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Im Grenzland

Deutscheinsiedel

 

Deutscheinsiedel, ein Erzgebirgsdorf direkt an der tschechischen Grenze, ist ein Ort, wo man viel Platz hat. Und das gefällt mir. Nur wenig findet man hier enggedrängte Grundstücke und Nachbarn, die sich ins Fenster fassen könnten - es ist freie Sicht, meistens. Gerade habe ich gelernt, das heißt "Streudorf". Eben wie hingestreut liegen die Häuser am Berg.

 

 

Ich bin eigentlich hergefahren, weil mir der Name so gefällt: "Deutscheinsiedel". Hier war ich noch nie. Sagte ich den Namen bisher mal laut vor mich hin, hatte ich sofort Bilder vor Augen... Vereinzelte Gehöfte in wilder Erzgebirgskammlage, heldenhafte und weise Einsiedler, dichter Wald, Schnee mit Verwehungen bis übers Knie und in den Mai hinein, wilde Grenzschänken mit Neinerlaa, Kräuterschnaps und Klitschern, uralte Erzgebirgspässe, Himmelschlüsselwiesen im Frühling, große Hirsche, krachende Sommergewitter.... Na -  und so weiter. 

 

Der Ortsname ("Einsiedel" auf sächsischer + "Mníšek" auf böhmischer Seite) geht auf Mönche aus dem mittelböhmischen Osek zurück, die in diese seit dem 13. Jahrhundert bestehende Siedlung kamen und 1560 eine Eremitage (Einsiedelei) und eine Kapelle bauten.

 

 

Böhmisch-Einsiedel, Ansichtskarte 1930er Jahre  (www.picclick.com)
Böhmisch-Einsiedel, Ansichtskarte 1930er Jahre (www.picclick.com)

 

Hier im Grenzland zwischen Sachsen und Böhmen trugen und tragen manche Ortsnamen auf beiden Seiten die Bezeichnung für ihre Landeszugehörigkeit, um so unterschieden zu werden. Sie hießen dann eben nicht nur Einsiedel, sondern Deutsch Einsiedel auf sächsischer Seite. Und Böhmisch Einsiedel im böhmischen Teil. Viele Deutsche lebten seit dem 12./13. Jahrhundert als Minderheit in Böhmen, das seit Mitte des 16. Jahrhunderts von den österreichischen Habsburgern regiert und später, ab 1918, tschechisch wurde.

 

Die Deutschen machten immerhin ca. ein Drittel der Gesamtbevölkerung der Tschecheslowakei aus; 1930 waren es 3,2 Millionen deutsche Böhmen, Mähren und tschechische Schlesier, die man später Sudetendeutsche nannte.

 

1945 und auch noch danach vertrieb man auf schlimmste Weise insgesamt 2,9 Millionen deutsche Einwohner aus Tschechien.

 

Die tschechische Regierung ließ in den Folgejahren ganze deutsche Dörfer und Ortsteile auf böhmischem Gebiet komplett schleifen und bestrafte Tschechen nicht, die deutsche Zivilisten massakrierten (Beneš-Dekrete). Nichts sollte mehr an die Vergangenheit und die an den deutschen Mitbürgern begangenen Verbrechen erinnern. Auch Deutsche hatten in der Tschecheslowakei Verbrechen begangen. 1938 war das Sudetenland dem Deutschen Reich angeschlossen worden, damals vertrieb man die tschechische Bevölkerung aus dem neuen "Sudetengau", schlimm erging es später den Juden. Was dann daraus wurde, konnte 1938 keiner hier wissen. Der zweite Weltkrieg hatte noch gar nicht angefangen.

 

Sudetendeutsche in traditioneller Tracht beim 64. Sudetendeutschen Tag in Augsburg (picture alliance / dpa / Andreas Gebert)
Sudetendeutsche in traditioneller Tracht beim 64. Sudetendeutschen Tag in Augsburg (picture alliance / dpa / Andreas Gebert)

 

Heimat verschwand.

 

Und alte Verbrechen können mit neuen Verbrechen niemals vergolten, nicht gesühnt werden. Erst, wer das begriffen hat, ist wirklich friedensfähig. Den Unterschied sieht man, wenn man sich die Bewältigung der Kriegsfolgen in Europa oder im Gegensatz dazu beispielsweise im Nahen Osten anguckt. Europa hat sehr schmerzlich Kompromisse geschlossen. Dazu gehörte auch, Verluste zu akzeptieren und beispielsweise nicht heute immer noch die ehemals deutschen Ostgebiete wiederhaben zu wollen. Nur so ist Frieden dauerhaft möglich. Wer das nicht schafft, wie in Israel / Palästina, der bekämpft sich ewig. Und schafft immer wieder neues Leid. 

 

Das sind Gedanken, die mir in dieser Umgebung unweigerlich kommen, denn es sind dieselben Straßen, die auch die Vertriebenen und die Soldaten damals gingen. Westwärts die auf der Flucht Seienden. 

 

 

Internierte Sudetendeutsche  im Juli 1945 in Prag / FOTO: CTK/PICTURE-ALLIANCE/DPA
Internierte Sudetendeutsche im Juli 1945 in Prag / FOTO: CTK/PICTURE-ALLIANCE/DPA

 

Aber zurück nach Deutscheinsiedel ins Hier und Heute:

 

 

Ich wurde nicht enttäuscht. Es war wieder so, wie ich es manchmal erlebe. Genauso wie der kleine Moritz (ich) sich die Welt vorgestellt hat, genau so ist sie dann auch. Das klappt nicht immer, aber wenn, dann isses sehr schön....

 

Schnee lag in den höhergelegenen Bereichen noch eine Menge jetzt Anfang März, einsam war es, kaum ein Mensch unterwegs trotz des sehr schönen, aber kalten Wetters. Einsiedler oder Schmugglerbanden begegneten mir nicht, nur zwei Radfahrer. Coronabedingt sind halt auch sämtliche Schänken, Hotels, Restaurants, Pensionen usw. leider geschlossen. Dafür traf ich zwei sehr große schöne Rehe. Ganz einsam der Grenzübergang. 

 

Wohl dem, der mit Kaffeerohr und Snickers ausgerüstet in die Welt aufbricht und keine Gesellschaft sucht....

 

 

Deutscheinsiedel gehört zur Gemeinde Deutschneudorf, gemeinsam mit deren anderen Ortsteilen Deutschkatharinenberg, Brüderwiese und Oberlochmühle.

 

 

Über die Grenze ins böhmische Mníšek (genannt auch Böhmisch-Einsiedel) kann man laufen. Ein alter Erzgebirgs-Pass, der Alte Böhmische Steig oder Saydaer Pass, führt durch den Ort Deutscheinsiedel. Diese Strecke ist Bestandteil der mittelalterlichen Handelsstraße Leipzig - Prag.

 

Die größten Hochmoorflächen des Landkreises gibt es hier und - sehr geheimnisvoll - auch Gründe zur Schatzsuche, gleich in der Nähe, im Fortuna-Stollen von Deutschkatharinenberg. Da wir heute in Deutscheinsiedel bleiben und nicht zu Fortuna gehen, haben wir für Dich einen kleinen Spiegel-TV-Bericht über den berühmten Schatz, der hier vermutet wird, mitgebracht:

 

 

Wir erkunden den Ort mit Kirche, Grenzübergang und herrlichen Wegen über sonnige, zum Teil noch schneebedeckte Wiesen. Einer davon ist der Kupferweg, der von Deutscheinsiedel aus in Richtung Brüderwiese und noch weiter nach Deutschneudorf führt. Sehr schön scheint auch der Eberhardweg zu sein, denn der hat sogar eine eigene Bushaltestelle, mitten in der häuserlosen Einsamkeit. Wie auf der Heimfahrt später zu entdecken war.

 

Diesen Eberhard hier merke ich mir für eine nächste Wanderung in eisfreier Jahreszeit. Genauso wie den Fortunastollen und das Hochmoor. Auch kann man mal einen Sprung ins Böhmische machen, das liegt hier nahe.....

 

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Und der Maulwurf, der "Krteček", ist auch Tscheche, deshalb heißt er ja Pawel.

 

Kleiner friedlicher Grenzgänger unterwegs zwischen Sachsen und Böhmen
Kleiner friedlicher Grenzgänger unterwegs zwischen Sachsen und Böhmen