· 

Als ich Stuntman werden wollte

Warum ich lieber Zorro als Dornröschen wäre

Die Maske des Zorro, 1975 (https://www.themoviedb.org/movie/18450-zorro/images/posters)
Die Maske des Zorro, 1975 (https://www.themoviedb.org/movie/18450-zorro/images/posters)

 

Viele Berufswünsche hatte ich als Kind.

 

Als ich fünf Jahre alt war, wollte ich unbedingt Busfahrer werden. Weil ich gerne mit dem Bus fuhr und Busse damals noch diese riesigen, beeindruckenden Lenkräder hatten, an denen die Fahrer mit vollem Körpereinsatz hantierten.

 

Woher auch der Ausdruck "rund wie ein Buslenker" kommt, was ich aber damals natürlich noch nicht wusste.

 

Später war dann klar: ich werde Tierarzt. Verletzte Tauben, Katzen, aus dem Nest gefallene Vögel, kranke Igel: alles sammelte ich und pflegte es selbst. Oder schleppte den Patienten zu einem befreundeten Tierarzt, der meine Darbietungen mit resigniertem Knurren ertrug und half, wenn es ging. Viele Jahre war der Tierarztberufswunsch dominant, andere Dinge waren mal kurz interessant, aber nie tiefgreifend.

 

Bis zu jenem Tag, als sich meine Eltern mit Dresdner Freunden über einen gemeinsamen Bekannten unterhielten, der als Stuntman arbeitete. Damals hieß das noch Kaskadeur. Ich war sofort Feuer und Flamme! Aus brennenden Häusern springen, halsbrecherische Verfolgungsjagden, todesgefährliches Reiten wilder Pferde, fechtend auf Geländern balancieren - das alles begeisterte mich. Viele Male hatte ich den 1975 erschienenen Film "Die Maske des Zorro" gesehen, immer wieder war ich in eines unserer Stadtkinos gegangen. So wollte ich sein: wie Zorro!

 

Meine Frage, ob es auch Frauen gäbe, die so was konnten, wurde von meinem Vater relativ unspektakulär bejaht. Gut so, dachte ich begeistert.

 

Schon immer wollte ich lieber Robin Hood oder Zorro sein als Dornröschen oder Rapunzel. Hundert Jahre scheintot hinter Dornengestrüpp herumzuliegen, um sich dann von einem, den man sich nicht mal aussuchte, wachküssen zu lassen? Klang für mich wenig erstrebenswert. Dagegen mit wehendem Umhang auf schnellem Pferd böse Verbrecher zu verfolgen und für eine gerechtere Welt zu sorgen - ein lohnendes Projekt. Ich wollte selbst etwas machen und nicht nur herausgeputzt wie Omas Kaffeewärmer in der Weltgeschichte rumstehen.

 

Schön sein war sehr schön, erschien mir damals aber schon als nicht ausreichend.

 

Also, gesagt - getan.

 

***

 

Am nächsten Tag ging ich an die Ausarbeitung eines Planes, an dessen Ende in ein paar Jahren das glorreiche Erscheinen meiner Person beim Doubeln gefährlicher Sachverhalte an den Filmsets der DEFA stehen sollte.

 

Ich schrieb auf, was ich jetzt schon konnte und was nicht. Da war dann schnell klar: ich war eine Baustelle. Schnell erfand ich für mich ein Trainingsprogramm, welches mich stärker und schneller machen sollte. Das war gar nicht so schlimm, denn im Alter von damals elf Jahren war ich sowieso schon ziemlich fit. Täglich abends, wenn meine Eltern dienstlich außer Haus waren, absolvierte ich meine Übungen und schrieb die Resultate in ein dafür angelegtes Schulheft.

 

Natürlich Liegestütze, Kniebeuge, Rumpfbeuge (heute Situps genannt). Rollen vor- und rückwärts, Handstand, Kopfstand (den konnte ich nie richtig). Ich balancierte und sprang auf einem alten Regalbrett, was ich mir auf den Fußboden legte. Dann rannte ich bis zur Erschöpfung die Steintreppe unseres dreietagigen Hauses hoch und runter, natürlich mit Feststellung der benötigten Zeit. Was sich die Nachbarn dabei dachten, weiß ich heute nicht. Damals war es mir egal. Im Rahmen meiner autodidaktischen Stuntausbildung ließ ich mich voller Schwung mit dem Stuhl umkippen und später, als ich mutiger wurde, sogar vom zwei Meter hohen Kleiderschrank fallen, inklusive Abrollbewegung am Boden dann. Täglich.

 

Diese Phase hielt ungefähr ein halbes Jahr an. In der Zeit hatte ich noch mehr blaue Flecke als sonst, fühlte mich aber hervorragend und sehr beflügelt von meinem Vorhaben. Filme mit gefährlichen Kampf- und Verfolgungsszenen sah ich jetzt mit anderen Augen: als angehender Kollege dieser Stuntmänner und -frauen.

 

Eines Abends machte ich zum wiederholten Mal den Kleiderschrankrunterfaller, wie immer krachte es laut im Kinderzimmer. Nur konnte ich diesmal nicht so problemlos abrollen wie sonst, denn ich hatte mir ganz übel den Fuß verstaucht. Lange Zeit humpelte ich und konnte mein Trainingsprogramm nicht fortsetzen.

 

Ich nahm es nicht wieder auf, die Tiermedizin rückte allmählich auf ihren alten Platz in den Vordergrund.

 

 

Tierarzt bin ich nicht geworden. Dafür Maschinenbauingenieur, meistens in der Instandhaltung arbeitend. Das unterscheidet sich jetzt nicht so sehr, wie man meinen könnte.

 

In der Instandhaltung geht es um die Pflege, Wartung, Reparatur und den Umbau technischer Systeme. Ziel ist immer das gute Funktionieren, die Verfügbarkeit einer solchen Einheit, ihre Gesundheit sozusagen. Auch auf lange Sicht, kein kurzzeitiges Herausquälen von Leistung. Weder bei Menschen noch bei Maschinen.

 

Nicht umsonst hatte ich früher während meiner ersten Instandhaltungsmonate Alpträume von verletzten riesigen Elefanten, die auf einmal nachts um zwei unglücklich in meiner Werkhalle standen und wie sämtliche Anlagen ringsumher nun ebenfalls sinnvolle Zuwendung und Entscheidung verlangten. Von mir.

 

Was sagte mir der Traum damals? Anwendungsbereites Wissen, Flexibilität und Ideen sind täglich gefragt. Und ja: auch Mut, Liebe und Begeisterung, für Schmiedepressen und Elefanten. Das Vertrauen auf eigene Kraft und Hartnäckigkeit; die Hilfe der anderen, ohne die man nicht sein kann; das kleine Stück Glück, das es immer braucht.

 

***

 

Alles eigentlich genau wie bei Zorro.

 

Man muss es machen.