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Mensch und Maulwurf: ein Dialog (36)

Heute, am 24. 11. 2021

 

Wir sitzen abends daheim im schummrigen Erker, trinken Kaffee und gucken aus den großen Fenstern auf den weihnachtlich beleuchteten Boulevard. Längst ist es dunkel, die Lichter draußen spiegeln sich auf dem nassen Pflaster, Schaufenster leuchten. Die hölzernen Bergmänner am Weihnachtsmarkteingang halten Wacht. Leider wurde die Eröffnung des komplett aufgebauten Marktes coronabedingt verboten. Nun hoffen die Händler auf eine Öffnung des Weihnachtsmarktes vom 13.12.2021 - 06.01.2022, schrieb die "Freie Presse" am letzten Montag.

 

Drinnen haben wir wie abends immer ein paar Kerzen angezündet. Wir sind Ganzjahreskerzenfans. Nicht nur in der Adventszeit, nicht nur zu Weihnachten oder an den Geburtstagen.

 

Es nieselt jetzt leicht. Die kleinen Bäume vor dem Fenster behalten lange ihre grünen Blätter; nun aber, Ende November, färben auch diese Blätter sich gelb und fliegen davon oder kleben wie Abziehbilder auf dem Pflaster. Es ist, so wie es seit ein paar Jahren beispielsweise Ginko-Bäume in unserer Innenstadt gibt, auch diese Baumsorte (mir) neu; sieht aus wie ein besonderer Ahorn. Müssen wir mal herausfinden, was das ist. 

 

Früher wuchsen auf den Straßen unserer Altstadt keine Bäume, sieht man auch auf der  Ansichtskarte aus dem Jahr 1937. Als Kind fragte ich in der Schule, warum das so sei. Keine Alleen wie in anderen Städten gab es hier. Keine Linde auf dem Marktplatz. Die Antwort war, dass aus Gründen des alten Bergbaus das in unserer Stadt so nicht möglich sei. Heute aber gibt es sie, die Bäume der Innenstadt. Schön.

 

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Baumlos (Ansichtskarte von 1937; Quelle: https://ansichtskarten-lexikon.de/ak-123080.html)
Baumlos (Ansichtskarte von 1937; Quelle: https://ansichtskarten-lexikon.de/ak-123080.html)

 

 

Und heute sieht es an vielen Stellen auf dieser Straße so aus: 

 

 

Der Maulwurf gießt sich gerade eine frische Tasse Kaffee ein. Er wirkt abwesend, überlegt irgendwas. 

 

Yvonne: "So in Gedanken, mein Lieber? Was ist denn los?"

Maulwurf: "Heute ist der 24.11. ...."

Yvonne: "Na und? Haben wir vielleicht irgendeinen Geburtstag vergessen? Oder eine Rechnung nicht bezahlt?"

Maulwurf (rollt ungeduldig mit den Augen): "Nei-hein. Aber in genau einem Monat ist Heiligabend."

Yvonne: "Oh ja, das stimmt. Aber erst kommt die schöne Adventszeit, jetzt am Sonntag gehts los. Du weisst auch, was das bedeutet?"

Maulwurf: "Warte mal, ja - klar: Am Sonntag zünden wir die erste Kerze an. Aber vorher müssen wir uns noch einen Adventskranz bauen. Wie immer, stimmt. Da fahren wir am Samstag bestimmt zur Materialbeschaffung in den Wald, oder?"

Yvonne (lacht): "Sicher. Du drückst Dich romantisch aus: 'Materialbeschaffung' ....."

Maulwurf (zuckt ungerührt die Schultern): "Was denn? Stimmt doch, oder etwa nicht?"

Yvonne: "Doch, schon. Hast Du Dir überlegt, wie unser Kranz dieses Jahr aussehen soll?"

Maulwurf: "Vielleicht machen wir mal einen ganz, ganz anderen als sonst?! Bisher hatten wir welche aus Fichtenzweigen, aus Lebensbaum, aus Weidenzweigen ...."

Yvonne: "Ja, der aus Weidenzweigen ist praktisch gewesen, welkt und nadelt nicht, sieht die ganze Zeit gut aus und lässt sich sehr schön dekorieren."

Maulwurf: "Oder der Kranz in der Wasserschale. Der hat mir besonders gefallen, mit dem frischen Grün die ganze Zeit. Das war schon alles ganz gut; aber manchmal wird es Zeit, neue Wege zu gehen."

Yvonne (verblüfft): "Oha."

Maulwurf (unbeirrt): "Jawohl, etwas Neues probieren ist doch spannend, oder?"

Yvonne: "Schon, aber etwas Liebgewordenes immer so ähnlich zu machen, das tut auch gut."

Maulwurf (freudig): "Und wenn wir es mischen? Neues und Altes, Bekanntes und Unbekanntes, Gewohntes und Überraschendes?"

Yvonne: "Das können wir machen, klingt gut. Nur, wir müssen vorher wissen, was wir am Samstag sammeln wollen. Ob wir dazu dann in den Wald müssen oder ganz woanders hin?"

Maulwurf (hüpft begeistert auf dem Fensterbrett entlang): "Wenn's danach geht, würde ich einen Kranz aus Schwemmholz, mit Muscheln und kleinen Hühnergöttersteinen machen. Mit blauen Kerzen! Dazu müssten wir ans Meer fahren, nach Rügen ... (er verdreht träumerisch die Augen). "Or, da könnten wir am Strand in Binz neben dem Feuerkorb sitzen, Fischbrötchen vom Gosch essen und heißen Sanddornsaft trinken - herrlich!"

Yvonne: "Hhm, das könnte ich mir gut vorstellen. Also ich meine, am Strand zu sitzen und auch den maritimen Adventskranz mit den blauen Kerzen, so mit bunten Glasstückchen und Netzresten dekoriert. Aber Du weisst, dass wir jetzt keinen Urlaub machen können. Zu viel Arbeit momentan. Und an einem Wochenende hin und her, das ist mir zu hektisch."

Maulwurf: "Klar, weiß ich doch. Komm, uns fällt auch noch was anderes ein! Wir könnten auch von der Farbe ausgehen: zum Beispiel machen wir einen Kranz in orange. Nur orange."

Yvonne (nimmt den Gedanken auf): "Ja, mit Apfelsinen, orangen Stumpenkerzen, orange-silbernem Band, vielleicht den orangen Beeren an diesen Ziersträuchern auf dem Weg zum Bahnhof.... Nur die Apfelsinen - die müsste man dauern austauschen, damit sie nicht gammeln. Oder wie wäre es mit weiß?"

Maulwurf: "Ganz weiß, wie frischer Schnee. Aus weißbemalten Zapfen und Zweigen, mit Glitzer drübergestreut, großen weißen Stumpenkerzen, ein paar weißen Schneesternen, weiß-goldenem Band.... Auch schön."

 

***

 

Beide trinken Kaffee, gucken in die Dunkelheit und denken nach. Über Adventskränze, Farben, Weihnachtsmärkte, Feuerkörbe und noch viel mehr. Was es dann mit dem Kranz wird, das siehst Du hier hoffentlich am ersten Advent.

 

Aber heute fehlt noch was, nämlich der "Klassiker" vom Maulwurf. "Pass auf, Mylady!" sagt er, stellt sich ruhig hin und spricht ganz ernsthaft:

 

 

"Durch Stolpern kommt man bisweilen weiter, man muß nur nicht fallen und liegen bleiben." 

 

(Goethe)

 

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Ja. Ein kluges Wort des Meisters. 

 

Wir versuchen es.