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Hervorgeholt: Das Nebelmännle vom Bodensee / Teil 1

Die Suche nach dem verlorenen Glück - der Aufbruch

Maler Axel Brandt / Galerie Tobias Schrade "Vergessen"
Maler Axel Brandt / Galerie Tobias Schrade "Vergessen"

Mit Bildern vom August 2018 aus Friedrichshafen und Konstanz

 

Warst Du schon mal am Bodensee ? Für mich ein Traumziel.

 

Eine wunderschöne Landschaft, mit Wasser und riesigem See - so richtig nach meinem Geschmack. Wer Wasser liebt, kann sich hier austoben. Schwimmen, Tauchen, alle möglichen Arten von Boot oder Schiff fahren, endlose Uferspaziergänge machen - ein Paradies für Wasserratten wie mich.

 

Und das alles inmitten der Berge - ein Traum. Als ich im Sommer 2018 am Bodensee war, in Friedrichshafen und Konstanz, hörte ich von einer interessanten Persönlichkeit aus der Welt der Sagen - dem Nebelmännle.

 

Neugierig machte ich mich auf die Suche nach diesem interessanten Kollegen - und fand ihn auch. Dieser Geist haust seit altersher am Bodensee und schadet mit seiner nebulösen Konsistenz den feinen Weintrauben, die dort wachsen. So gibt es einen starken Widerwillen der Menschen, besonders der Winzer, gegen das Nebelmännle. Als Weinbauer nämlich will man keinen feuchten Nebel an seinen Rebstöcken haben, sondern lieber klare Luft und Sonne. So hat man im Laufe der Zeit verschiedene Strategien entwickelt, um das Männle abzuwehren. Zum Beispiel durch Läuten einer Nebelglocke, um die es später noch gehen wird. Zur Effektivität dieser Methode ist leider nichts überliefert.

 

Das Männle scheint eine launische Persönlichkeit zu sein, denn es handelt abwechselnd hilfreich und böse. Vielleicht ist es aber auch so, dass es nicht anders kann, als den Trauben zu schaden. Da es eben ein Nebelgespenst ist.

 

***

 

Friedrichshafen
Friedrichshafen

 

Hier habe ich es heimlich porträtiert, das magische Männle. Gut, dass es nichts gemerkt hat, denn es hasst es, irgendwo abgebildet zu werden.

 

Nicht, dass es mich noch einnebelt....

 

 

Über dieses Nebelmännle gibt es viele Geschichten. Eine davon habe ich Dir mitgebracht. 

 

Diese Sage wurde von alters her überliefert und hat mit den Rittern von Bodman, einem Ort am Bodensee in der Nähe von Ludwigshafen (am Bodensee, nicht am Rhein), zu tun.

 

Beim Erzählen begleite Du mich doch beim Herumstreifen zwischen Friedrichshafen und Konstanz. Zu Land und zu Wasser. Diese Bodensee-Fotos habe ich selber gemacht, außer den beiden von der Schlosskirche unten (www.schlosskirche-fn.de).

 

 

Die Sagengrundlage unserer Geschichte geht auf Ludwig Uhland zurück, "Zur schwäbischen Sagenkunde ", Verlag von Tendler, Wien 1859, S. 35. Hier wird von einem Ritter von Bodman berichtet, der in die Welt reiste und dabei seine wartende Braut vergaß. Erst durch einen Pakt mit dem Nebelmännle konnte er geschehenes Unrecht wieder gut machen und das Blatt wenden.

 

Was aber hat sich hier am Bodensee zugetragen ? Ich habe da eine Idee, pass gut auf:

 

www.pixabay.com / Heidelbergerin
www.pixabay.com / Heidelbergerin

 

In Bodman am Bodensee, unweit von Konstanz, lebte einst ein Ritter auf seinem wohlhabenden Anwesen. 

 

Dieses weiträumige Gut lag an einem wunderschönen Platz am Ufer des Sees. Das große Wohnhaus, Scheune und Stallungen bildeten ein Geviert, das man durch einen großen Torbogen betrat. Über dem Tor prangte das ritterliche Wappen derer von Bodman.

 

Das Gut war von Wiesen, Obstbäumen, Linden und im Sommer von riesiger Goldrute, Rittersporn und Sonnenblumen umwachsen. Bienen summten. Schafe, Kühe und Pferde weideten friedlich. Hühner bauten sich Kuhlen im Sand. Ein stattlicher bunter Hahn namens Gerd stolzierte durch sein Dasein. Ein idyllischer Ort mit mildem Klima und freundlichen Menschen. Oft schien die Sonne, ein angenehmer Wind wehte. Früchte reiften. Weintrauben, gestreifte Pfirsiche, bunte Äpfel....

 

Im klaren Wasser des Sees konnte man wunderbar schwimmen und tauchen. Das hatte der Ritter in seiner Jugendzeit oft getan. Auch fuhr er mit seinem Boot hinaus und fing große Fische für die Tafel seines Gutes. In geringer Entfernung besaß der Bodmaner einen Wald, worin er Hirsche, wilde Schweine und Hasen jagte. Manchmal auch Rebhühner oder einen Fasan. Mit seinem großen schwarzen Hengst ritt er dann aus, der stattliche Bodmaner Ritter. Er hieß übrigens Michael. Nach dem Erzengel, den seine Mutter sehr verehrte. Zu ihm betete sie auch um Schutz für ihr schwieriges Kind.

 

Denn Michael war ein rastloser Mann. Oft achtlos lebte er dahin, in diesem Paradies, um das er von vielen beneidet wurde. Aber er sah See, Felder, Wälder, Wiesen, den Himmel, die Sonne, den Mond, die Wolkentürme, die Tiere, die Menschen meist nicht. Sondern war immer auf der Suche nach dem Abenteuerlichen, Neuen, Anderen.

 

Wachte er am Morgen auf und sah die Sonne auf seine Bettdecke scheinen, dachte er sich: "Ein Tag wie gemacht zum Fischen. Auf gehts. "

 

Dann ruderte er auf den See hinaus. Kurz nahm er wahr, wie das Sonnenlicht auf der windgekräuselten Seeoberfläche spielte und funkelte, der Himmel blau strahlte. Er lächelte. Dann fing er einen großen Zander. Michael hätte sich freuen können. Aber er ruderte schon wieder zurück, achtlos für die Schönheit des Moments. Denn schon erfreute ihn das alles nicht mehr und er dachte daran, gleich jagen zu gehen. Vom Boot aus lief er in die Küche und gab den Fisch ab. Dann bestieg er seinen schwarzen Hengst Fredo und ritt davon. Mit der Jagd erging es ihm wie mit dem Fischen. Er war erfolgreich, hatte aber keine lange Freude daran. Ruhelos streifte er so durch den Tag. 

 

Am Abend saß er im Kreise seiner Familie am Feuer. Sie aßen Fisch und Wildbret und tranken einen guten Wein aus der Gegend. Man lachte und unterhielt sich angeregt. Michael war nicht bei der Sache und hörte nur halb zu, was gesprochen wurde. Nachdem er eine Runde Schach mit seinem jüngeren Bruder gespielt und gewonnen hatte, auch das ohne rechte Freude, verließ er sein Anwesen nochmals und ging am See entlang. 

 

Nachdenklich, ruhelos, unsicher.

 

 

Es dämmerte schon, ein leichter Nebel lag über dem Wasser. Michael fröstelte. Er lief schneller, um sich zu erwärmen. Jetzt ging er einen Obstwiesenpfad landeinwärts, er freute sich auf ein Treffen mit Ulla, seiner Braut, mit der er heute noch verabredet war.

 

Ulla war ein stilles und freundliches Mädchen. Sie hatte lange dunkle Zöpfe und große, runde, braune Augen, mit denen sie neugierig und doch ein wenig vorsichtig in die Welt schaute. Weil sie klug war, sah sie mehr als viele andere Leute. Deshalb munkelte man, dass sie vielleicht zaubern könne. 

 

Am Treffpunkt an der alten Apfelgartenmauer wartete sie schon. Sie trat von einem Bein auf das andere und hatte sich ihr dunkelrotes Wolltuch fest um die Schultern gewickelt. Michaels Herz schlug schneller, als er sie sah. Er nahm sie stürmisch in die Arme und küsste sie. Ihr Atem dampfte in der kühlen Dämmerung. Sie schmusten und turtelten eine Weile, dann war er dessen auch überdrüssig und verabschiedete sich unter einem Vorwand kurz angebunden von Ulla.

 

Ihr war das nicht entgangen. Sie kannte Michael und seine ruhelose und sprunghafte Art. Er war immer irgendwie überall und nirgens. Rundherum unterwegs und nie richtig anwesend. Wenn sie von sich etwas erzählte, war er zunächst sehr aufmerksam. Meist aber nicht lange, dann verlor er das Interesse und ging zu einem anderen Thema über. Das hatte sie schon oft geärgert. In letzter Zeit war es noch schlimmer geworden. Ulla fürchtete sich ein wenig vor einem Zusammenleben mit diesem unruhigen Mann, der eigentlich nur sein Pferd zu umhegen schien. Aber sie liebte ihn auch und meinte, nicht ohne ihn sein zu können.

 

Ein Irrtum, wie immer.

 

Schlosskirche Friedrichshafen (www.schlosskirche-fn.de)
Schlosskirche Friedrichshafen (www.schlosskirche-fn.de)

 

Michael indes hatte sich zur Ruhe gelegt. Eine kühle Herbstnacht, Nebel vor dem Fenster - huschte da nicht jemand oder etwas vorbei ? Es waren die Frühherbstnächte, die am folgenden Morgen meist Nebel mit sich brachten. Der war nicht gut für die schönen Weintrauben, die hier überall angebaut wurden. Man aß sie nicht so, sondern kelterte Wein daraus, rot und weiß. Aber dafür durften sie auf keinen Fall länger nass sein und anfangen zu faulen. 

 

Den unguten Nebel schrieb man einem Geist zu, der hier am See wohnte. Dem Nebelmännle. Immer, wenn es in die Nähe kam, brachte es Nebel mit sich. Man gedachte, diesen Geist mit Glockenläuten zu erschrecken und zu vertreiben. Deshalb läuteten die Menschen kräftig und oft die Nebelglocke, die in einem Glockengerüst am Seeufer von Bodman hing. Ihr Ton hallte hell über das Wasser. Manchmal verzog sich dann der Nebel. War das Männle schreckhaft oder lärmempfindlich ?

 

So läutete es auch an diesem Morgen schon in der Dämmerung. Von dem hellen Glockengebimmel wachte Michael auf. Wieder hatte er von fremden geheimnisvollen Ländern, tiefen unergründlichen Meeren, silber glänzenden Riesenfischen, unglaublichen Schätzen, unbekannten Tieren, goldenen Schlössern und schönen fremdartigen Frauen geträumt.

 

Das alles wollte er sehen und erleben.

 

Seine quälende Unrast war unerträglich geworden. Dieser Mann verstand die meisten seiner Mitmenschen nicht. Die waren alles so sesshaft, so ruhig, so - ohne Anspruch, fand er. Lebten behaglich mit immer derselben Frau oder demselben Mann am selben Ort auf die selbe Weise mit den selben Tätigkeiten vor sich hin. Erkundeten nicht ihr Umfeld, gaben sich immer zufrieden. Waren immer eher vorsichtig statt wagemutig. Für Michael war schon diese Vorstellung allein eine Qual. Er fühlte sich beengt.

 

In seinem Kopf lebte er parallel mehrere Leben. Zu verschiedenen Zeiten, in unterschiedlichsten Ländern der Erde, mit immer neuen Abenteuern, Aufgaben und Mitmenschen. Mit nur einer Konstante: dem Hengst Fredo. Mit ihm fühlte er sich verbunden. Noch nie im Leben hatte Michael auch nur kurz daran gedacht, seinen Fredo durch ein neues Pferd zu ersetzen oder einfach nur ein zweites Tier dazu zu kaufen. Er liebte dieses Pferd; der Hengst war sein Freund. Nur bei ihm kam er wirklich zur Ruhe. Wenn er Fredo putzte und striegelte, ihn kraulte und mit ihm sprach, so waren das seine besten Stunden. Gerne streichelte er die weichen, samtigen Pferdenüstern. Meist wieherte Fredo dann ganz leise, ganz so, ab ob das Pferd lachte.

 

Der Gedanke an eine Heirat, sei es nun mit Ulla oder einer anderen Frau, behagte Michael nicht wirklich. Leichte Panik kribbelte bei diesem Gedanken auf seiner Kopfhaut. Er hatte ein ganz deutliches und starkes negatives Gefühl. Wie wenn man Angst hat, dass eine schwere Tür hinter einem krachend ins Schloss fällt. Um dann nicht wieder aufzugehen. Man kann nie mehr raus und ist für immer gefangen. 

 

Das aber wollte Michael nicht. Nein - er träumte von Abenteuern und einem bunten Leben. Niemals wollte er wie ein zahmer Dackel hinter einer Frau herlaufen. Freiheit - das war immer seine oberste Priorität. 

 

Und Ulla ?  Manchmal, wenn sie sich liebten, lachte Michael und küsste sie erst hinters Ohr und sprach. "Jetzt bin ich hier". Dann küsste er sie weiter, auf den Mund. Und sprach: "Und jetzt...bin ich hier".  Und dann kitzelte er Ulla und küsste sie noch woanders,  dass verrate ich jetzt nicht, und sprach: "Und jetzt... bin ich hier". Später stand er dann auf, lächelte sie an und sagte: "Und jetzt -  bin ich weg". Sie wusste genau, er liebte sie auf seine Weise und würde wiederkommen, aber sie wusste nie - wann.

 

Was würde nun daraus werden ?

 

Diese und jene Gedanken beschäftigten Michael an diesem Morgen.

 

Ulla (www.pixabay.com / Nastya Gepp)
Ulla (www.pixabay.com / Nastya Gepp)

 

Dann fasste er einen Entschluss.

 

Er rannte im dunstigen Morgenlicht zum See, zog seine Kleider aus und sprang ins kalte Wasser. Ein Schauer durchblitzte seinen Körper. Wie kleine Nadelstiche drang die Kälte in jeden Nerv. Nebel lag über dem Wasser, wieder bewegte sich etwas. Winkte ihm da jemand ? Na, er konnte es nicht erkennen. Hatte er da nicht ein Flüstern gehört ? Nein, wohl doch nicht. So schwamm er schnell wieder an Land, zog sich an und ging zum Haus. Jetzt wusste er, was zu tun war.

 

Nun packte er fest entschlossen ein paar Notwendigkeiten für sich und Fredo und seine Ersparnisse zusammen. An Ulla schrieb er einen Brief.

 

Er bat sie, sieben Jahre auf ihn zu warten. Würde er in dieser Zeit nicht heimkehren, so wäre sie frei für einen neuen Mann. So berichtet es die Sage. Das erschien dem Ritter offensichtlich ein angemessener Zeitraum zu sein (Wir verkneifen uns hierzu eine Bemerkung, würde sie doch nur giftig ausfallen.). Dann ließ er Fredo satteln und verabschiedete sich von seiner ratlos-bestürzten Familie. Die Mutter weinte und nahm ihn in den Arm, drückte ihn fest an sich, ließ los. 

 

Dann sagte sie: "Mein liebes Kind, was immer Du suchst, ich wünsche Dir, Du findest es. Pass gut auf Dich auf. Vergiss nie, wie sehr wir Dich lieben. Komm jederzeit heim, wenn Du willst." Dann hängte sie eine kleine Münze mit dem Erzengel Michael an einer dünnen Goldkette um den Hals ihres älteren Sohnes, dass die ihm Glück bringe und beschütze.

 

Nun ritt Michael davon, in die Welt hinaus. Die Eltern winkten noch eine Weile. Der Vater legte der Mutter seinen Arm um die Schulter. Beide gingen ins Haus zurück, nun allein mit ihrem jüngsten Sohn.

 

***

 

Und hier ist der erste Teil unserer Geschichte zu Ende. Wie es weitergeht, erfährst Du in Kürze in Teil zwei. 

 

www.pixabay.com / Simon
www.pixabay.com / Simon

 

Karel, unser großer Maulwurf, war damals mein Reisebegleiter. Er würde jederzeit wieder mit an den Bodensee fahren. So schön war es da.

 

***

 

Karel, der Große
Karel, der Große