Das Nebelmännle vom Bodensee / Teil 3

Die Suche nach dem verlorenen Glück - die Heimkehr

SCHOTTLAND EILEAN DONAN (www.pixabay.com/TLSPAM)
SCHOTTLAND EILEAN DONAN (www.pixabay.com/TLSPAM)

 

Michael war mit Fredo auf die britannischen Inseln gefahren. Sein Ziel war der Norden, Schottland. So durchstreifte er die Landschaft, Städte und Dörfer. Er arbeitete bei Handwerkern, bei Fischern und auf Burgen. So manche Dame der Insel küsste ihn gern. Die Jahre vergingen. Michael lebte hier sein Leben, es ging ihm gut. Ab und zu hatte er etwas Heimweh, dachte auch an Ulla. Aber alles rückte in die Ferne. Scheinbar unwichtig geworden. Sie würde schon auf ihn warten, da war er sich sicher. Und es war ja auch noch Zeit. Aber gerade die verlor er aus den Augen.

 

***

 

Ulla indessen gerade nicht. Sie kannte die Zeit ganz genau. Vor allem den ersten Montag eines jeden Monats vergaß sie nie und fieberte ihm entgegen. Denn dann war wieder Nebelmännle-Tag. Der Zwerg und die Dame Ulla, das war sie inzwischen geworden, trafen sich regelmäßig zur vereinbarten Stunde am See. Bei den ersten Malen hatte das Männle nur mit dem Kopf geschüttelt. Es hatte Michael noch nicht gefunden. Der Nebelgeist mahnte zur Geduld, schließlich könne er ja nicht hexen, nicht war ? Ulla hütete sich, ihm zu widersprechen. War doch das Männle ihre einzige Hoffnung auf Nachricht über Michael. Denn selbst meldete er sich nur spärlich mit nichtssagenden Zeilen. Sie wusste nur, dass er noch lebte und es ihm gut ging, in Schottland. Na, immerhin.

 

Doch dann, beim dritten Treffen, war das Männle ganz außer sich vor Freude. Aufgeregt hüpfte es hin und her. Dann berichtete es Ulla, dass es Michael tatsächlich gefunden hatte! In Schottland. In der Nähe von Loch Shieldaig. Dort wohnte er in einem kleinen Haus in der Nähe des Wassers. So konnte das Männle ihn aus seinem Nebel sehr gut beobachten. Michael fischte, verkaufte die Fische und setzte das kleine Haus mit dem roten Dach instand. Fredos Stall war schon fertig eingerichtet, an der menschlichen Behausung wurde noch gearbeitet. Das alles nahm Michael in Anspruch. Ab und zu fasste er an die Goldmünze an seinem Hals. Dann nahm er sich vor, an seine Eltern zu schreiben und tat es etwas später auch. Er hatte viel nachgedacht und begonnen, sich für die technischen Wissenschaften zu interessieren. Gerade war er dabei, ein Wasserrad auszutüfteln, was ein kleines Pochwerk antreiben sollte. Das alles berichtete stolz das Männle an Ulla. Die strahlte.

 

Dass Michael in der letzten Zeit so gut wie nie an Ulla dachte, sagte das Männle nicht.

 

***

 

 

www.martinlawrencephotography.com___Loch Shieldaig, Schottland
www.martinlawrencephotography.com___Loch Shieldaig, Schottland

Die Monate vergingen, die Jahre....

 

Aus dem zarten Mädchen Ulla war eine schöne, erwachsene Frau geworden. Auch dünn war sie nicht mehr, denn sie hatte den Kuchenrat des Männle befolgt. Gut sah sie aus. Und sie lebte ihr Leben.

 

Vor einem Jahr hatte sie sich mit dem Ritter Rollo aus Konstanz verlobt. Das war ein bodenständiger, lustiger Mann mit wirren blonden Haaren, der eine schöne Burg und eine berühmte Jagdhundzucht hatte. Niemals war er rastlos oder erinnerte sonst irgendwie an Michael. Leider und Gott sei Dank. Dachte Ulla. Sie hatte Rollo sehr gern, aber er hatte eben einen Fehler. Er war Rollo, nicht Michael. Trotzdem hatte sie beschlossen, ihn zu heiraten. Und zwar an dem Tag, an dem die sieben Jahre seit Michaels Fortgehen vorüber waren. Das Leben musste weitergehen, und sie wollte schließlich nicht alles verpassen. Auch ein Kind wünschte sie sich sehr. Und sie war, bei aller Liebe, insgeheim auch wütend auf Michael. Haute einfach ab, vergnügte sich in Schottland, während sie hier herumsaß ? Na, nicht mit Ulla. Sie hatte sich verändert.

 

Das stellte auch das Männle fest, als es Ulla im August am See traf. Sie war gut gelaunt und sogar etwas frech, so konstatierte der Geist. Schade eigentlich, wenn Ulla und Michael nicht mehr zueinander finden sollten. Denn, bei allem Elend, was es gegeben hatte, so gehörten sie doch zusammen, fand das Männle. Es hatte beide beobachtet, in den vergangenen Jahren. Sie hatten sich entwickelt, waren gereift. Ulla war selbstbewußter und klüger geworden. Michael geduldiger und ruhiger. Und er hatte Heimweh manchmal. Das wusste das Männle. Langsam wurde es dem Ritter in der Weltgeschichte doch zu ungemütlich. 

 

So beschloss unser Nebelmännle, ausnahmsweise in die menschlichen Geschicke einzugreifen. 

 

***

 

Cornwall und Schottland (www.pixabay.com - jplenio / SteenJepsen)

 

Als es wieder mal in Loch Shieldaig herumnebelte, an einem Sonntagmorgen, da tauchte es vor Michael auf und sprach ihn an.

 

"Hallo Herr Ritter, schöne Grüße aus der Heimat vom Bodensee.. Du kennst mich, ich bin das Nebelmännle."

 

Michael riss die Augen auf. Was war das für ein grauschillernder Zwerg? Träumte er noch ? Es war noch ganz zeitig, gerade erst war er aufgewacht und aus dem Haus ans Wasser gegangen.

 

"Ja, da schaust Du." so das Männle weiter. "Denkst Du noch manchmal an Deine Braut ?"

 

Michaels Gesicht hellte sich kurz auf, dann wurde er ernst.

 

"Ja, ich denke an sie. Schlecht behandelt habe ich die Frau. Das hat sie nicht verdient. Ich glaube ja jetzt nicht mehr, dass sie mich noch liebt und auf mich wartet. Eitel und dumm war ich. Zu glauben, dass sie so lange auf mich unsicheren Kollegen wartet. Die sieben Jahre müssten ja auch bald vorbei sein...."

 

Das Männle tobte nun herum: "Waaaas ? Bald vorbei ? Ob sie mich wohl noch liebt... laber, laber, laber. Wenn Du`s genau wissen willst, so sind die sieben Jahre genau heute, an diesem Sonntag, vorbei. Jetzt gleich, mein Lieber! Und Ulla wird heute einen anderen heiraten, weil Du nicht zurückgekommen bist. Du bist zwar ein Ritter und auch nicht mehr der Jüngste, aber ein großer Dummkopf bist Du allemal."

 

Michael hatte aufgeregt zugehört. Jetzt biss er die Zähne zusammen, um nicht loszuheulen wie ein Weib. Die Ulla liebte er noch, sie gehörte zu ihm. Jetzt, wo es zu spät war, da wusste er es erst. Und er hatte sich falsch verhalten, das war ihm jetzt klar. Und nun ?

 

Zu spät. Zu spät ! Zu spät ?

 

 

 

"Ich kann Dir helfen, aber wir müssen uns beeilen. In einer Stunde fängt die Trauung an, sie sind bestimmt schon auf dem Weg zur Kirche." sprach das Männle.

 

"Ja, aber wie denn - so sag schon - alles will ich tun, um Ulla zurückzugewinnen!" rief Michael.

 

"Verlieren wir keine Zeit ! Geh ins Haus, wasch Dich, zieh Deine besten Kleider an. Hol ein paar Rosen vom Strauch hinter dem Haus. Sattle Fredo und komm dann wieder zu mir." sagte der Geist ganz ruhig, aber bestimmt. 

 

Michael verstand nichts, tat aber, was der Zwerg sagte. Schließlich hatte er nichts zu verlieren. Trieb der Kleine nur seinen Spott mit ihm, wars auch egal. Gestiefelt, gespornt, gekämmt, rasiert und mit einem Strauß dunkelroter Heckenrosen, die er in ein Stück weißes Leinen gewickelt hatte, wegen der Stacheln, trat er kurz darauf wieder zum See. Dort nebelte das Männle schon geschäftig herum.

 

"Komm näher...." schrie es von weitem "....näher zum Neeeebel...."

 

Dann trat es auf Michael zu, der auf dem unruhigen Fredo saß, mit den Rosen in der Hand. Fredo war ein mutiges Pferd, aber dieser kleine Graue war ihm nicht geheuer.  Das Männle sprach: "Ich bringe Euch jetzt zurück zu Ulla. Den Rest dort musst Du, Michael,  selber machen. Ob sie Dich noch will, weiß ich nicht. Und....etwas musst Du für mich tun. Bitte entferne endlich diese gruselige Nebelglocke vom Bodmaner Seeufer. Davon krieg ich immer Kopfschmerzen, das sag ich Dir. Das Ding hat einen Klang wie ein Blecheimer...."

 

 

Michael versprach dem Männle alles, was es wollte. Dann verschwand er mit Fredo im Nebel. Das Männle hustete vor Anstrengung. Schließlich nebelte es nicht jeden Tag einen Ritter samt Pferd und Rosen aus Schottland an den Bodensee. Na ja.

 

www.pixabay.com / ArtsyBee
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Nun ging alles ganz schnell. Der verwirrte Fredo stand plötzlich mitten im Nebel, der immer dichter wurde am Loch Shieldaig. Dann lichtete er sich - und man war zu Hause! Laut und freudig wieherte der Hengst. Michael ritt schnell wie der Wind zur Bodmaner Kirche. Das Brautpaar war gerade in die Kirche eingezogen. Der Herr Pastor stellte die wichtige Frage, ob jemand der Anwesenden etwas gegen die Verbindung der zwei Brautleute einzuwenden habe. "Dann soll er jetzt sprechen - oder für immer schweigen." sprach der Pastor. Ullas Mutter schnüffelte in ihr Taschentuch.

 

"Ja, ich habe etwas dagegen!" rief Michael laut in die Kirche hinein. Alle drehten sich bestürzt zu ihm um. Auf die Frage sagte sonst nie einer was, und wenn es noch so nötig wäre....

 

"Es tut mir leid, das ich Euch alle störe und durcheinander bringe. Aber ich kann nicht anders! Ulla, wenn Du mich noch liebst, dann heirate jetzt mich - nicht Rollo, ich bitte Dich."

 

Ulla war sehr verwirrt, doch nur kurz, dann lächelte sie. Sie ging zu Michael, der im Kirchenmittelgang auf den Steinen kniete und hob ihn auf. Dann ging sie mit ihm zu Rollo, der mit geschockter Miene vor dem Altar stand. "Rollo, bitte verzeih mir. Ich gehöre zu Michael." Rollo verdrehte die Augen nach oben und sagte leise: "Ja, von mir aus. Macht es. Ich wünsche Euch Glück. Heiratet, jetzt gleich, sonst ist dann wieder einer weg und wir warten alle nochmal sieben Jahre...." Rollo hatte halt Humor.

 

So fand die Hochzeit statt. Michael und Ulla heirateten. Michaels Eltern waren fassungslos vor Glück, waren sie doch Gäste einer eigentlich ganz anderen Hochzeit gewesen. Nachdem sich die Aufregung gelegt hatte, feierten alle ein großes, schönes Fest.

 

Nur Rollo, der verhinderte Bräutigam, war allein nach Hause gegangen und saß im Garten, bei seinen Hunden. Er fühlte sich - erleichtert. Wollte er doch eigentlich schon seit einiger Zeit seine Heimat verlassen und lieber nach Schottland gehen....

 

***

 

Das Nebelmännle aber führte nun ein glückliches Leben. Denn nach seiner guten Tat, die sich flugs herumgesprochen hatte, rings um den ganzen Bodensee, da konnte es nebeln, so viel es wollte. Nach Herzenslust. Und keiner läutete mehr irgend so eine scheppernde Glocke.

 

www.pixabay.com / StockSnap
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"Oh, aha, eine Win-win-Situation." lästert der Maulwurf. "Ach komm," sage ich, "gönn es ihnen doch....".

 

Und das tut er dann auch.

 

***