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In Reinhardtsgrimma

Am Schloss bei Alpheda

Schloss Reinhardtsgrimma, Parkseite
Schloss Reinhardtsgrimma, Parkseite

 

An einem heißen Augusttag kommen wir nach Reinhardtsgrimma und sind schon gespannt auf das hiesige Schloss.

 

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Einen Barockbau mit englischem Schlossgarten finden wir; ruhig liegt das Gebäude in der flimmernden Sonne. "Man sieht die Hitze und man hört die Stille." dichtete Erich Kästner für solche Augenblicke.

 

Keiner scheint hier unterwegs zu sein. Das Schloss gehört zum Sächsischen Landwirtschaftsministerium und wird als Bildungseinrichtung genutzt. Jetzt ist Sommerpause. Das Hauptportal, welches vom Innenhof in die ministerialen Räume führt, ist verschlossen. Keine Enttäuschung, denn dass dieses Haus kein Museum und nicht für jeden zugänglich ist, das war schon vorher klar. Schade natürlich trotzdem, wenn man neugierig davorsteht und durch die Scheiben hineinguckt.

 

Ab und zu sind hier samstags Schlosskonzerte. Das wäre eine Möglichkeit, mal hineinzukommen. Eins ist Ende Oktober, vielleicht kriegen wir das ja hin.

 

Was für ein Tag, was für ein Schloss!
Was für ein Tag, was für ein Schloss!

 

Wir umrunden das Schloss, sehen den prächtigen Innenhof. Ein kleines Herz aus roter Folie blieb von der letzten Hochzeit zurück und glänzt jetzt ganz allein auf dem sandigen Boden.  Dann kommen wir zur wunderschönen Gartenseite mit der großen, geschwungenen Treppe. Von da aus gehen wir in den Park, große alte Bäume bilden ein schattiges, grün leuchtendes Areal - frisch und angenehm auch bei mittäglichen Sommertemperaturen. Angelegt wurde dieser englische Garten Anfang des 19. Jahrhunderts.

 

Ein Ort zum Träumen und Anschauen, das Schloss und seine Umgebung. Nur ein paar Hässlichkeiten stören. Wie immer und überall sind das parkende Autos, Verkehrs- und sonstige Schilder, Mülltonnen. Das muss alles auch irgendwo sein, klar. Die Frage ist, wie sensibel die Verantwortlichen damit umgehen.

 

Was hier am Schloss mir außergewöhnlich aufs Auge haut, das sind die Möbel aus Massivholz direkt vor dem gartenseitigen Schlossportal. Wer die hölzernen Grobheiten an diesen Platz befahl, der hatte sicher auch seine Gründe. Bequem sind diese Möbel; robust, pflegeleicht, fast diebstahlresistent und langlebig - gut passend für ländliche Biergärten zum Beispiel. Doch vor so ein Barockschloss gehören sie nicht. 

 

 

Wie immer an solchen Orten denke ich darüber nach, wie lange es dieses Anwesen schon gibt. Wer es baute, umgestaltete, besaß - über die Jahrhunderte. Wer hier lebte, glücklich oder traurig war, sich zu Hause oder sehr fehl am Platze fühlte.

 

Wer Umbauten veranlasste, das Anwesen elektrifizierte, Tapeten und Wandfliesen aussuchte und anbrachte, Möbel rückte, Weihnachtsbäume hereintrug, Küchenherde einbaute, den Garten entwarf, veränderte, pflegte. Kronleuchter und Stuckornamente herausriss, Fahnen und Plakate ins Gebäude brachte.

 

Und klotzige Gartenmöbel zuließ.

 

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Schon im Jahr 1206 gab es an dieser Stelle ein Rittergut, im 17. Jahrhundert wurde eine von Gräben umgebene Wasserburg erwähnt. In den 1760er Jahren schließlich ließ der damalige Besitzer Johann Christoph Lippold die alten Schlossgebäude abtragen und nach den Entwürfen Baumeister Knöbels ein neues, modernes Schloss bauen.  Marcus Köhler hat dazu recherchiert und eine sehr interessante kleine Schlossgeschichte verfasst; Du findest sie als pdf-Datei am Ende dieses Beitrags.

 

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Die Grimmburg, eine alte Raubritterburg nahe Reinhardtsgrimma, soll bei der Entstehung von Schloss Reinhardtsgrimma eine Rolle spielen - aber das ist wieder eine andere Geschichte.

 

Im Schlosspark, Blick auf das Badehaus
Im Schlosspark, Blick auf das Badehaus

 

Alpheda Louise war die letzte private Besitzerin von Schloss Reinhardtsgrimma. Die auf der indonesischen Insel Java geborene Holländerin heiratete 1893 im Alter von neunundzwanzig Jahren Friedrich Hugo Maximilian Senfft von Pilsach. Damals war Alpheda nach siebenjähriger Ehe von ihrem ersten Mann geschieden worden.

 

Seit 1907 waren die Senfft von Pilsachs Besitzer von Gut und Schloss Reinhardtsgrimma; in den nächsten Jahren wurde investiert, gebaut, erneuert, verbessert. 

 

Quelle: Marcus Köhler "Das Schloss Reinhardtsgrimma und seine Bewohner"
Quelle: Marcus Köhler "Das Schloss Reinhardtsgrimma und seine Bewohner"

 

Das Paar bekam fünf Kinder. Eine Tochter starb im Babyalter; Sohn Hugo erlag als junger Mann  1917 einer Hirnhautentzündung.

 

Friedrich Hugo Maximilian, Alphedas Mann, unterstützte die Gemeinde Reinhardtsgrimma mit Rat, Tat und Geld. Er gab Land für einen Sportplatz, lieh und schenkte Geld, saß im Gemeinderat. Auf seinem Gut arbeiteten viele Leute und verdienten ihren Lebensunterhalt. Der Rittergutsbesitzer und alte Soldat starb 1931.

 

Im April 1945 flüchtete die nun über achtzigjährige Witwe aus Reinhardtsgrimma. In Oberbayern traf sich Alpheda mit ihren Kindern und verbrachte ihre letzten Lebensjahre gemeinsam mit ihrem jüngsten Sohn Ott in Südtirol; auf Schloss Planta im italienischen Meran. Schloss Planta gehörte den Senffts von Pilsach seit 1936.

 

Quelle: Marcus Köhler "Das Schloss Reinhardtsgrimma und seine Bewohner"
Quelle: Marcus Köhler "Das Schloss Reinhardtsgrimma und seine Bewohner"

 

Nach 1945 wurde der Besitz in Reinhardtsgrimma enteignet; das Land und die Rittergutsbestandteile wie Bäckerei, Gärtnerei, Sägewerk, Buschhaus gingen in neue Hände über. Die gehörten diesmal Bauern und Landarbeitern. Das Schloss selbst funktionierte man 1946 zur landwirtschaftlichen Fachschule mit Internat um. Es wurde nun nach praktischen Gesichtspunkten umgebaut; gestalterische Ambitionen hatte man in dieser Zeit nicht und auch offiziell keinen Nerv für das "Junkerambiente". Abreißen wollte man das Schloss sogar; doch die Reinhardtsgrimmaer Einwohner sammelten Unterschriften und wehrten sich gegen die Zerstörung "ihres Schlosses". Sie erreichten ihr Ziel - das Schloss blieb.

 

Schloss Reinhardtsgrimma um 1856 (F. Heise; G. A. Poenicke (Hrsg.)) / www.de.wikisource.org)
Schloss Reinhardtsgrimma um 1856 (F. Heise; G. A. Poenicke (Hrsg.)) / www.de.wikisource.org)

 

Doch es wurde umgebaut. Das betrifft nicht nur das Barockschloss, sondern alle Bestandteile des Gutes, die einst einen historisch gewachsenen und sinnvollen Verbund bildeten. Ein Rittergut war ein Wirtschaftsbetrieb, kein Amüsierschlösschen.

 

 

Wie gerne käme ich einmal hinein ....

 

Quelle: Marcus Köhler "Das Schloss Reinhardtsgrimma und seine Bewohner"
Quelle: Marcus Köhler "Das Schloss Reinhardtsgrimma und seine Bewohner"
Schloss Reinhardtsgrimma in 2013: Festsaal im Obergeschoss (Quelle: https://www.wikiwand.com/de/Schloss_Reinhardtsgrimma)
Schloss Reinhardtsgrimma in 2013: Festsaal im Obergeschoss (Quelle: https://www.wikiwand.com/de/Schloss_Reinhardtsgrimma)

 

Auch nach 1989 blieb das Schloss eine Bildungsstätte; es gehört heute zum Sächsischen Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie; wird für Seminare genutzt. Ab und zu finden Konzerte im Schloss statt; geheiratet werden kann hier auch.

 

Kleiner Exkurs: Es gibt auch eine besondere Schmetterlingswiese. Hier wird wenig gemäht; auf Düngung und Pflanzenschutzmittel  verzichtet. Jede Menge Wiesenbewohner stellen sich ein: gefleckter Kohltriebrüssler, Schildkrötenwanze, Hainschwebfliege, Trauer-Rosenkäfer, Wollkrautblütenkäfer, Museumskäfer, Ampfer-Dicknase, Schwarzhüften-Klee-Spitzmausrüssler, Rothalsiges Getreidehähnchen und viele, viele mehr. Wer sich für Wiesen und Insekten interessiert, findet hier mehr:

 

Und wer so wie ich bisher nicht wusste, wie ein Rothalsiges Getreidehähnchen aussieht, der sieht es hier: 

 

Rothalsiges Getreidehähnchen - ein Käfer / www.wikipedia.org
Rothalsiges Getreidehähnchen - ein Käfer / www.wikipedia.org

 

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Jetzt sind weder Seminarteilnehmer, Brautpaare oder Konzertbesucher unterwegs. Es ist leer und still hier. Im hinteren Gartenteil neben der Schmetterlingswiese befindet sich das kleine Badehaus; ein klassizistischer Bau. Es ist so ein wunderschönes Schmuckstückchen, finde ich - darin würde ich am liebsten wohnen.

 

Badehaus im Schlosspark Reinhardtsgrimma
Badehaus im Schlosspark Reinhardtsgrimma

 

 

Da wir hier aber wahrscheinlich nicht einziehen dürfen, sitzen wir eine Weile am schönen kleinen Haus und gucken über den gegenüberliegenden Teich. Herrlich. Libellen tanzen; die Wasserlinsen des Teichs leuchten grün, ein paar hartnäckige Rosen duften trotz trockener Erde und die Trauerweide winkt leise mit ihren langen Zweigen. Die Blätter der riesigen Buchen rauschen ab und zu in einer leichten Brise.

 

Ein guter Ort.

 

In Reinhardtsgrimma.