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Was wir sehen - und was ist

".... weil wir  Bergamo in Sachsen nicht zulassen wollen"

www.twitter.com / @IrenaBuzarewicz
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Man sieht etwas - und es wirkt.

 

Fotos und Filmaufnahmen beeindrucken uns meistens schneller und eindringlicher als ein gelesener oder gehörter Text. Was auf Bildern zu sehen ist, was es dem Betrachter vermittelt - und welcher Sachverhalt wirklich dahintersteckt, das ist sehr unterschiedlich. 

 

Manche Bilder brennen sich so stark in die Erinnerung ein, dass ein bestimmtes Gefühl, welches so ein Bild erzeugt, immer wieder abrufbar ist. Selbst dann noch, wenn man längst weiß, dass die dargestellte Situation nicht die Realität abbildet.

 

Foto: Emanuele di Terlizzi / März 2020, Bergamo
Foto: Emanuele di Terlizzi / März 2020, Bergamo

 

Viele von uns werden sich bei dem Stichwort "Bergamo" sofort erinnern.

 

Wir haben es im Fernsehen, in den Zeitungen und Zeitschriften, in den sozialen Medien selbst gesehen: ein Militärkonvoi fährt langsam durch eine verlassen wirkende, dunkle Stadt. Die Stadt heisst Bergamo, liegt in Italien. Es ist März 2020, wir sind noch ganz am Anfang der neuen Coronapandemie. Die Militärfahrzeuge transportieren Särge -  Särge von Corona-Toten. Es ist eine Prozession. Angst und Beklemmung verursachen die Bilder - damals auch bei mir.

 

Man hatte den Eindruck: es gibt in Bergamo viel mehr Tote als sonst jemals. So viele, dass nicht mal die Bestatter hinterherkommen. Ein Killervirus. Aber stimmte das so? Nein.

 

Heute, anderthalb Jahre später, kennen wir den Hintergrund.

 

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Denn der BR (Bayerischer Rundfunk) veröffentlichte und aktualisierte kürzlich auf seiner Website einen sehr interessanten Artikel über das Thema. Darin geht es auch um die "Bilder von Bergamo", die Ministerpräsident Kretschmer gestern wieder angesprochen hat. Die "Freie Presse" berichtete.

 

 

Liest man beide Beiträge, den des BR und den der "Freien Presse", kann man sich seine eigenen Gedanken dazu machen...

 

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Hier zuerst die Recherche (Ausschnitt) vom BR  (21.10.2021, Quelle s.u.):

 

WAS SEHEN WIR AUF DEM FOTO VON BERGAMO

Unser kulturelles Gedächtnis ist angefüllt mit Fotografien, die auf den ersten Blick rein dokumentarisch und objektiv wirken, in Wahrheit ebenso inszeniert sein können. In den vergangenen Jahren sind es immer wieder Fotos und Filmaufnahmen von Laien, die an ein Ereignis erinnern. Die Handyvideos vom Tsunami, der 2004 auf die Küsten Südostasiens traf oder von der Festnahme und Ermordung von George Floyd im letzten Jahr. Oder eben di Terlizzis Handyfoto aus Bergamo. Es war das, was man heute so gern "authentisch" nennt: nicht inszeniert, bildet es die nächtliche Szenerie ab, wie sie nun mal war – und erzeugt dadurch doch eine ganz neue, eigene Wirklichkeit. Genau genommen sehen wir nichts weiter als Autos bei Nacht. Ein Militärkonvoi, der bei Nacht durch ein Wohngebiet fährt: Das ist diffus genug um keine direkte Panik auszulösen, aber auch so deutlich, dass man lieber mal ein bisschen Klopapier mehr einkauft. In Wahrheit war das Militär nicht etwa eingesetzt worden, weil Berge von Leichen nicht anders hätten transportiert werden können. Die Anzahl der Verstorbenen war nicht höher als bei manchen Grippewellen in Italien. Es war die Angst vor dem im Frühjahr letzten Jahres noch "Killervirus" genannten Erreger. Um Fakten zu schaffen, beschloss man die sofortige Einäscherung der an COVID Verstorbenen. Normalerweise werden in Italien aber nur die Hälfte aller Verstorbenen eingeäschert. Deshalb reichten die Kapazitäten des Krematoriums in Bergamo nicht aus und die Leichen mussten in umliegende Orte transportiert werden.

 (Quelle: https://www.br.de/kultur/wieso-das-foto-des-militaerkonvois-in-bergamo-fuer-corona-steht-100.html)

 

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Und jetzt die "Freie Presse" am 25. 11. 2021, Zitat:

 

" Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) will die vierte Corona-Welle mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln unter Kontrolle bringen. «Wenn wir nächste Woche um diese Zeit feststellen, wir haben immer noch ein solches Infektionsgeschehen, dann werden wir gemeinsam darüber sprechen, was noch mehr notwendig ist - weil wir Bergamo in Sachsen nicht zulassen wollen», sagte er am Donnerstagabend in einer Online-Diskussion. Kretschmer spielte damit auf die dramatischen Situation in der norditalienischen Stadt Bergamo im Frühjahr 2020 an. Bilder von Militärlastwagen, die massenhaft Särge abtransportierten, lösten damals weltweit Bestürzung aus. Sachsen hatte später als erstes Bundesland auch Patienten aus Bergamo in seinen Krankenhäusern aufgenommen.

«Niemand würde in Deutschland Bilder wie in Bergamo ertragen, auch nicht diejenigen, die jetzt noch der Meinung sind, das ist alles gar nicht so schlimm», sagte Kretschmer. Man könne die Pandemie nicht einfach laufen lassen. Das, was Sachsen gerade mache, sei notwendig - «und vielleicht sogar noch ein bisschen mehr», verteidigte er die aktuellen Einschnitte in dem Bundesland. In Sachsen verbreitet sich das Virus im bundesweiten Vergleich am rasantesten."

 

(Quelle HIER)

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Mehr als der nicht stimmige Hinweis des Ministerpräsidenten auf Bergamo würde mich interessieren, warum man in dieser Zeit, heute, jetzt, die Schließung von Krankenhäusern zulässt und das Krankenhauspersonal mit Klatschen abspeist und auch noch mit Impfpflicht bedrängt?

 

Guckt man in die Statistik, so erfährt man, dass es in Deutschland im Jahr 1991 noch 2.411 Krankenhäuser mit 665.565 Betten gab. Im Jahr 2019 waren es noch  1.914 Krankenhäuser mit 494. 326 Betten (Quelle HIER).

 

Im gleichen Zeitraum wuchs die Einwohnerzahl von Deutschland von 80 Millionen auf 83 Millionen (Quelle HIER).

 

Im Oktober 2021, also vor wenigen Wochen, gab es laut Bundesregierung immer noch keinen Grund, Intensivkapazität aufzubauen.  Diskutiert wurde darüber auch nur, weil die AfD-Fraktion im Bundestag eine Anfrage dazu gestellt hatte.

 

Begründet wurde seitens der Regierung die Ablehnung so:

 

"Bei der Vorhaltung intensivmedizinischer Kapazitäten sieht die Bundesregierung aktuell keinen Handlungsbedarf. Schwankungen bei der Zahl freier Betten seien normal, sagt sie auf eine Anfrage hin. Dass es wegen Kündigungen seitens des Pflegepersonals zu einem Rückgang an Betten gekommen sei, kann die Regierung nicht bestätigen. Daten zu Anzahl sowie zu konkreten Ursachen möglicher Kündigungen von Intensivpflegekräften lägen ihr nicht vor."

 

Mir ist klar, dass sich gut ausgebildete Fachkräfte auch im Gesundheitswesen nicht in kurzer Zeit aus dem Boden stampfen lassen. Aber: sollte man nicht irgendwann damit anfangen, wenn sich in Zukunft mal was ändern soll? Pandemieunabhängig.

 

Vor acht Wochen also wurde von der Regierung (CDU/CSU/SPD) glatt abgelehnt, etwas in dieser Richtung zu unternehmen bzw. überhaupt etwas darüber wissen zu wollen. Die Ärztezeitung schrieb darüber HIER.

 

Und heute  - spricht Ministerpräsident Kretschmer (CDU) von Bergamo?!

 

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Laut RKI: Frei ist wenig und der Großteil der Intensivkapazität wird von Nicht-COVID19-Patienten benötigt.
Laut RKI: Frei ist wenig und der Großteil der Intensivkapazität wird von Nicht-COVID19-Patienten benötigt.
Stand heute 26.11.2021: 4.326 Corona-Intensivpatienten in Deutschland / DIVI-Tagesreport (https://www.divi.de/joomlatools-files/docman-files/divi-intensivregister-tagesreports/DIVI-Intensivregister_Tagesreport_2021_11_26.pdf)
Stand heute 26.11.2021: 4.326 Corona-Intensivpatienten in Deutschland / DIVI-Tagesreport (https://www.divi.de/joomlatools-files/docman-files/divi-intensivregister-tagesreports/DIVI-Intensivregister_Tagesreport_2021_11_26.pdf)