· 

Über die Unmöglichkeit sich zu langweilen

"So viele Haare und keinen Kamm ..."

 

"Ist das Leben nicht hundert Mal zu kurz, sich in ihm — zu langweilen?"

 

(Friedrich Nietzsche)

 

Ein dänischer Philosoph des 19. Jahrhunderts namens  Søren Kierkegaard war der Meinung: „Die Götter langweilten sich, also schufen sie die Menschen“.

 

Will man Herrn Kierkegard glauben, so zeigt einem das die große Gefährlichkeit der Langeweile.

 

Auch der Philosoph Friedrich Nietzsche, dessen Todestag heute am 25. August ist, forderte uns zur Nutzung unserer Lebenszeit auf. Nietzsche äußerte dabei nichts von Arbeit, Mühe, Disziplin und Fleiß etwa. Nein, er sprach sich gegen Langeweile aus. LANGEWEILE.....

 

Auf was für Ideen kommt man so, wenn man sich langweilt? Bei den Göttern hat man ja gesehen, wohin das führt. Kinder stecken sich Murmeln in die Nase, Götter erschaffen andere Wesen. Beide tun das, weil sie es können.

 

Wahrscheinlich wäre es besser, die Götter hätten vom Projekt Mensch die Finger gelassen. Aber wie fühlt sie sich nun an, die Langeweile?

 

Dazu muss ich sagen: ich weiß es nicht. Denn ich langweile mich wirklich nie. Mein Kopf ist so voll mit bunter Knete, mit allen möglichen Ideen, dass ich mich jederzeit damit beschäftigen kann. Seit meiner Kindheit bis heute wurde dieser Vorrat niemals alle - sondern wuchs von Jahr zu Jahr.

 

Habe ich Zeit, die ich für nichts anderes nutzen kann, zum Beispiel, wenn man irgendwo wartet, dann ziehe ich im Kopf eine Idee aus der Schublade, stelle sie vor mich hin und gucke, was da so mit ihr anzufangen ist. Die Themen sind ganz verschieden: Liebe, Tod, Teufel. Arbeit, Problembewältigung, Reisen, Wohnungsgestaltung, eigene Eitelkeiten, kleine Erfindungen, Verbesserungen, Zukunftspläne, neue Essenszutaten. Immer wieder Versuche, eine Sache zu verstehen, die einem bisher nicht zugänglich war. 

 

Manchmal fühle ich mich dann direkt unerwünscht unterbrochen, wenn die "Wartezeit" vorbei ist.

 

Und ich dran bin oder das Ende irgendeiner Prozedur erreicht ist. Beim Zahnarzt oder auf einer Behörde. Im Krankenhaus. Oder wo auch immer.

 

Wahrscheinlich hatte ich gerade jetzt die beste Idee, stand ganz kurz vor der Lösung eines langfristig vorhandenen Problems, erdachte meinen nun endlich so sinnvoll angepassten Vorrichtungsbau oder fand den oft gemachten, bisher unentdeckten Fehler in einem bestimmten Verfahren,  sah vor meinem geistigen Auge deutlich meinen neu angelegten Garten mit angestautem Bach, worin die Seerosen wachsen und die Fische zu sehen sind. Enten landen gerade laut lachend (HÄ-HÄ-HÄ-HÄ) auf dem Wasser, tief hängen die Erlenzweige mit den kleinen schwarzen Erlenzapfen am Ufer herunter und spiegeln sich in der Wasseroberfläche....

 

Der Ideenvorrat ist da; übergenug. Das ist so wie mit Männern. Während andere Frauen an jedem was auszusetzen haben, gefallen mir eigentlich immer gleich mehrere. Wozu ich auch Ideen hätte, was nun aber wieder nicht so günstig ankommt im gesamten Leben und man sich manchmal eben doch entscheiden muss. Oder sollte.

 

Es ist so, wie Hans Albers singt: "So viele Haare - und keinen Kamm." Also die Ideen, die Möglichkeiten sind alle da. Aber ich bin zu langsam, zu klein, zu unvollkommen - um mit all dem Überfluss was Gescheites anzufangen. Schon als Kind wünschte ich mir manchmal, dreimal gleichzeitig da zu sein und dann auch noch dreihundert Jahre alt zu werden. Oder so.

 

Da diese Gedanken nicht schlimm, sondern eher ermutigend und schön sind, freue ich mich auf das, was ich noch denken, tun und lassen kann. Es gibt auf jeden Fall genug und wird nicht so bald alle.

 

Ich langweile mich bestimmt auch in Zukunft ganz und gar nicht. Auch nicht in dreimal dreihundert Jahren.

 

 


Der Wind bläst meistens schräg von vorn.
Wenn's windstill ist, bläst keiner.
Die Mädels tragen auf Kap Hoorn
den Reißverschluß gewöhnlich vorn.
Und sind so scharf wie Doppelkorn.
Mien Jong! Da staunt selbst unsereiner!
Oh Signorina-rina-rina, oh Signores
so viele Haare und keinen Kamm!
Oh Signorina-rina-rina, oh Signores,
bonjour Monsieur, pardon Madame!
Text: Fritz Graßhoff

 

***

 

Julius Stucke hat sich im April 2020 in einer Sendung des Deutschlandfunk sehr unterhaltsam mit der Langeweile aus psychologischer Sicht beschäftigt.

 

Darin zitiert Stucke Georg Büchner, den Dichter: "Was die Leute nicht alles aus Langeweile treiben! Sie studieren aus Langeweile, sie beten aus Langeweile, sie verlieben, verheiraten und vermehren sich aus Langeweile und sterben endlich an der Langeweile.“

 

Sendung kann man hier nachhören, ca. 30 min:

 

Download
DLF 2019:
Die kleinste Schwester des Todes.mp3
MP3 Audio Datei 27.4 MB
Ornament von Thor Iverson (https://www.kindpng.com/userpngs/4455/)
Ornament von Thor Iverson (https://www.kindpng.com/userpngs/4455/)