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Hervorgeholt: Die schöne Polyxena von Freiberg

Unrecht gut gedeiht nicht

POLYXENA     www.pixabay.com / Pexels
POLYXENA www.pixabay.com / Pexels
Beim Herumstöbern im Sächsischen Sagenschatz von Herrn Grässe fand ich die Geschichte über eine Freibergerin, die Polyxena:

 

AUSZUG aus der Sagensammlung von Herrn Johann Georg Theodor Grässe, veröffentlicht erstmals 1874:
277. Die schöne Polyxena zu Freiberg.

 

[254] Curiosa Sax. 1741 pag. 344 sq. Moller a.a.O. S. 177. Textor, Denkw. a.d. Sächs. Gesch. Bd. VI. p. 195 sq.

 

"Ein  Doctor des canonischen Rechts, Johann Gartewitz[254] von Freiberg, († 1520) hat einige Zeit zu Rom gelebt und sich daselbst in den Stand der Ehe begeben, nach dem Tode seiner Frau aber ist er in den geistlichen Stand getreten, nach Freiberg zurückgekehrt und daselbst Canonicus geworden (1508). Er hat aber dahin seine in Rom gezeugte Tochter, die ihrer Schönheit wegen die schöne Polyxena genannt ward, mitgebracht, welche ein Brauherr auf der Meißner Gasse Andreas Behem (Böhme) geheißen zur Frau nahm. Diese hat ihrem Ehemann auf Anstiften eines Soldaten (Martin Krebs), mit dem sie Ehebruch getrieben, erst Gift beigebracht, und als dasselbe nicht nach Wunsch wirken wollen, denselben, ob er wohl bettlägerig und contract worden, doch um ihn los zu werden, des Nachts mit dem Brodmesser erstochen, vorgebend, als wenn er solches aus Schmerzen und Ungeduld selbst gethan. Sie ist aber, weil man Verdacht geschöpft, eingezogen und den 3. Septbr. 1522 enthauptet und alsdann aufs Rad gelegt worden."

 

 

Soweit die Überlieferung. Ich stelle mir vor, was wirklich passiert sein könnte.

 

Also, lass uns beginnen:

 

 

***

 

Ein Kirchenrechtler, Herr Dr. Johann Gartewitz war im Jahr 1508 aus Rom nach Freiberg zurückgekehrt. Lange Zeit hatte er in der fernen Stadt gelebt und gearbeitet. Er heiratete dort eine schöne und kluge Frau. Leider aber starb sie noch jung und viel zu früh an einer Fischvergiftung. In Rom.

 

Zu der Zeit war ihre gemeinsame Tochter Polyxena 10 Jahre alt. Erfahren wir etwas über sie ?

 

***

 

Polyxena war ein Kind und hätte ihre Mutter noch eine ganze Weile dringend gebraucht. Sie war ihr wesensverwandt und stand ihr näher als der Vater. Aber danach fragte keiner. Sie war ein sehr hübsches Mädchen und versprach, eine besondere Frau zu werden. Nicht nur ihr Äußeres ließ darauf schließen. Sicher, sie hatte dichtes, schwarzes Haar, fein geschwungene lange Augenbrauen, dunkelgrüne Augen und eine zarte Haut. Ihre Figur war schon in diesem jungen Alter recht fraulich. Später einmal würde sie darauf achten müssen, nicht zu dick zu werden.

 

Aber auch ihr Wesen, ihr Charakter waren besonders. Sie war ein stilles Kind. Trotzdem konnte sie sich durchsetzen und nahezu in Zorn geraten, wenn wehrlose Menschen oder Tiere misshandelt  oder beschämt wurden. Dann ging sie furchtlos auf die Situation zu und versuchte ihr Bestes, um den armen Geschöpfen zu helfen. Auch las und lernte sie gern. In Rom hatte sie gute Lehrer gehabt. Sie konnte in Deutsch, Italienisch und Latein schreiben und lesen, außerdem erhielt sie Unterricht in Geschichte, Mathematik und Religion. Zum Vergnügen zog sie Rosen im hauseigenen Garten und hatte einen Hund names Gajetano, eine noch etwas schlaksige jugendliche Dogge aus deutscher Zucht. Schwarz. Ein Geschenk ihres Vaters.

 

Kochen und Haushaltsführung brachte ihr niemand bei, da ihr Elternhaus über eine ausreichende Anzahl von Personal verfügte. Die hier herrschende Hausfrau musste organisatorisches Talent, diplomatisches Geschick und Geduld mit den Zänkereien der Mitarbeiter im Haus haben. Selbst etwas anfassen können musste sie nicht.

 

Polyxena hatte ein schönes Leben.

 

Das änderte sich abrupt, als ihre Mutter plötzlich starb. Ihr Vater gab seine römischen Geschäfte auf und wurde sehr traurig. Er saß zu Hause im Stadtpalazzo und schaute verzweifelt durch die großen Fenster seines Hauses auf die schöne Stadt. Jetzt, wo seine Liebste tot war, hatte er keinen Grund mehr, hier in Rom zu bleiben, wo er sich immer fremd gefühlt hatte. So beschloss er einen drastischen Schritt. Er wollte in seine sächsische Heimat, eine Bergstadt namens Freiberg, zurückkehren. Natürlich mit Polyxena, seinetwegen auch mit Gajetano. Aber sein italienisches Hauspersonal würde er nicht dazu bewegen können, die ewige Stadt zu verlassen. Um in eine ihnen gänzlich unbekannte und kalte Kleinstadt nach Sachsen zu gehen, na, nie im Leben, basta, basta.

 

Also reiste er im Herbst 1508 aus Rom ab, nachdem er die nötigsten Dinge erledigt hatte. Polyxena und Gajetano begleiteten ihn. Polyxena tief unglücklich, der Hund vorsichtig optimistisch. Der Vater selber war deprimiert, freute sich aber auch ein wenig auf seine alte Heimat. Seine Tochter würde sich schon an das neue Zuhause gewöhnen, der Hund sowieso. So war jeder der drei mit seinen Gefühlen und Gedanken beschäftigt.

 

ROM, mit Engelsbrücke,  erste Heimat Polyxenas    www.pixabay.com / Michjael Kleinsasser
ROM, mit Engelsbrücke, erste Heimat Polyxenas www.pixabay.com / Michjael Kleinsasser

Polyxena und Gajetano ( www.pixabay.com / Talib Abdulla + Tom Steiner)

FREIBERG in SACHSEN     www.pixabay.com / Jonny Lindner
FREIBERG in SACHSEN www.pixabay.com / Jonny Lindner

 

Freiberg empfing sie in diesem Herbst schon mit Schnee. Ungläubig tappten Hund und Kind hindurch. Das Haus, was sie in der Nähe des Untermarktes bewohnten, war viel kleiner als das in Rom. Der Hof war nur ein kümmerlicher Bereich mit ein paar Abfallbehältern und leeren Blumenkübeln. Kein Vergleich zum Garten des Stadtpalazzos. Die Menschen hier sprachen eine in Polyxenas Ohren abgehackt klingende Sprache, aßen eigenartige Dinge und machten meist ein besorgtes oder misstrauisches Gesicht. Nur Sybille, ihre neue Hausmagd, die sich auch um Polyxena und Gajetano kümmern sollte, war zum Glück eine lustige Person. Sie übte bereitwillig die Aussprache der Namen von Kind und Hund, was allen viel Spaß machte. Selbst Vater Gartewitz lachte mal wieder.

 

Eine Woche später nahm er seine neue Arbeit als Canonicus auf und nahm in Freiberg seine neuen Aufgaben war. Er fühlte sich wohl, langsam kam er wieder ins Leben zurück. Man hörte ihn jetzt öfter lachen, und zu Weihnachten schien er wieder gänzlich der Alte.

 

***

 

Die Zeit verging. Aus dem tapsigen jungen Gajetano war ein gestandener Hund geworden. Aus der kleinen Polyxena eine Frau. Und was für eine. Ringsherum in den Gassen nannte man sie nur "die schöne Polyxena". Sie sah auch wirklich ein wenig aus wie ihre Namensvetterin aus der griechischen Mythologie, die trojanische Prinzessin. Sie hatte schon im zarten Alter von 15 Jahren so manchen Kopf verdreht und allerlei leichtsinnigen Unfug getrieben. Sybille hatte ihr in den letzten Jahren beigebracht, was sie über Haushalt, Kinder, Kochen und die Behandlung eines Ehegatten wissen sollte, nach Meinung Sybilles natürlich. Oft hatten sie kichernd die Köpfe zusammensgesteckt, was dem Vater missfiel, da er Unseriöses vermutete.

 

Den Vater Gartewitz störte das Aufsehen, dass seine schöne Tochter erregte, einerseits. Andererseits war er auch sehr stolz, so einen Ausbund an Schönheit, Aufgewecktheit und Klugheit hervorgebracht zu haben. Bereits hielt er Ausschau nach einem Ehemann für sein Xenchen, denn vom Temperament her geriet sie doch nach ihrer feurigen Mutter und leider nicht nach ihm, der stets ein kühles Blut und einen klaren Kopf behielt. Deshalb musste sie seiner Meinung nach unter die Haube gebracht werden. Sie brauchte einen gutsituierten, passenden Gatten.

 

Und Gartewitz fand so einen. Es war schon wieder ein Jahr vergangen, Xenchen hatte gerade ihren 16. Geburtstag gefeiert. Es wurde höchste Zeit.

 

Was der Vater nicht wusste, war: Seine Tochter war das erste Mal richtig verliebt. Und wie! Sie wurde abwechselnd rot und blass; laut und still, fröhlich und traurig. Die ganze Palette. Wie ihre Mutter. Nur Sybille merkte es, da der Vater selten zu Hause war und von seiner Tochter allerhand Firlefanz gewöhnt war. Nur war es diesmal ernst. Sehr ernst, wie Du noch sehen wirst.

 

Und wen hat sich die schöne Polyxena nun auserkoren, fragst Du Dich? Na, nur Gajetano und Sybille wussten es. Das war nämlich ein Soldat namens Martin Krebs. Dieser Martin war ein interessanter, mutiger und gutaussehender Typ. Dumm war er auch nicht. Besonders interessierte er sich für Gesteine und Bodenschätze, deshalb war er eigentlich nach Freiberg gekommen.

 

Polyxena und Martin trafen sich heimlich. Solange es Sommer war, im Wald hinter der Stadt in Richtung des Dorfes Kleinwalthersdorf, dem sogenannten Fürstenbusch. Als es dann kühler und früher dunkel wurde, konnten sie mit der Verschwiegenheit Sybilles rechnen. Die rang zwar die Hände ob des ungewissen Ausganges dieser Turtelei. Aber sie half den beiden trotzdem und wünschte von Herzen alles Gute.

 

Das nützte ihnen jedoch nichts.

 

Glücklich ! Polyxena und Martin   www.pixabay.com / Pexels
Glücklich ! Polyxena und Martin www.pixabay.com / Pexels
In den Gassen von Freiberg war Polyxena viel unterwegs.    www.pixabay.com / Jonny Lindner
In den Gassen von Freiberg war Polyxena viel unterwegs. www.pixabay.com / Jonny Lindner

 

Als Polyxena sich eines Tages ein Herz gefasst und dem Vater die Warheit gesagt hatte, bekam er einen Tobsuchtsanfall. Er warf seine Tochter aus der Stube und trat nach dem Hund. Dann schrie er, beide sollten verschwinden und ihm nicht unter die Augen kommen.

 

Polyxena war verzweifelt. Sie durfte das Haus nicht mehr verlassen. 

 

Ihr Vater hatte sie eingesperrt, um einen Skandal zu vermeiden. Er ließ seine Beziehungen spielen. Der Soldat Martin wurde in eine andere Stadt verlegt. Polyxena und er konnten sich nicht mehr treffen oder Briefe austauschen. Auch ein Abschied war nicht möglich. Martin wusste nicht, was geschehen war. Keinen Moment aber zweifelte er an der Liebe von Polyxena. Auch nicht, als seine Kameraden lästerten, sie habe sich wohl endlich etwas Besseres gesucht. Er fürchtete um ihr Wohlergehen, denn er wusste: freiwillig hätte sie nie den Kontakt zu ihm abgebrochen. Er fuhr an einem freien Tag nach Freiberg und ging zu Polyxenas Haus, um mit ihrem Vater zu sprechen. Dieser aber jagte ihn davon und drohte, die Stadthäscher zu holen, sollte er jemals wiederkommen. Das war sehr gefährlich.

 

Kurz darauf zwang der Vater seine Tochter, den Braumeister Andreas Böhme zu heiraten. Herr Dr. Gartewitz kannte die größte Schwäche seiner Tochter. Sie wollte keinem Unschuldigen Leid verusachen. Also versicherte er ihr glaubhaft, dass er Martin sofort in einen Kriegseinsatz schicken lassen würde, aus dem er nicht zurückkehrte. Dafür würde er schon sorgen, darauf könne sie sich verlassen. Gott sei sein Zeuge.

 

Polyxena wusste, er hatte die Macht und den Willen, seine Drohung wahr zu machen. Sie hatte große Angst um Martin und wusste, dass sie ihm im Ernstfall nicht helfen konnte.

 

So willigte die traurige Frau schließlich unendlich schweren Herzens in die Heirat mit dem Braumeister. Dieser Andreas Böhme war ein angesehener Bürger der Stadt und besaß ein schönes Haus in der Meißner Gasse. Dort zog Polyxena nach der Hochzeit ein. Sybille und der nun schon alte Gajetano begleiteten sie. Ein Trost.

 

Ihr Ehemann Andreas war ein gutmütiger untersetzter Mann, etwas eitel und beschränkt. Deswegen hatte er die schöne Tochter seines Freundes zur Frau haben wollen, damit ihn die Welt beneidete und er sein wohlhabendes Dasein mit einem lebenden Schmuckstück krönen konnte. Mit ihm hätte sich schon auskommen lassen, aber Polyxena war unglücklich, wütend und verbittert. Sie konnte diesem Mann nicht verzeihen, sie geheiratet zu haben. Er wusste doch von Anfang an, dass sie ihn nicht liebte. Inwieweit er von der Erpressung ihres Vaters unterrichtet war, konnte Polyxena nicht sagen. Wahrscheinlich wusste er nichts davon, hätte es womöglich auch nicht gut geheißen. Wer weiß.

 

Meister Böhme hatte dazu seine eigene Meinung. Er war ein friedfertiger, etwas langweiliger Mensch ohne besondere Interessen. Ihm fehlten Fantasie und Leidenschaft. Er war der Meinung, die Liebe würde sich mit der Zeit schon einstellen. Andreas meinte damit ein harmonisches Zusammenleben ohne große Schwierigkeiten. Gefühlsausbrüche waren ihm schon immer zuwider gewesen. So konnte er mit seiner temperamentvollen Gattin wenig anfangen und begnügte sich mit seinem Besitzerstolz, ohne große Ansprüche zu stellen.

 

Nicht so Polyxena. Tag und Nacht dachte sie darüber nach, wie sie dieser Lage entkommen konnte. Mit Hilfe Sybilles war es ihr gelungen, Martin ausfindig zu machen. Sehen konnten beide sich nicht, aber ein reger Briefwechsel entstand. Das tröstete die junge Frau ein wenig. Zeitweise war sie jetzt sehr guter Stimmung, wovon auch ihr Ehemann profitierte. Dieser dachte sich, dass seine Frau sich mit ihrer Situation wohl abgefunden hatte und sich an ihn gewöhnte. Aber da irrte er sich.

 

Zu Ostern 1520 starb der Hund Gajetano im stolzen Alter von 14 Jahren. Polyxena war untröstlich und wurde finster und verschlossen. Als ein halbes Jahr später auch ihr Vater diese Welt verließ, fühlte sie sich allein und trostlos. Nie mehr würde jemand sie Xenchen nennen. Trotz seines Verrates hatte sie ihn doch sehr lieb gehabt.

 

Ihr pragmatischer Mann sprach von der Zukunft, das Leben gehe ja schließlich weiter. Ein Hund wäre wohl ersetzbar und der alte Vater hatte doch sein Leben gelebt. Man müsse nach vorn schauen. Sie waren jetzt schon vier Jahre verheiratet und hatten immer noch keine Kinder, daran solle sie denken. An ihm könne es ja nicht liegen. Sie begann ihn zu hassen.

 

Nun überlegte sie oft, wie sie ihn loswerden würde. Denn an Trennung war nicht zu denken in dieser Zeit. Mit Martin korrespondierte sie weiterhin intensiv. Selten trafen sie sich in einem Nossener Gasthof, inkognito. Ein Plan entstand, wie man Polyxenas Gatten vergiften könnte. Dieser war nichtsahnend, denn seine Vorstellungskraft reichte für derlei Dinge nicht aus.

 

Seit ihrer Kindheit interessierte Polyxena sich für Pflanzen und deren Wirkung; hatte viel darüber gelernt. Aus Stechapfel und Tollkirsche braute sie ein giftiges Extrakt. Niemand durfte etwas merken. Nicht einmal Sybille konnte eingeweiht werden, um das Vorhaben und sich selber nicht zu gefährden.

 

Polyxena sammelt Kräuter    www.pixabay.com / Jose Antonio Alba
Polyxena sammelt Kräuter www.pixabay.com / Jose Antonio Alba

 

Jeden Tag setzte Polyxena dem Essen und dem Bier des Braumeisters ein paar Tropfen des Gifts zu. Es sollte so aussehen, als ob er erkrankte. Dann sollte er innerhalb weniger Tage sterben.

 

Das aber funktionierte so nicht. Andreas war von ausgezeichneter, geradezu ordinärer Gesundheit und stark wie ein Stier. Nur langsam wirkte das Gift und schwächte seinen Körper. Er wurde immer gebrechlicher, starb aber nicht. Auch das Erhöhen der Dosis des todbringenden Gemischs bewirkte nur eine weitere Verschlechterung seines Zustandes. Aber er lebte weiter. Und er war misstrauisch geworden. Andreas rührte Polyxenas Essen und das gereichte Bier nicht mehr an. Von nun an ließ er sich von einer neuen Magd bedienen, die auch seine Speisen und Getränke extra zubereitete oder aus dem Ratskeller holte. Es ging ihm bald schon etwas besser. 

 

Das bekräftigte seine Vermutung, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zuging.

 

Das Jahr 1521 neigte sich zum Ende, es ging auf Weihnachten zu. Martin hatte seiner Liebsten ein kleines Päckchen geschickt. Eine schöne Halskette und ein Brief waren darin. Sybille nahm es an der Haustür von einem Boten entgegen und wollte es gleich zu Polyxena bringen, die gerade das Haus weihnachtlich aufputzte. Überall befestigte sie wie jedes Jahr zu Weihnachten frische, duftende Fichtenzweige, Strohsterne, rote Bänder und golden gefärbte Nüsse. Geschäftig eilte die Frau des Hauses hin und her, die Mägde halfen ihr. Der Knecht hackte im Hof Holz, damit man es schön warm hatte im Haus. Ein großer Braten schmorte im Küchenherd. Der Hausherr lag im zweiten Stock des Hauses auf einer bequemen Liege in Kaminnähe und schlummerte.

 

Es hätte schön sein können hier, an diesen Tagen vor Weihnachten.

 

Sybille wollte nur kurz nach dem Braten sehn, da schellte schon wieder die Hausglocke. In dem ganzen vorweihnachtlichen Durcheinander war sie kurz unachtsam und legte Martins kleines Päckchen auf eine große Eichentruhe in der Hausdiele.

 

Ein tödlicher Fehler.

 

Denn dort wurde es vergessen und erst am späten Abend entdeckt. Von Andreas! Dieser öffnete es und fand seine schlimmsten Befürchtungen übertroffen. Betrogen und hintergangen wurde er von seiner Frau, dieser schändlichen Hexe und ihrem Liebhaber, dem frechen Soldaten!

 

Außer sich vor Wut und doch leise ging er in die Küche, wo zu dieser späten Stunde Polyxena allein am Kamin saß und las. Es duftete nach Zimt und Gänsebraten. Er warf ihr Kette und Brief vor die Füße und starrte sie hasserfüllt an. "Du Miststück, Du gottlose Hexe! In der Hölle sollst Du schmoren für Deine Bösartigkeit!"

 

Er ging auf sie zu und packte sie am Arm. Aber blitzschnell hatte Polyxena nach einem Brotmesser gegriffen, das an der Seite des Tisches sauber auf einem Schneidbrett lag. Bevor Andreas begriff, hatte sie es ihm tief in den Leib gerammt. Stöhnend brach er zusammen und versuchte, sich an ihren Röcken festzuhalten. Entsetzt stieß sie ihn weg. Er röchelte, krümmte sich zusammen und starb.

 

www.PublicDomainPictures 17913
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Wie erstarrt stand Polyxena neben dem leblosen Gatten.

 

Jetzt war er tot, das hatte sie doch die ganze Zeit gewollt. Aber sie fühlte sich nicht froh, nicht am Ziel ihrer Wünsche. Das war gewesen, als wohlhabende Witwe nach einer angemessenen Trauerzeit Martin zu heiraten und mit ihm eine Familie zu gründen. Auch von einem neuen Hund hatten sie gemeinsam gesprochen. 

 

Nun war sie nur noch erschöpft und fühlte sich als eine sehr schlechte Frau. So hatte sie nie werden wollen. Aber doch war es geschehen. Sie war eine Mörderin.

 

Kraftlos ließ sie sich auf ihren Stuhl sinken. Das Messer rutschte ihr aus der Hand. Es klirrte, als es blutig auf den steinernen Küchenboden fiel. Polyxena saß auf dem Stuhl wie selbst versteinert. Minuten verstrichen, ohne dass sie sich bewegte. Sie dachte - nichts.

 

Da wurde die Tür aufgerissen und die kleine Inge, das war die neue Magd, die sich bisher um Andreas gekümmert hatte, kam herein. Sie hatte ihren Patienten gesucht und nichts Gutes geahnt, als sie ihn weder auf seinem Lager noch anderswo im Obergeschoss des Hauses fand. Auf der Suche hatte sie zur nächtlichen Stunde fast jede Zimmertür geöffnet und vorsichtig hineingespäht. Auch vor dem Haus und im Hof hatte sie schon nachgesehen, denn sie mochte Andreas. Auf die Küche war sie nicht gekommen. Das war erstens sowieso kein Ort für einen Mann, zweitens schon gar nicht in der Nacht. Aber dann hatte sie das Klirren des heruntergefallenen Messers gehört. Nun stand sie wie angewurzelt auf der Küchenschwelle und starrte auf den Toten, Frau Polyxena und das Messer. Das kleine Kaminfeuer war am Verlöschen und erleuchtete nur spärlich den Raum.

 

Inge schrie nicht, drehte sich nur um und rannte ohne ein Wort davon. Die Haustür fiel hinter ihr ins Schloss. Sie war fort. Polyxena erhob sich nicht. Reglos saß sie auf ihrem Stuhl.

 

Auch dann noch, als Inge mit der Stadtwache des Meißner Tores zurückkehrte. Diese waren die nächsten Ordnungshüter, die der jungen Magd eingefallen waren. Zwei Männer betraten mit ihr den Raum und sahen die reglose Frau und den Toten im gespenstischen Feuerschein. Sonst brannte kein Licht.

 

Widerstandslos ließ Polyxena sich von den beiden mitnehmen und in den Kerker sperren.

 

***

 

Es gab mehrere Verhöre, in denen sie zuerst bestritt, ihren Mann getötet zu haben. Er hätte an einer schweren und unerklärlichen Krankheit gelitten, gegen die auch die Ärzte machtlos waren. Dabei habe er ständig starke Leibschmerzen gehabt, die sich zeitweise bis ins Unerträgliche steigerten. So sei es in der besagten Todesnacht gewesen. Von Sinnen vor Schmerz habe Andreas sich das Messer selbst in den Bauch gerammt, um den Schmerz zu töten. So sprach Polyxena.

 

Die Verhöre wurden von einem klugen Juristen namens Woidenjörg geführt. Dank seiner Strategie verstrickte sich Polyxena zunehmend in Widersprüche und konnte am Ende des Mordes an ihrem Mann überführt werden. 

 

Dann erst erzählte sie ihre ganze Geschichte, so, wie Du sie hier erfahren hast.

 

Von der schönen Kindheit in Italien und der liebevollen Mutter, deren plötzlichem Tod und dem Umzug ins kalte und fremde Sachsen. Von der Liebe zu Martin, die nicht sein durfte und von der erpressten Heirat durch ihren Vater. Vom Plan, den ungeliebten Gatten zu vergiften, um sich seiner zu entledigen. Vom Misslingen des Plans und dem unglücklichen Abend in der Küche. Dem Herrn Woidenjörg tat die unglückliche Frau leid. Aber trotzdem war sie eine überführte Mörderin und Giftmischerin. Sie hatte großes Unrecht an einem Unschuldigen und Wehrlosen begangen (Beschränktheit dagegen war auch damals kein Verbrechen).

 

Deshalb gab es an Polyxenas Schicksal nichts zu ändern. Sie musste sterben, auf dem Schafott.

 

Nach einigen Monaten der Verhöre und der Kerkerhaft wurde Polyxena am 03. September 1522 in Freiberg hingerichtet. Es war ein spätsommerlicher schöner Tag, kurz vor Beginn des Herbstes. Der Jahreszeit, als Polyxena als Mädchen einst das erste Mal die Stadttore Freibergs passierte.

 

Ihr letzter Trost war die Hoffnung, in einer besseren Welt die Mutter und Gajetano wiederzusehen. Und irgendwann auch Martin. Warten hatte sie ja gelernt.

 

 

***

 

Polyxena wurde auf dem Friedhof an der Außenmauer begraben, weil sie eine Mörderin und Giftmischerin war. Ein Grabstein durfte erst viele Jahre später gesetzt werden. Dies veranlasste dann ein dünner älterer Mann mit grauem Haar und sorgenvoll zerfurchtem Gesicht. Oft kam er, stand eine Weile mit seinem Hund, einer schwarzen Dogge, an ihrem Grab. Jedes Mal legte er eine Blume nieder. Beide wirkten traurig und verloren.

 

Es war Martin, der Soldat.

 

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www.pixabay.com / Goran Horvat
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Dem Maulwurf ist ganz beklommen von soviel Unglück. Gerade macht er den Kühlschrank auf und holt sich ein Moskauer Sahneeis raus. Das soll ihn wieder froh machen.

 

***