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"Befinden Ost"

Gedanken am 17. Juni

Sonderbriefmarke zum Gedenken an den Tag des Volksaufstandes / https://www.suche-briefmarken.de/marken/brd/d2003039.html
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Heute, am 17. Juni, ist der Jahrestag des Volksaufstandes von 1953 in der DDR.

 

Zu diesem Anlass habe ich einen Artikel aus der Zeitschrift "Die Sezession" mitgebracht. Darin beschäftigte sich Heino Bosselmann vor einigen Tagen mit dem "Befinden Ost". Sehr treffend, finde ich. 

 

Wie immer in der kleinen Freitagspresseschau zuerst ein Auszug aus Herrn Bosselmanns Artikel, darunter dann der Button zum Gesamtbeitrag.

 

Danach findest Du noch das Lied "Ich leb' mein Leben, sagt Eva-Marie" von Wolf Biermann, worin der 17. Juni 1953 auch eine Rolle spielt:

 

"Doch ich lebe noch, ich lebe

Und so war das eben

- is nich traurig, is ja Wahrheit -

Und ich leb mein Leben."

 

***

 

Zitat aus "Die Sezession" vom 13.06.2022:

 

"..... Als wir (gemeint sind die ehemaligen DDR-Bürger - Anm. TW) dazukamen, hatte „West-Deutschland“ längst damit aufgehört, sich selbst als Nation gelten zu wollen. Und mit jedem Jahr, in dem wir Neubürger uns zu orientieren versuchten, wurde es den neuen Eliten der sich neu verstehenden Bundesrepublik noch peinlicher, als Nation oder gar als Volk angesprochen zu werden.

 

Längst hatten jene revoluzzenden Bürgersöhnchen und höheren Töchter die Macht, die, ausgestattet mit dem Taschengeld von Papa, mitten im florierenden Nachkriegskapitalismus 1968 ff. eine sozialistische Binnenkultur ansetzten. Immerhin war das noch eine Revolte; wer heute unter der Regenbogenfahne marschiert, gehört hingegen zu einer Art neuen Staatsjugend, deren Stoßtrupp die Antifa ist. Die Linke ist staatstreu, weil sie der Staat ist. Nur hinsichtlich der Protestkultur wirkt das unfreiwillig komisch.

 

Das Nationale jedoch, also ja wohl das Erbe im Kulturellen, Sprachlichen, Geistigen, und insofern das einst Selbstverständliche, galt zunehmend als „nationalistisches“ Unverständnis, die Verweise auf das einstige Volk im Sinne einer Schicksalsgemeinschaft als „völkisch“, also als quasifaschistische Unart.

 

Deutschland wollte alles mögliche sein, eine Standort-AG etwa, Exportweltmeister, zeitweilig gar eine Bildungsrepublik, nur bitte bloß keine Nation mehr. An der hing zu viel Schuld, hieß es, und man fand sich noch immer mehr Schuld zusammen, viel, viel mehr Schuld und Schmach jedenfalls als Gründe, auf denen positiv etwas Nationales zu gründen wäre: „Nie wieder Deutschland!“

 

War das neurotisch? Wußte der Westen nur noch mit Verschiebungen, Verdrängungen, Sublimierungen und bizarren Fehlhandlungen damit umzugehen, daß er – als Erfolgsmodell – in seinen ersten beiden Jahrzahnten eben von jenen aufgebaut und geprägt worden war, in denen man neuerdings nur noch Nazis und Verbrecher erkennen wollte? Als die Übersattheit im Materiellen gesichert erschien, entdeckte man die Moral und begann – mit der Aufarbeitung, die darin bestand, die Elterngeneration zu inkriminieren.

 

Jetzt sollten wir, als Ossis frisch eingemeindet, gefälligst eine bunte Republik sein, tolerant und weltoffen, demokratisch und divers, vielfältig und dabei inklusiv, antiimperialistisch, antikolonialistisch, antirassistisch sowieso; wir sollten in allem transparent, gerecht und so gewalt- wie diskriminierungsfrei leben und handeln – immer mit niedergeschlagenem Blick auf unser enormes geschichtliches Sündenregister, insbesondere jenes der Großeltern, das in permanenter Mahnung offenbarte, was uns drohte, wenn wir es riskieren sollten, uns gar weiterhin als Nation und als Volk zu empfinden.

 

Wir übten im Sinne einer uns aus der DDR grundvertrauten Phrasenmaschinerie eine Menge neuer Schwur- und Beschwörungsformeln ein, die alle von einem „Nie wieder!“ ausgingen, das sich auf unsere irgendwie mysteriös-pathologische Vergangenheit bezog. Alle folgte dem nicht: Sachsen machte sich verdächtig, Dresden erwies sich als renitent, die Sächsische Schweiz und das Erzgebirge erst recht."