sich oben am Schloss treffen, ist alles ruhig.

 

 

Wir haben den Schamprich diesmal nicht gefunden.

 

Vielleicht hat er uns gemieden, weil wir keine Angst und derzeit ein ruhiges Gewissen haben? Kann sein. Möglicherweise sucht er sich gerade ein Opfer, dass weniger "clean" ist. Eventuell wird er in der Apotheke am Markt fündig, wo man FFP2-Masken kaufen kann. Zu einem gewissenbelastenden Preis.

 

Oben in der Mitte ist Licht.....
Oben in der Mitte ist Licht.....