· 

WAS 45 - Komplexe Gedanken

.... und Projekte

Gussteil der Fa. Siempelkamp (Quelle: https://cms.e.jimdo.com/app/sb476360dd36bc5d4/pd8d9037ac3d085fe/?cmsEdit=1)
Gussteil der Fa. Siempelkamp (Quelle: https://cms.e.jimdo.com/app/sb476360dd36bc5d4/pd8d9037ac3d085fe/?cmsEdit=1)

 

Komplexbrigade nannte man in der DDR ein Team von Mitarbeitern verschiedener Gewerke. Diese Organisationsform hatte man sich Mitte der 1950er Jahre ausgedacht, um an bestimmten Aufgaben effizienter zu arbeiten: an komplexen Aufgaben.

 

Wartezeiten, Missverständnisse; Fehler durch Unwissen darüber, was die nachfolgende Arbeit für Anforderungen hat - all diese Blindleistung sollte reduziert und am besten ganz vermieden werden. Auf dem Bau zum Beispiel gab es Komplexbrigaden für bestimmte Bauprojekte. Hier arbeiteten Mauer, Trockenbauer, Transportarbeiter, Erdarbeiter und andere gemeinsam unter einem Brigadier an einem Projekt. Arbeitseinteilung, Terminabsprachen, Reaktion auf Unvorhergesehenes, aus Fehlern lernen - das wollte man hier besser machen: komplexe Themen gemeinsam bearbeiten. Eine gute Idee.

 

***

 

Was ist ein eigentlich ein komplexes Thema? Etwas, was nicht auf Anhieb durchschaubar, klar und verständlich ist. Ein vielschichtiger, weitverzweigter Sachverhalt. Ein Gebilde, wo eine Komponente mit der anderen zusammenhängt - verändert man die eine, wirkt man damit automatisch auch auf deren Umfeld ein - egal ob man das jetzt beabsichtigte oder nicht. Darin besteht die Gefahr: man bringt Ursache und Wirkung nicht zusammen und richtet Schaden an.

 

Wer keinen Respekt vor dieser Komplexität der Welt und vieler ihrer Bestandteile und Wissensgebiete hat, der kann sich Dinge schnell als zu einfach vorstellen. Deshalb ist es auch so, dass der Unwissendere schnell eine Lösung für jedes Problem kennt: "Man muss doch einfach nur .....". Je mehr man aber über eine Sache weiß oder schon selbst dabei mitgemacht hat, desto deutlicher wird einem auch deren Komplexität, man lernt Respekt zu haben, etwas Demut auch. Ich meine auch: Ehrfurcht.

 

***

 

Baut man zum Beispiel eine Maschine, so reicht es nicht, wenn sie den Zweck erfüllt, für den sie in erster Linie konstruiert wird.

 

Man muss weiter denken, unter anderem sowas: wie transportiere ich sie, wie schließe ich sie an, wie führe ich Wartungen und Reparaturen durch, welche Ausfälle oder Fehlbedienungen sind zu erwarten, welche Auswirkungen auf Umfeld und Umwelt gibt es, welche Personal-, Energie-, Materialfragen stellen sich,  welche Kosten werden erzeugt, welche Entsorgungslösungen gib es am Ende des Maschinenlebens? Um nur einige Aspekte zu nennen.

 

Mit einem Backofen will ich backen können - klar. Aber er muss auch bezahlbar sein, so aufgestellt werden, dass ich Brot oder Kuchen problemlos hineinbekomme und mich dabei nicht verletze; beschädigte Griffe, Gitter und Blenden sollten leicht austauschbar sein. Bei der Installation des Geräts muss man an den Anschluss rankommen und bei der Entsorgung keinen unnötigen Problemabfall erzeugen. Ein formschönes Design ist auch kein Fehler. Bei alldem müssen gesetzliche Vorschriften und Normen eingehalten werden.

 

Das alles nützt mir nichts, wenn das Teil durch keine Tür passt - weil die Mindesttürgröße in Wohnungen bei der Dimensionierung des Backofens nicht bedacht wurde.  Habe ich einen strom- oder gasbetriebenen Backofen gebaut, so nützt der dem potentiellen Kunden nichts, wenn Strom und Gas nicht verfügbar sind. Man kann hier sehr viel falsch machen, das weiß ich aus eigener Erfahrung. Und aus den Fehlern, die ich selbst machte und auch bei anderen miterlebte.

 

***

 

Während meiner Studienzeit wurde in einer Stahlgießerei, die wir Studenten kannten, ein sehr großes Gussteil hergestellt, im Sandgußverfahren. Der Gussvorgang war abgeschlossen, alles hatte gut geklappt, man war froh. Denn es war ein Einzelstück. Dann bemerkte man, dass dieses Teil an seinem Entstehungsort, einem Gießerei-Sandkasten, zwar sehr gut stand. Aber man keine Ahnung hatte, wie man es von dort wegbekommen sollte. Es gab wirklich keine Möglichkeit, das fertige Gussteil durch die vorhandene Gießereihalle zu transportieren, dafür war es zu groß und zu schwer. Da entschloss man sich schweren Herzens, die Hallenwand hinter dem Gussteil aufzureißen, um es dort mit einem Spezialkran herauszuholen. Was auch geklappt hat. Die Wand wurde danach wieder repariert. 

 

Komplexe Sache eben.

 

***

 

Um diese Größenordnungen zu verstehen, muss man sich vor Augen halten, dass es Gussprojekte z. B. für Schmiedepressenrahmen gibt, wo im dreistelligen Tonnenbereich Flüssigeisen abgegossen wird. Die Firma Siempelkamp aus Krefeld stellte 2013 ihren eigenen Weltrekord auf: mit 320 Tonnen. Bilder und den Bericht, wie das abgelaufen ist, findest Du hier:

 

...oder hier:

 

***

 

Warum ich heute auf das Thema Komplexität gekommen bin? Als ich las, wie die WELT vor zwei Tagen am 27. 08. 2022 den Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck zum Thema Gasumlage zitierte:

 

„Weil wir aber nicht wussten, das muss man ehrlicherweise sagen – und niemand wusste das –, wie dieser Gasmarkt verflochten ist, wie er im Undurchsichtigen, welche Firmen irgendwelche Anteile an Töchtern und so weiter haben, ist durch diese im Prinzip richtige Entscheidung, ein Problem entstanden, dass sich dann nämlich ein paar Unternehmen reingedrängt haben, die nun wirklich viel Geld verdient haben und die Umlage der Bevölkerung nicht brauchen.“