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Stallarbeiten und Herdengang

Teil 2: Urlaub in H. - Landleben lernen

 

Weiter gehts heute mit meinem Urlaub in H., vor langer Zeit:

 

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Direkt unter meinem Fenster war der Misthaufen, die Hühner gurrten und gackerten ringsherum, früh krähte beizeiten ein Hahn fast direkt in mein Ohr.

 

Das kleine Ferienzimmer, in dem ich jetzt wohnte, lag direkt über dem Kuhstall. Da hörte man die Kühe manchmal nachts und zu den Stallzeiten muhen. Die Ketten, mit denen sie angebunden waren, klirrten leise. Zweimal täglich wurden sie gemolken; am Morgen und spät nachmittags. Tagsüber waren die Tiere auf der Weide. Früh halb sechs warf Frau G. die Melkanlage an, reihum wurden jetzt die Kühe gemolken. Die Tiere waren sogenannte "Einsteller". Sie gehörten der LPG, lebten aber im häuslichen Stall der einzelnen LPG-Bauern. Bei Frau G. hatten sie ein gutes Leben, gingen im Sommer täglich nach dem Frühmelken auf die Weide, hatten Namen, bekamen Leckerbissen. Gaben sie nicht mehr genug Milch, wartete man auf diesem Hof hier geduldig auf Besserung. Stellte die sich nicht ein, dann wurde die nicht mehr leistungsfähige Kuh zur Schlachtung abgeholt. Immer ein trauriger, aber auch notwendiger Tag für unsere Gastfamilie, wenn das geschah. Letztlich ereilte jede der Kühe dieses Schicksal, aber erst nach Jahren eines guten Lebens unter der Obhut von Frau G.. 

 

Schnell lernte ich die Namen der Tiere, machte bestimmt ein wichtiges Gesicht, wenn ich im Morgengrauen in alten, zu großen Gummistiefeln über den Hof ging. Schließlich hatte ich Aufgaben zu erledigen, war damit groß und eine brauchbare Person - das dachte ich mir so.

 

 

Bei den Kühen erinnere ich mich mit Namen an Mora, Flora und Ella, die einzige Braun-Weiße. Sie wurde für die nächsten Jahre (denn diesem ersten Urlaub folgten viele) meine Lieblingskuh. Das Pferd war eine Stute und hieß Suse. Herr G., zu dessen Aufgabenbereich das Pferd und die Schweine gehörten, brachte mir bei, wie man ohne Sattel auf einem Pferd reitet. Suse war ein Arbeits- und kein Reitpferd. Groß, sattbraun glänzendes Fell, schwarze Mähne, schwarzer Pferdeschwanz und diese zartgrauen weichen Nüstern, die so schön sind bei diesen Tieren. Saß ich auf Suses Rücken, ging sie gutmütig in langsamen Schritten durch die Gegend. Nie verfiel sie in Galopp oder bockte. Sie lief genau so, wie wenn sie einen Wagen zog.

 

Hühner und Schweine waren namenlos. Ich glaube, auch die Katzen hatten keine festen Namen. Mein Vater änderte das kurzerhand, indem er wenigstens die beiden Schweine Max und Mechthild nannte. Sie wohnten in einem geräumigen Stall zu zweit und durften manchmal in den Hof hinaus. Äußerst neugierig und unternehmungslustig waren sie, kamen an uns anfangs Fremde heran, schnüffelten und rüsselten an uns herum, eins biss in meine große Zehe. Nicht schlimm. Max und Mechthild waren auch verantwortlich für den ständigen Kartoffelduft im Hausflur. Für die Schweine nämlich wurden in einem besonderen Kocher eimerweise Kartoffeln gekocht. Denn sie sollten groß und fett werden; man wollte sie zu Fleisch und Wurst verarbeiten. 

 

Bald durfte ich mithelfen. Früh mit in den Stall gehen. Frau G. klopfte zum Wecken an meine Zimmertüre, nachdem sie ungläubig nachgefragt hatte, ob ich das wirklich wolle. Und ob!  Ausmisten, frisch einstreuen, Kuheuter abwaschen, bald sogar die Saugwerkzeuge der Melkmaschine ansetzen, Futter austeilen.

 

Ich wollte alles lernen, zeigen, dass ich das auch als Stadtkind nach einer Weile konnte. Ein Paradies für mich. Ich war total begeistert, erfuhr viel Neues, fühlte mich erwachsen und auch ein bisschen wie Heidi auf der Alm. Ganz schnell war ich hier zu Hause. Großartig. Bald durfte ich sogar manchmal alleine die Kühe zur Weide bringen und wieder heimholen. Dazu mussten wir ein Stück die Dorstraße entlanggehen. Bald kannten mich die Nachbarn und nickten freundlich, wenn sie uns sahen. Wir waren zehn Personen: neun Kühe und ich.

 

Alles klappte ganz gut, nur an zwei Zwischenfälle erinnere ich mich.

 

Einmal brach eine Kuh, die schwarze Mora, aus der kleinen Herde aus und sprang seitlich der Straße über den Graben in ein kleines Feld, wo jemand etwas angebaut hatte, was nicht für diese Kuh bestimmt war. Was es war, habe ich vergessen. Mora, die Schwarze, trottete mit widerspenstiger Gebärde über das Beet und fing an zu fressen. Ich hatte Angst, ging ihr aber hinterher und trieb sie mit guten Worten und leichten Berührungen mit dem Stock, den ich dabei hatte, wieder zurück zu den anderen. Die hatten zum Glück auf der Straße gewartet, beobachteten neugierig Mora und mich. Als die Abtrünnige sich wieder einsortiert hatte, ging es weiter. Ich war sehr froh, denn viel Schaden war nicht entstanden.

 

Das zweite Vorkommnis bestand darin, dass ich beim Gang über die Weide nicht aufpasste und mir die Sonne heftig ins Gesicht schien. Ich guckte immer auf die Kühe, aber achtete nicht darauf, wohin ich selber trat. Dabei holte ich mir am Weidezaun einen ordentlichen Schlag, aber auch das war schnell überstanden. Künftig war ich vorsichtiger, was mich selbst betraf. Eine Weile wenigstens.

 

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Etwas sehr Wichtiges lernte ich hier in dieser ersten Zeit: Landleben hat seine schönen Seiten. In erster Linie bedeutet es aber harte Arbeit, wenig Freizeit, schnellen eigenen körperlichen Verschleiß, Wetterabhängigkeit, weniger Komfort als in der Stadt. Wollte man ins Kino, zur Disko oder mal in ein Restaurant, ging man nicht, wie wir zu Hause, einfach über die Straße. Man musste fahren.

 

 Die Nutztiere, die der Bauer hielt, waren keine Kuscheltiere. Man hielt sie, um ihre Eier, ihr Fleisch zu essen. Federn, Fell, Häute und Knochen zu gebrauchen.  Trotzdem waren Mensch und Tier verbunden und aufeinander angewiesen. Ein guter Bauer behandelte auch seine Tiere gut, sorgte dafür, dass sie sich wohlfühlten, liebte sie auf seine Weise. Natürlich gab es hier wie überall solche und solche Menschen. 

 

Mensch, Tier und Umwelt lebten hier zusammen, ohne deswegen viel Federlesen zu machen. Von städtischer Landliebe-Romantik war man soweit entfernt wie vom Mond.

 

 

Am Samstag (23.07.2022) mehr :-).