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Hervorgeholt: Tatsächlich im falschen Film

Ein Rätsel ?

Theo Lingen (links) / Quelle: pa / KPA (Die Welt, https://www.welt.de/politik/gallery2689743/Theo-Lingen.html)
Theo Lingen (links) / Quelle: pa / KPA (Die Welt, https://www.welt.de/politik/gallery2689743/Theo-Lingen.html)

 

Man fühle sich, als sei man im falschen Film. Das sagen manche Leute, wenn sie damit meinen, mit der Situation ringsherum nichts anfangen zu können und sich völlig fehl am Platze zu sehen.

 

Nachvollziehbare Sache. Man kann aber auch beim bloßen Anschauen eines Films "fehlgehen", auch, ohne etwas dafür zu können. 

 

***

 

So geschehen meinem Vater und mir. Vor vielen Jahren. Ich war schon fast erwachsen, wir wollten gemeinsam am Abend einen bestimmten Film im Fernsehen gucken.

 

Das war ein alter Film, eine Ufa-Produktion der 1930er Jahre mit starken Schauspielern dieser Zeit. Theo Lingen spielte mit, das weiß ich noch. An die Handlung erinnere ich mich nicht. Nach ca. einer Dreiviertelstunde wurde bei so einem alten Film "die Rolle gewechselt". Das heißt, der erste Filmteil war auf Rolle 1, der zweite auf Rolle 2. Der Wechsel war ganz kurz durch einen Abriss des Bildes und ein paar flackernde, schwarz-weiße Sequenzen gekennzeichnet. Für uns nichts Neues.

 

So auch diesmal. Nach der halben Spielzeit flackerte und rauschte es kurz, dann erschienen wieder Personen gut sichtbar in ihrer Filmwelt auf der Bildfläche unseres Schwarz-Weiß-Fernsehapparates aus Staßfurt. Ein paar Minuten guckten wir wort- und reaktionslos weiter. Ich wunderte mich im Stillen über die Handlung des Films; mein Vater in seinem Fernsehsessel wurde etwas unruhig und wirkte leicht irritiert. Irgendwann kurz darauf sprach der erste von uns. Was sofort auffiel: Theo Lingen war weg! Einfach so. Das ging nicht. Aber nicht nur das! Die gesamten Personen der ersten Filmdreiviertelstunde waren verschwunden. Auch sie - ganz ohne Ankündigung.

 

Hatten sie alle durch bösartigste Umstände, mysteriöse Zufälle das Zeitliche gesegnet? Im wahrsten Wortsinn "plötzlich und unerwartet"? Ein wahnsinniger Mörder, Außerirdische, ein Killervirus? Wir waren skeptisch. Der Ufa der 1930er Jahre war schon eine Menge zuzutrauen, aber Monster vom Mars oder tödliche Viren aus Vulkanen gehörten wohl nicht dazu.

 

Wir alberten herum, stellten weitere Vermutungen an und versuchten, die jetzt auftretenden Personen mit den Akteuren der ersten Filmrolle in Zusammenhang zu bringen. War diese große Schöne aus Teil 2 vielleicht die Tochter der lustigen Alten in Teil 1? Hatte der zwielichtig aussehende Büroangestellte aus Teil 1 vielleicht seine Firmenkollegen in Teil 2 unsichtbar für uns, die Zuschauer, aus dem Wege geschafft und im Wald vergraben? Nicht nur Personen, sondern auch das Ambiente hatte sich verändert. Zwar befand man sich zweifellos in einer Stadt, aber während die erste Stadt eindeutig Wien gewesen ist, da war man jetzt - keine Ahnung - in Wuppertal oder Neubrandenburg? Wir kommentierten munter drauf los.

 

Tapfer und mit viel Vergnügen guckten wir den 2. Teil des Filmes bis zum Ende. Während dieser Zeit redeten wir ununterbrochen, lachten und stellten Vermutungen zu den Protagonisten an. Unsere Ideen wurden immer verrückter, abwegiger und schräger. Das lag nicht nur daran, dass wir alle beide mit großer Lust zum Herumalbern ausgestattet waren/sind, sondern das Filmgeschehen mit fortschreitender Zeit sich immer mehr und wahrscheinlich unwiderruflich einer logischen Reihenfolge und unserer Betrachtung entzog. Also war es auch egal.

 

Tiefsinnige Dialoge, ernste Worte, mahnende Blicke, im Schatten Verschwindende. Graue Häusersilouetten, endlose Straßen. Wir kicherten. Nacht im zweiten Teil. Vielleicht würde nun sogar Murnaus Nosferatu noch auftauchen? Wir hatten spätestens da den Boden jeglicher Tatsachen gänzlich verlassen. 

 

Der erste Teil war eindeutig witziger und heller gewesen. Lag vielleicht auch an Herrn Lingen, der  nun leider nicht mehr da war.

 

Welche Kräfte hier wohl am Werk waren? Wir wussten es nicht, es war uns aber fast egal.

 

Nur hätten wir doch ganz gerne verstanden, was eigentlich los war.

 

Fernsehansagerin Fanny Damaschke begleitete viele Jahre die Fernsehzuschauer im Osten des Landes durchs Programm. (Bild /Quelle: www. husfl.net)
Fernsehansagerin Fanny Damaschke begleitete viele Jahre die Fernsehzuschauer im Osten des Landes durchs Programm. (Bild /Quelle: www. husfl.net)

 

Die Aufklärung folgte am Ende des Films, das mit dramatischer Musik unterstützt wurde. Das Wort "Ende" erschien selbst in fetter Schrift auf dem Bildschirm, persönlich sozusagen, damit wir auch wirklich begriffen, dass hier und jetzt Schluss war. Basta.

 

Theo Lingen blieb indes verschollen.

 

Dafür erschien eine Fernsehansagerin (jüngere Leser finden HIER Aufklärung) - ich glaube die wunderschöne Fanny Damaschke - auf der Bildfläche und entschuldigte sich bei uns. Ja, bei den Zuschauern des gerade beendeten Films. Wie uns sicher aufgefallen sei, hatten Filmteil 1 und Filmteil 2 nichts, gar nichts miteinander zu tun. Ursache dafür war, dass die gezeigten Filmrollen leider nicht zusammengehörten.

 

Und jetzt hörten wir nicht mehr auf zu lachen.

 

Wir hatten also Teil 1 von Film A und Teil 2 von Film B gesehen. Weil beim Rollenwechsel etwas schief gegangen war und man eine falsche Zweitrolle eingelegt hatte. Es war also so, wie wenn Du eine Stunde lang Rotkäppchen guckst und danach die letzte halbe Stunde von Schneeweißchen und Rosenrot. Da begreifst Du auch nicht, wohin der Wolf verschwunden ist und stattdessen ein Bär das Geschehen dominiert. Und woher die zwei hübschen rot-weißen Schwestern plötzlich kommen, und was die vielleicht mit dem Rotkäppchen gemacht haben und warum die Großmutter fehlt....

 

So ungefähr war das. Ein sehr lustiger Abend, erzeugt durch einen "menschlichen Fehler". Leider ist das danach nie wieder vorgekommen, alle Teile passten fortan immer bestens zusammen. Nie passierte richtig Kurioses, was wir uns frevelhaft gewünscht hatten. Dass etwa in einem neuzeitlichen Film plötzlich Personen mit Rokokokleidung, Reifröcken und Perücken erschienen. Vielleicht zu Pferde oder in der Kutsche. Dass auf rustikalen nordschlesischen Bauerngütern voller Knechte in Kordhosen und Fleckvieh nicht zuordenbare feine Wiener Damen in schicken Kostümen auftauchten - gefolgt von: Theo Lingen!

 

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1942 / "Davon geht die Welt nicht unter" mit Zahra Leander - erzeugt bei mir immer Gänsehaut, bedenkt man doch die Entstehungszeit (aus dem Film "Die große Liebe).