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Freie Bürgermeinung und "rechtsextreme Spielplätze"

Über Spaziergänger, heiße Eisen und vermintes Gebiet

Nicht verzweifeln, Augen auf! (www.twitter.com / @IrenaBuzarewicz)
Nicht verzweifeln, Augen auf! (www.twitter.com / @IrenaBuzarewicz)

 

Freiberg/Sachsen, eine alte Bergstadt im Landkreis Mittelsachsen, gehört seit 2019 zum Welterbe "Montanregion Erzgebirge" und ist Heimat für derzeit ca. 40.000 Einwohner. Eine traditionsreiche, geschichtsträchtige Gegend voller Geschichte und Geschichten.

 

Seit Monaten ist die Stadt durch die hier stattfindenden aktiven Montagsspaziergänge bundesweit im Gespräch. 

 

Was steckt dahinter?

 

Zahlreiche Bürger versammeln sich immer am ersten Tag der Woche, um abends gegen 18 Uhr in einem lockeren Zug vom Albert-Park aus zügig durch die Stadt zu gehen. Diese Aktionen sollen die Unzufriedenheit vieler schon länger hier Lebenden mit der Corona-Politik der Regierung ausdrücken.

 

Die Menschen, die es hier und mittlerweile überall im Land - in Ost, West, Süd und Nord - auf die Straße treibt, sind größtenteils keine Extremisten, schon gar keine "Nazis". 

 

Guckt man sich diese Spaziergänge einfach mal vor Ort an, ohne aus der Ferne vorschnell darüber zu urteilen und zu giften, dann sieht man hauptsächlich ganz normale Bürger. Vom FOCUS stammt die Bezeichnung "Spielplatz der Rechtsextremen" für diese Stadt. Unpassend, falsch.

 

Es engagieren sich hier sicher auch Bewegungen wie die Freien Sachsen; Besuch von der Antifa gab es ebenfalls schon. Es laufen junge Arbeitskollegen eines mittelständischen Betriebes hinter zwei pensionierten Lehrern mit ihren Ehepartnern. Künstler, Handwerker und Büroangestellte, Mitarbeiter der Bergakademie, Selbständige,  Mütter, Väter, Rentner, junge und alte Leute. Vielleicht sind auch ein paar Katholiken, Kommunisten oder Zeugen Jehovas dabei.....  Und?

 

Wenn man seine Meinung öffentlich ausdrücken will, kann man sich keine persönliche Wunsch-Protest-Formation backen. Der Vorwurf der Instrumentalisierung, des Sich-Benutzen-Lassens durch andere Kräfte, ist alt und passt immer. Es wird bei größeren Unternehmungen fast immer jemanden geben, mit dem man nicht übereinstimmt.

 

Wenn viele Leute eine Gemeinsamkeit, ein gleiches Problem haben, sind sie trotzdem noch in den meisten anderen Belangen ganz unterschiedlicher Meinung.

 

Was wäre die Alternative? Nichts tun? Statt eines Montagsspaziergangs 15 verschiedene machen? Einen für Veganer, einen für Christen, einen für Eltern, einen für Rentner, einen für Mitarbeiter der Metall- und Elektrobranche, einen für Friseure, einen für Laktose-Intolerante..... Und was, wenn der vegan lebende Christ ein Laktose-intoleranter Schweißer mit Kind ist? Wo darf/sollte er dann mitgehn?! Fragen über Fragen....

 

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Ich erinnere mich gut an die Zeitgenossen, die damals schon 1989 in der DDR nicht den Hintern auf die Straße kriegten, weil sie sich nicht mit jedem Demoteilnehmer identifizieren konnten, Angst vor Konsequenzen hatten. Auf diese Weise ändert man nichts, versteckt sich vor Problemen.

 

Die meisten der Freiberger Spaziergänger vertreten also keine extremistischen Inhalte. Aber sie hinterfragen bestimmte Dinge und lassen sich nicht einfach kommentarlos alles gefallen, wollen selber denken, haben Vertrauen verloren. Dabei kann man natürlich auch mal irren und falschen Informationen glauben oder einen anderen Fehlgriff machen - das bleibt doch niemals aus. Wer sich darüber lustig macht, sitzt  selbst im Glashaus.  Selbst die treuen Zuschauer, Hörer und Leser unserer GEZ-finanzierten öffentlich-rechtlichen Hauptmedien werden nicht nur mit Wahrheiten versorgt. Auch hier gibt es Irrtümer, Framing, Fake-News. 

 

Erst die Einseitigkeit der öffentlichen Medien treibt die Leute zu vielen anderen Informationsquellen, unter denen es sehr klare und natürlich auch trübe Gewässer gibt. Die heute oft angefeindeten alternativen Medien sind Arbeitsgebiet vieler gestandener Journalisten, die früher bei unseren Hauptmedien tätig waren.

 

In erster Reihe sehen wir hier Roland Tichy (heute Tichys Einblick, ehemals beim Handelsblatt), Boris Reitschuster (heute reitschuster.de, ehemals beim Focus), Burkhard Müller-Ullrich (heute Indubio/Achse des Guten, ehemals beim Deutschlandfunk) und Milena Preradovic (früher RTL/N24, heute www.punkt.preradovic - um nur einige zu nennen. Aber es gibt im Gegensatz zu den Genannten natürlich auch die Quellen, denen man nicht vertrauen sollte.

 

Was mich so stört: man zeigt vorwiegend das Bild vom dummen, ungebildeten, widerborstigen Ostdeutschen. Vom Bürger dritter Klasse, der laut Herrn Wanderwitz (CDU) nicht mal demokratiefähig ist, sich nicht artikulieren kann. Der die einfachsten Dinge nicht versteht, dafür aber viel und laut meckert. Alle Kritiker werden als Coronaleugner, Schwurbler und Verschwörungstheoretiker verunglimpft. Dabei steckt man alle in einen Sack - ist das die intelligente Vorgehensweise, die uns Kritikern abgesprochen wird?

 

Noch besser als der herablassende Vorwurf der Dummheit ist natürlich die altbewährte Nazikeule. Wenn man keine Argumente (mehr) hat oder haben will, dann ist der Andersdenkende eben einfach ein Nazi, ein Leugner, ein Ketzer. So einfach und so widerlich, diese Strategie. Wer so argumentiert, der ist für mich auch kein Antifaschist - denn er verharmlost den Nazibegriff durch inflationären Gebrauch für jeden Mist. 

 

In den letzten Jahren hat eine Veränderung in unserer Gesellschaft stattgefunden, die in meiner Wahrnehmung sehr negativ ist. Eine Atmosphäre der vorgegebenen Meinungen und eine Unfähigkeit zum echten Diskurs. Ein selbstherrliches Sendungsbewußtsein der Vertreter der "richtigen" Meinung. Eine Aufrichtung von religiös anmutenden Dogmen und damit einhergehende Tabus. Die Unmöglichkeit, bei bestimmten Fragen anderer Meinung zu sein.

 

Beispiele sind die Einwanderungs- und Integrationspolitik, die Klimapolitik, die Energie- und Verkehrswende, die Fragen zu Rassismus und Diversität der Geschlechter und nun auch Corona.

 

Alles heiße Eisen, alles vermintes Gebiet.

 

Produktive Auseinandersetzung in der Sache ist immer weniger möglich; meistens geht es um die Bekämpfung der andersdenkenden Person, ihre Verächtlichmachung. Deshalb wird der Umgang mit den großen Aufgaben der Gegenwart auch immer schwieriger. Das es auch anders geht, zeigen uns Menschen wie Frau Dr. Sahra Wagenknecht mit ihrer "Wagenknechts Wochenschau" auf YouTube. Sachlich, kritisch, abwägend, respektvoll.

 

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Lösungen von heute sind oft die Probleme von morgen, wenn die Lösungsfinder im eigenen Saft schmoren und jegliche kontroverse Auseinandersetzung in der Sache fehlt.

 

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Übrigens: Vor ein paar Tagen wurde in Stralsund, natürlich im Osten des Landes, der Weihnachtsmann verhaftet. Verschwörungstheoretiker behaupten, er sei ein Querdenker, Rassist, Corona-Ketzer und Rechtsextremist. Auch ein "Spaziergänger"?

 

Fällt Weihnachten jetzt aus? Haben wir nun alle mehr Zeit?

 

...... für Spaziergänge?