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Hervorgeholt: Das Nebelmännle vom Bodensee / Teil 2

Die Suche nach dem verlorenen Glück - daheim und unterwegs

Mit Bildern vom August 2018 aus Friedrichshafen und Konstanz

www.pixabay.com / cocoparisienne
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Da zog nun der Ritter Michael in die Welt hinaus.

 

Ganz allein ritt er auf dem Hengst Fredo an diesem sonnigen Herbsttag weg aus seiner Heimat Bodman am Bodensee. Michael und Fredo bereisten die Berge und Täler des Landes, die Dörfer und Städte, Seen, Felder, Wiesen und Wälder.

 

Lang und endlos war ihre Straße. Gerade gut so. Dieses Unterwegssein allein, nur mit Fredo, war das richtige Leben für Michael.

 

Ihr Weg führte sie in den nächsten Wochen vom Bodensee aus in nördlicher Richtung. Ziel war ein Hafen am Nordmeer. Sie kamen nach Stuttgart und Heidelberg, nach Frankfurt am Main und dann nach Koblenz. Von Koblenz aus ritten sie am Rhein entlang durch das schöne Flusstal oder nahmen auch mal ein Schiff für ein Stück des Weges. Sie besuchten Köln und staunten über den Dom, an dem noch gebaut wurde. Hinter Wesel verabschiedeten sie sich vom guten Rhein und reisten über Utrecht nach Amsterdam. Hier erwartete ein Schiff Pferd und Reiter. Es segelte mit ihnen nach Großbritannien.

 

Tief im Herzen fühlte Michael sich glücklich und befreit. Seit langer Zeit hatte er inneren Frieden, weil er wusste, dass er das Richtige tat. Für sich. Alles Neue ringsherum nahm er tief in sich auf. Die Städte mit ihren großen schönen Häusern, Plätzen, Kirchen, bunten Märkten und Schenken. Die Wälder, dicht bewachsen mit alten und jungen Bäumen, bewohnt von wilden kleinen und großen Tieren. Die weiten saftigen Wiesen voller duftender Kräuter mit dem Himmel darüber. Die fruchtbaren Flusstäler mit den schillernden Fischen in den Wellen.

 

Das Essen und der Wein und das frische Wasser, was es überall gab. Die Arbeit, die er ab und zu tun musste, um davon zu leben. Die Frauen, die er küsste. Das hatte er alles sehen und fühlen wollen.

 

Nur manchmal hatte er ein schlechtes Gewissen, wenn er an zu Hause dachte. An Ulla.

 

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www.pixabay.com / jaki0815 STUTTGART
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Ulla aber hatte Michaels Brief noch am Tag seiner Abreise erhalten und gelesen.

 

Keiner, der es nicht selbst erlebt hat, kann wissen, wie schlimm ihr nun zumute war. Sie war nicht mehr am Leben, sondern nur noch vorhanden. Sie aß und trank kaum, sprach nicht, weinte viel, war am liebsten allein. Freudlos und mechanisch erfüllte sie ihre Pflichten. Die Eltern und Freunde sorgten sich sehr und versuchten, sie aufzuheitern und abzulenken. Aber nichts half. Ulla war in Trauer und Verzweiflung gefangen. Viele Wochen ging das nun schon so. Herbst und Winter waren vorbei, der Frühling hatte begonnen.

 

Nur zu Weihnachten war ein Brief mit Grüßen aus Köln von Michael angekommen. Der Bote hatte ihn zu seinen Eltern gebracht. Ein einfacher Gruß an Ulla darin. Sonst nichts für sie.

 

Unser Nebelmännle
Unser Nebelmännle

 

Eines Abends ging die arme Frau zum See, ganz in Gedanken. Es waren die ersten warmen Tage des Jahres. Vögel sangen vorsichtig. Ulla saß am Ufer und starrte mit leeren Augen auf das neblige, graue Wasser im Dämmerlicht. Fische guckten durch die Wasseroberfläche, Enten tauchten, die Weidenzweige hatten grüne Knospen und ein paar Schneeglöckchen wuchsen am Fuß der Bäume. Da plötzlich bewegte sich der Nebel ganz leicht, es waberte über den See, auf Ulla zu. Sie bemerkte es nicht. Erst, als das Nebelmännle direkt vor ihr auf dem Wasser stand, blickte sie auf den Zwerg herab. Sie sprach nicht, sondern schaute nur. Zwei große Tränen rollten langsam über ihre Wangen, das Männle konnte es kaum ertragen, so sehr berührte ihr großes Unglück sein kleines Herz. Es sprach:

 

"Ulla, ich weiß, warum Du traurig bist. Es ist, weil Michael weg ist."

 

Sie schluchzte und sagte nichts.

 

Das Männle sprach behutsam weiter auf sie ein:

 

"Michael ist ein guter Mensch und liebt Dich auf seine Weise, aber er braucht das freie Leben und die Wanderschaft. Würdest Du ihn hier festhalten, wäre er nicht glücklich. Und Du auch nicht. Erzwingen kannst Du gar nichts, das weißt Du auch."

 

Sie nickte tapfer und fing leise an zu sprechen:

 

"Ja, ich weiß. Er hat auch von Anfang an zu mir gesagt, er wäre ein Lumich und ich sollte mich nicht in ihn verlieben. Aber ich konnte das nicht ändern und nun fehlt er mir, jede Sekunde meines Lebens. Und die Ungewissheit, ob es ihm gut geht und ob er an mich denkt, ob er jemals wiederkommt - die bringt mich noch um. Ich kann fast nicht mehr weinen und mein Herz fühlt sich an wie ein wunder Stein. Ich bin so schwach und schaffe es nicht, tapferer zu sein."

 

Das Männle war ein pragmatischer Geist. Es guckte kritisch auf Ulla und dachte nach. Dabei gestikulierte es mit beiden Händen in der Luft bzw. im Nebel herum, als ob es seine Gedanken mit Gebärden ausdrücken wollte. Das war aber gar nicht so, sondern das Männle dachte immer so nach. Es war in Zwiesprache mit sich selbst, nur aber eben mit Gesten anstatt mit Worten. Das Ganze war so komisch anzusehen, wie der Kleine da auf dem Wasser fuchtelte, sprang und das faltige Gesicht verzog - dass Ulla sogar lächeln musste. Das erste Mal seit langer Zeit. Ihr Herz machte einen Sprung. Zack, zurück ins Leben wollte es. Ein Anfang.

 

Das tatkräftige Männle hatte bereits einen Entschluss gefasst. 

 

"Pass auf, " so sprach es nun. "Ich weiß, wie wir es machen."

 

Ulla guckte nun gespannt aus noch roten Augen. Das Männle dachte bei sich: "Dass sie nur aufhört zu trauern und zu heulen, sonst wird sie noch ganz und gar trübsinnig und hässlich." Das sagte es aber natürlich nicht. Stattdessen:

 

"Ich kann Dir vielleicht helfen, Ulla. Ich suche Michael in den Nebeln dieser Welt. Dann komme ich wieder und berichte Dir, wie es ihm geht und was er macht."

 

Ulla war vor Freude ganz außer sich. 

 

"Das würdest Du für mich tun ?"

 

"Ja, ganz klar." So das Männle. "Aber umsonst ist das natürlich nicht. Und Du weißt - ich kann Dir erzählen, wo er unterwegs ist und wie es ihm geht. Ich kann keine Liebe herbeizaubern."

 

Ullas Miene wurde vorsichtig. Sie nickte jedoch tapfer und wusste, das musste ihr genug sein.

 

"Ja, ich weiß. Aber was willst Du denn haben ? Ich kann Dir Gold geben oder meine Perlenkette. Oder meine wertvolle böhmische Kristallschale?"

 

Das Männle rollte die Augen: "Aaaach, was soll ich denn mit Gold ? Und seh ich etwa aus, als ob ich Perlenketten trage ?" Es funkelte Ulla leicht giftig an. "Nein, nein. Und die Schale - mag zwar schön sein, aber wo willst Du denn dann Dein Obst reintun? Und nein, ich bin auch nicht Rumpelstilzchen und schachere hier um Dein zukünftiges Kind oder solchen Käse. Ich bin ein ehrenhafter Geist und nicht so ein verdammter Strolch."

 

Da hatte es sich doch sehr in Rage geredet, unser Männle.

 

 

"Ist ja gut, beruhige Dich. Ich wollte Dir nicht zu nahe treten. Aber was kann ich dann für Dich tun ?" wollte Ulla wissen.

 

*Oooh, sehr viel." So das Männle. "Während ich Michael suche, wirst Du Dich hier um Dich selber kümmern. Du wirst täglich zum See kommen und eine Runde schwimmen oder wenigstens am Ufer langrennen. Außerdem füllst Du Deine leere Obstschale wieder und isst jeden Tag etwas davon. Die grünen sauren Äpfel magst Du doch so gern und Erdbeeren gibts auch bald. Außerdem wirst Du wieder im Garten arbeiten und Deiner Mutter mehr im Haushalt helfen. Wo Du doch so gut kochen kannst, Ulla.

 

Dann räumst Du Deinen Kleiderschrank auf, nimmst ein warmes Bad im großen Holzzuber, mit Seife,  und holst die bunten Kleider nach vorn. Und die Bänder für Deine Zöpfe auch. Und Du steckst Dir gefälligst wieder Blumen ins Haar." Strafend blickte das Männle auf Ullas unordentlichen Dutt, die abgekauten Fingernägel, das graue Kleid, was zur Zeit gut zu ihrer fahlen Haut passte. Hier musste sich unbedingt was ändern.

 

"Ja, das werde ich alles tun." versprach Ulla.

 

 

www.pixabay.com / ArtsyBee
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"Ach und noch was, das hätte ich fast vergessen: Jeden Tag, aber wirklich jeden, isst Du ein Stück Kuchen! Egal welchen, was es gerade gibt. Schokoladenkuchen, Zuckerkuchen, Bienenstich, Kirschrolle, Erdbeer-Sahne-Schnitte, Rührkuchen, Stollen, Annaberger Rot-Weiß-Kekse, Zupfkuchen.....  Du bist nämlich ganz dünn geworden. Nicht gerade schön."

 

Ulla schluckte, weinte aber nicht.

 

"Ja, Du hast mit all dem Recht. Ich kümmere mich darum."

 

Tapfer stand sie auf.

 

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Das Männle schien zufrieden.

 

"Gut." so sprach es. "Dann werden wir uns jeden ersten Montag im Monat abends in der siebenten Stunde hier treffen. Dann erzähle ich Dir, was ich über Michael erfahren habe. Und Du wirst auf keinen Fall traurig sein, ok ? Egal, was passiert. Und tapfer sein ?"

 

Ulla versprach alles und verabschiedete sich vom Nebelmännle.

 

Sie hatte wieder ein Ziel, ein Leben. Tatkraft und Hoffnung waren wieder da. So unverzichtbar, so lebens-notwendig eben. Mit raschen Schritten ging sie am Seeufer entlang nach Hause.

 

Das Männle aber zog wieder auf den See hinaus. Schließlich war es nicht nur zum Spaß auf der Welt und musste sich um seinen Nebel kümmern. Und es würde nach Michael suchen. Und ihn finden.

 

In den Nebeln dieser Welt.

 

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www.pixabay / 12019
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Und wie die Geschichte nun ausgeht, das erfährst Du morgen, wenn Du möchtest, in Teil 3.

 

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Der Maulwurf ist ganz beeindruckt von den umfassenden Kuchenkenntnissen des Nebelgeistes. Woher der das alles weiß ? Ich wette ja mit Dir, er fragt mich gleich, ob denn Nebelmänner Kuchen essen würden und wo die denn den herkriegen, vom Bäcker oder was ? Er guckt schon so aufrührerisch gerade.