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Die Teufelskanzel in Buchholz

Woher sie ihren Namen hat

 

Vor langer Zeit war es, als es die Städte Annaberg und Buchholz noch nicht gab. Als nur einzelne kleine Siedlungen im undurchdringlichen Urwald Miriquidi existierten, so auch im hiesigen Sehmatal im Erzgebirge. Das war eine Zeit, in der noch Wölfe und Bären, mächtige Greifvögel, Luchse, Schlangen und große Echsen hier lebten. Die Witterung war rau, es war nie lange Frühling oder Herbst - sondern es gab meistens entweder Sommer oder Winter.

 

Eine Landschaft mit besonderen Anforderungen auch an ihre menschlichen Bewohner und - voller Märchen und Sagen.

 

Eine davon ist die "Sage von der Teufelskanzel". Dabei geht es um einen Berg nördlich von Buchholz, Annaberg-Buchholz. Erst letzten Samstag waren wir wieder einmal da. Woher hat dieser Ort, diese Anhäufung kleiner Felsen, nun seinen Namen?

 

In den "Sächsischen Volkssagen" von O. Gießler wird man fündig und kann die Geschichte des schatzsuchenden Studenten nachlesen. 

 

Wie war es wirklich? Oder vielleicht? Lass es Dir erzählen:

 

Es war einmal ein Student - seinen Namen wissen wir nicht - , der in Prag an der dortigen Universität studierte - was, das wissen wir auch nicht - und eines Tages durch das einsame und wilde Sehmatal wanderte. Wo er hinwollte, was er dort suchte - das ist nicht bekannt.

 

Am Abend dieses schon frühlingshaften Reisetages kam der erschöpfte Student an die Ufer des Flüsschens Sehma; dort, wo der Schottenberg liegt. Als unser Student das noch eiskalte Gewässer vorsichtig überqueren wollte, kam plötzlich ein riesiger Bär aus dem Dickicht und griff den Armen an. Zum Glück konnte der junge Mann sich aus den Bärentatzen befreien und rannte davon. Verletzt und außer Atem kam er oben am Berg an und erblickte erleichtert ein kleines Haus, in dem in der Dämmerung schon Licht brannte. Es war zu seinem Glück ein Gasthaus, wo ihn der alte Wirt und die Wirtin freundlich aufnahmen. Nachdem er sich etwas erholt, gegessen und getrunken hatte, erzählte er, was ihm geschehen war.

 

Die beiden beglückwünschten ihn zu dem harmlosen Verlauf, den der Bärenangriff letztlich genommen hatte. Die Wirtin berichtete von bösen Geistern, die in den umliegenden Wäldern ihr Unwesen treiben sollten. Sie vermutete in dem angriffslustigen Bärentier ein solches Gespenst.

 

Dann senkte die Frau die Stimme, neigte sich näher zu dem Studenten und flüsterte: "Gleich hier hinter unserem Haus, nur ein Stückchen waldwärts, gibt es ein paar dunkle, zackige Felsen. Dort, so sagten schon die Alten, wohnt der Teufel. Und bewacht einen großen Schatz." Sie verstummte, blickte sich unruhig um und strich sich nervös das weiße Haar aus der Stirn, von dem sich eine Locke aus der hohen Wirtinnenfrisur gelöst hatte. Der Student dagegen wirkte ermuntert. Tatenlustig sprang er auf - wohl hatte er auch dem Wein ordentlich zugesprochen - und sprach:

 

"Meinen letzten Heller habe ich gerade bei Euch ausgegeben. Wohlan, den Teufelsschatz hebe ich mir - das wäre doch gelacht!" Mann und Frau wollten den Übermütigen zurückhalten. Allein es nützte nichts, der alte Wirt legte schließlich den Arm besänftigend um die Schulter seiner Gefährtin und schüttelte leicht den Kopf. "Lass ihn gehen, er will nicht auf uns hören." Ein kleines Lächeln stahl sich über sein Gesicht, wohl dachte er daran, wie er damals selbst als junger Mann gewesen war. Derweile war der Student schon aus dem Haus gestürmt. Draußen hatte es zu regnen begonnen, leichter Nebel war in der aufkommenden Dunkelheit herangezogen.

 

Als der Student in der Ferne die beschriebenen Felsenzacken erblickte, zog er seinen Mantel fester um die Schultern, guckte entschlossen auf seinen Weg und sprach sich selbst Mut zu. "Niemals aufgeben!"  sagte er sich. "Nein, ich habe vor nichts Angst, auch nicht vor dem Teufel." Und doch spürte er einen Schauer über seinen Rücken gehen.

 

An der nass glänzenden Felsengruppe endlich angekommen, rief er entschlossen den Teufel herbei: "Satan und Herr Beelzebub, ich fordere Dich heraus. Zeige Dich mir!" Der Student erhob seine Stimme laut gegen Regen und Wind. Fest stand er auf dem felsigen Grund, seinen Hut hielt er fest mit einer Hand; die andere hielt den Griff seines kurzen Dolches fest umklammert. Etwas unsicher lauschte der junge Mann dann in die nun schwarze Nacht. Immer stärkerer Wind kam auf und umheulte die Stätte, die ab und zu von Mondlicht getroffen wurde - wenn die vorüberziehenden Wolkenfetzen es zuließen. Schatten tanzten über die einsame Stätte. Es war unheimlich.

 

Plötzlich erschien wie aus dem Nichts eine riesige schwarze Gestalt und sprach zu dem jungen Mann mit dröhnender Stimme: "WAS willst Du?" Der Student zückte seinen Dolch und ging auf den anderen los. Doch der fasste mit einer großen schwarzen Hand nach dem Arm des Angreifers, entwand ihm die Waffe - und schleuderte sie gegen die Felsen; ein metallisches Klirren ertönte kläglich. Inzwischen hatten sich Wind und Regen verstärkt, es prasselte und heulte nur so um sie herum. Plötzlich donnerte es laut, krachend zuckte ein heller Blitz. Hell leuchtete der Mond auf.

 

Entsetzt und nun unbewaffnet, wehrlos -  blickte der Student in das große schwarze Gesicht des Teufels, aus dem nur die schmalen Augen und die Zähne weiß herausleuchteten. Das war zu viel. Ohnmächtig brach der junge Mann zusammen.

 

***

 

Unterdessen machten die beiden Wirtsleute in ihrem an diesem Abend bald leeren Gasthaus die ganze Nacht kein Auge zu. Sie wachten an einem der Fenster und beobachteten angespannt die Umgebung. In den langen, finsteren Nachtstunden sprachen sie sich gegenseitig Mut zu, beteten gemeinsam und tranken einen speziellen Kräutertee, der sie einigermaßen wach hielt.  Mit der Morgendämmerung kam eine große schwarze Gestalt aus dem Wald hervor und schritt direkt auf das Gasthaus zu. Irgendetwas Großes schleppte der Unheimliche mit sich. Die beiden Alten wollten sogleich die Tür verbarikadieren und sich in Sicherheit bringen, doch es war schon zu spät.

 

Der große Schwarze öffnete krachend die Haustür, die direkt in die Gaststube führte und schlug sie rückwärts mit dem Fuß wieder zu. Schwere schwarze Stiefel waren zu sehen, steckte gar ein Pferdefuß darin? Die Wirtsleute standen dicht beieinander; die Frau hielt sich an ihrem Mann fest, der selbst nur mühsam die Fassung wahrte. Beide glaubten, dass jetzt wohl ihr letztes Stündlein geschlagen hatte. Solche Angst wie in diesem Augenblick hatten bei in ihrem langen Leben noch nie gehabt - und wir dürfen glauben, dass sie schon so einiges erlitten hatten.

 

Doch dann setzte die große finstere Gestalt ihr Bündel ab - und schlug mit der freigewordenen Rechten ein Kreuz! Mit tiefer, aber nicht unfreundlicher Stimme sprach der Dunkle: "Habt keine Furcht - ich bin auch ein Mensch, wie Ihr!"

 

Da erkannten die Verängstigten auf einmal, dass es sich bei dem unheimlichen Gast nicht um den Teufel, sondern um den Schornsteinfeger handelte. Das abgesetzte Bündel, das mehr schlecht als recht auf einem Stuhl hing, das war doch der junge Student!

 

***

 

Der Schornsteinfeger setzte sich, er bekam ein großes Glas Bier, das er durstig in einem Zug leerte. Dann erzählte er, was vorgefallen war.

 

Nach getaner Arbeit war der Schornsteinfeger auf dem Heimweg vom Kloster Grünhain aus von einem Unwetter überrascht worden und hatte sich aufgrund der immer schlechter werdenen Sicht und der Dunkelheit verirrt, als er eine Abkürzung des Weges versuchte und den schmalen Wanderpfad verließ. An den zackigen Felsen oberhalb des Schottenberges angekommen, hatte er sich einen geschützten Platz gesucht und sich für die Nacht dort eingerichtet. Es erschien ihm zu gefährlich, bei diesem Wetter seine Reise fortzusetzen, noch dazu in dieser Gegend. Erschöpft wickelte er sich also in seinen dicken, gefütterten Umhang, legte sein Reisebündel unter den Kopf und trank noch einen Schluck Branntwein aus der irdenen Flasche, die er immer unterwegs bei sich trug. Für alle Fälle.

 

Für Fälle wie diesen.

 

Gleich darauf schlief er ein und träumte unruhig. Auf einmal wachte er auf, weil er eine Stimme rufen hörte. Schlaftrunken stand der Schornsteinfeger aus seinem Versteck auf und bewegte sich in die Richtung, aus der er den Ruf gehört zu haben meinte. Da - stürzte aus der Finsternis ein kleiner Mann mit einem im Mondlicht aufblitzenden Dolch auf ihn zu. Überrascht, aber geistesgegenwärtig wehrte sich der Schornsteinfeger, entriss dem anderen die Waffe und packte den Unglücklichen am Kragen. Als er ihn näher zu sich heranzog, um ihm ins Gesicht zu sehen, da wurde der Angreifer ohnmächtig. Nun erkannte der Schornsteinfeger, dass es sich um einen noch sehr jungen Mann handelte - fast noch ein Kind -, der scheinbar leblos in seinen Armen hing.

 

Da verließen auch den großen, kräftigen Mann die Kräfte und mit dem nächsten Donnerschlag des brausenden Gewitters fiel er mit dem Studenten zusammen zu Boden. Am Morgen war er durch die Kälte erwacht und hatte sich verletzt und blutig neben dem anderen liegend gefunden. Entsetzt erinnerte der Schornsteinfeger sich an das nächtliche Geschehen: an den Kampf und das Unwetter in der Dunkelheit. So hatte er sich selbst vergewissert, dass er nur leicht verletzt war und dann kurzerhand den jungen Burschen auf die Arme genommen. Dann sei er bergab gestiegen, in der Hoffnung, irgendwo eine menschliche Behausung und darin Hilfe zu finden.

 

Das war ihm gelungen. Die Wirtin trug ein kräftiges Frühstück auf und versorgte die Verletzungen der beiden unfreiwilligen Kontrahenten; ihr Mann holte trockene Kleidung für die Durchnässten. Währenddessen erlangte unser Student seine Sinne wieder und erinnerte sich mühsam an die vergangene, schreckliche Nacht.

 

Man speiste und trank, freute sich des Lebens und des abwesenden Teufels. Bald darauf verabschiedete sich der Schornsteinfeger von den Dreien; er wollte heim zu seiner Familie, die sicher schon in großer Sorge um ihn sei. Durch den hellen Tag zog er davon.

 

Die mütterliche Wirtin bestand jedoch darauf, dass das Studenten-Bürschlein noch einige Zeit der Pflege bedürfe und bei ihnen im Gasthaus bleiben sollte. Geschäftig machte sie ihm sogleich ein Zimmer zurecht, indes ihr Mann dem Studenten Gesellschaft leistete und heimlich mit ihm noch einen Schnaps trank - auf den Schrecken. Nach ein paar Tagen ging es dem Studenten besser, er begann sich im Gasthaus nützlich zu machen, ging dem Alten bei der Stallarbeit und auf dem Feld zur Hand und unterhielt die Frau des Hauses mit allerlei Geschichten aus der großen weiten Welt, von der er bereits ein Stück gesehen hatte.

 

Auch sprach er dem guten Essen, das die Frau Wirtin täglich bereitete, kräftig zu, lobte es ausführlich und überredete so manchen Gast, es ihm gleich zu tun. Mittlerweile war Sommer geworden und die drei saßen spät am Abend, wenn die Gäste weitergezogen oder im oberen Stock des Gasthauses zu Bett gegangen waren, auf einer Bank vor dem Haus, lauschten den Nachtvögeln und späten Grillen, rochen den unvergleichlichen Duft der Sommernächte in dieser Gegend. Diese Nächte rochen nach der satten Kümmelnote des Bärwurzes, nach der Kamille und dem kräftigen Rainfarn. Nach den Ziegen, die gleich nebenan weideten; nach dem Heu, dass zum Hereinholen fast bereit war. Ein leichter Küchendunst drang durch die Fenster des Gasthauses und mischte sich hinein in die Sommernacht. Das daraus entstehende Aroma war ganz unvergleichlich, es bedeutete Heimat, Frieden, Geborgenheit, Leben.

 

Immer wieder sprachen sie von der Teufelsgeschichte und ihrem glücklichen Ausgang. Immer mehr gewöhnten sie sich aneinander, gewannen sich lieb. So blieb der Student als angenommener Sohn schließlich bei dem alten Wirtspaar.

 

Eines Tages kam der Schornsteinfeger zu Besuch, um zu schauen, wie es "seinem" Studenten denn so ginge. Und den Wirtsleuten. Gefahr lässt uns näher zusammenrücken, so war es bald auch bei diesen so unterschiedlichen Menschen geschehen; sie wurden Freunde. Später hatte der Schornsteinfeger bei den Besuchen im Gasthaus seine Schwester bei sich. Sie war so wie ihr Bruder hoch gewachsen. Doch sie wirkte gar nicht schrecklich, sondern hatte das schönste, hellste und liebste Gesicht, das man sich denken konnte. Ruhig betrachtete sie aus großen grauen, fast runden Augen die Welt; langes schwarzes Haar trug sie in dicken Flechten um den Kopf gesteckt. Wenn sie ein paar Sommerblumen in ihre Frisur steckte, sah sie aus wie eine freundliche Königin. Das bemerkte auch unser Student, der nun keiner mehr war. Er war auf dem besten Wege, ein tatkräftiger Gastwirt zu werden. Durch die Arbeit auf dem Feld, im Wald und mit den Tieren war er stark geworden. Sogar das Kochen hatte er von der alten Wirtin gelernt, nur ihm hatte sie ihre vielfältigen Küchengeheimnisse anvertraut. Der junge Mann gab sie nun wieder an die Schornsteinfegerschwester weiter, deren Besuche sich häuften und in die er bald heftig verliebt war. Auch hier hatte er wieder Glück, denn die Schöne erwiderte seine Gefühle.

 

Einige Zeit darauf starben die beiden alten Leute in einem sehr kalten Winter. Fast mannshoch türmte sich der Schnee ums Haus. In den frostigen Nächten Anfang Januar schien ein heller Mond auf die glitzernde Pracht; die Öfen und Feuerstellen mussten Tag und Nacht versorgt werden, damit man nicht erfror in dieser Eisigkeit. 

 

Wie man nach einem langen Tag voller Arbeit, voller Freude, voller Liebe und Kümmernisse auch erschöpft in den Schlaf fällt, so gingen die alten Wirtsleute aus dem Leben; kurz nacheinander, friedlich. Ihr Pflegesohn kümmerte sich um sie, so, wie sie es einst bei ihm getan hatten.

 

Nach dem Tod der Alten erbte der junge Wirt nun das alte, schöne Gasthaus unterhalb der Teufelskanzel. Und weil er hier einst sein letztes Geld vertrunken hatte und das Gasthaus bisher namenlos war, so nannte er es jetzt "Zum letzten Heller". Er heiratete die Schwester des Schornsteinfegers und führte mit ihr zusammen erfolgreich sein beliebtes Gasthaus. (Vielleicht wurde später aus diesem Gasthaus ein Hotel, nämlich das HIER. Von der Lage her könnte es fast sein ...)

 

***

 

Nie tauchte der Teufel bei ihnen auf, obwohl die Eheleute sehr oft zur "Teufelskanzel" hinaufgingen, wie man den Ort bald nach Bekanntwerden des Geschehens in jener längst vergangenen Nacht dort zu nennen begann.  Dort saßen sie beieinander und aßen von den Heidelbeeren, die da wuchsen. Erst zu zweit; später mit ihrem kleinen Sohn. 

 

Und gemeinsam führten sie ein langes, glückliches und gottesfürchtiges Leben.

 

***

 

Warum aber nie mehr über den geheimen Teufelsschatz gesprochen und nach ihm gesucht wurde - oder ob das im Verborgenen geschah und uns nicht überliefert ist - das wissen wir nicht.

 

Vielleicht liegt der Schatz noch dort und sollte in einer kommenden Frühlingsnacht endlich gefunden werden, was meinst Du?