· 

Der Beschränkte mit Kompass

Barrierefreies Denken üben

 

Es gibt barrierefreie Zugänge zu Gebäuden, barrierefreie Bäder und ganze Wohnungen, barrierefreie Mediendateien. Was bedeutet "barrierefrei" genau? 

 

Definiert ist dieser Begriff im Behindertengleichstellungsgesetz BGG, § 4: 

 

"Barrierefrei sind bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung, akustische und visuelle Informationsquellen und Kommunikationseinrichtungen sowie andere gestaltete Lebensbereiche, wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind. Hierbei ist die Nutzung behinderungsbedingt notwendiger Hilfsmittel zulässig."

 

Manches  im Leben bedarf der Verbesserung. (www.twitter.com / @IrenaBuzarewicz)
Manches im Leben bedarf der Verbesserung. (www.twitter.com / @IrenaBuzarewicz)

 

Soweit das Gesetz.

 

Was ist eigentlich eine Barriere?

 

Laut Duden "eine Absperrung, die jemanden oder etwas von etwas fernhält". Ursprung ist das französische Wort "Barre". Und das bedeutet soviel wie Riegel oder Schranke einerseits und andererseits auch Untiefe oder Sandbank.

 

"Barrierefrei" bedeutet in unserem Sprachgebrauch heute "ohne Hindernisse zugänglich" Sowohl den real existierenden Zugang meinen wir damit (die Rampe neben der Treppe vor einem Eingang) oder auch beim Medienkonsum die Nutzung von Dateien (erläuternde Texteinblendung in Filmen zur Verständlichmachung des Inhalts für Hörgeschädigte z. B.).

 

Klar ist also, eine Barriere hindert uns an irgendetwas. Das ist an sich neutral. Denn es kann nützlich sein, zum Beispiel an Bahngleisen, steilen Abhängen, sich bewegenden Maschinenteilen. Oder beim Zugriff auf sensibles Datenmaterial durch Identifizierung der Nutzer bei der Anmeldung.

 

Es kann uns aber auch schaden, Grenzen nicht zu überschreiten. Niemals würde man etwas Neues herausfinden, eine Entdeckung, Erfindung machen. Weil man immer nur dort bleibt, wo man ist. Diese Lebenseinstellung: "Nur nicht auffallen, nur nichts wagen, lieber in der Komfortzone bleiben." Mag ich überhaupt nicht.

 

***

 

Und beim Denken? Gibt es "das Undenkbare"? Ich vermute ja. Was dagegen sicher ist: es gibt die Denkbarriere: das Brett vorm Kopf. Und genau um diese Art von Barriere, Beschränkung solls jetzt gehen. Bretter, Bretter, Bretter.

 

Jeder hat sein Brett vorm Kopf, in unterschiedlicher Ausprägung. Es entsteht während unseres Lebens und verändert sich mit uns. Es ist ein Unikat, eine Spezialanfertigung, einmalig. Unsere Eltern geben uns eine Familien-Grundversion mit. Kinder lernen schon, was angeblich geht oder auch nicht, was man tut oder nicht, was richtig ist oder falsch. Das muss auch so sein, für ein soziales Leben müssen Regeln gelten.

 

Will man es positiv sehen, dann hat man statt des Brettes, das negativ beschränkt und einen dumm macht, lieber den Kompass, der positiv beschränkt und schützt.

 

Um herauszufinden, auf welche Weise man selbst "beschränkt" ist, kann man sich testen und so seinem persönlichen Brett etwas näher kommen, um es evtl. zu verkleinern. Hier kann man ein einfaches Spiel machen. Dafür brauchst Du ein Blatt Papier und einen Stift. Vielleicht einen zweiten Stift, in Farbe.

 

 

Hier das berühmte "Bretter, Bretter, Bretter!" mit Louis de Funés aus dem Film "Oscar" von 1967:

***

 

Gibt es erlernte "Grundwahrheiten", von denen man nicht abweicht? Welche sind das? Sowas wie "Das macht man nicht." oder "Das gibts bei uns nicht." oder "Sonntags geht man immer in die Kirche." oder "Wir wählen immer SPD.", "Jungen schlagen keine Mädchen.", "Der Mensch braucht drei Mahlzeiten am Tag.",  "Wenn einer am Boden liegt, tritt man nicht nach." , "Kariert und geblümt passen nicht zusammen.", "Eltern haben keine Ahnung.", "Das haben wir hier schon immer so gemacht." ..... Diese Liste kann beliebig verlängert werden, alles kann man wertungsfrei durcheinander hinschreiben.

 

Da sieht man, dass schon so Einiges zusammenkommt im Lauf der Jahre. Manches ist sehr hartnäckig und langlebig, anderes verfällt nach einer bestimmten Lebensphase. Und sehr Verschiedenartiges sehen wir da. Allgemeine Verhaltensmaßregeln und sehr genaue Vorgaben. Kleinkram neben Großem. Altmodisches und Aufbruch. Unreifes und Durchdachtes.  Wirkungsvolle, gute Dinge - aber auch Sachen, die einen klein und hässlich machen und das klare Denken erschweren. Denn diese Dinge schaffen Barrieren, über die man nicht geht. Erst mal. Eigentlich.  Vor denen man stehen bleibt, weil man das immer so gemacht hat. Nie wird man erfahren, was dahinter ist?

 

Also sollte man auf seinem Zettel sortieren in gute Barrieren, die kriegen ein Pluszeichen (Team Kompass).  Die schlechten Barrieren (Team Brett vorm Kopf) kriegen ein Minuszeichen.

 

Die guten sollten bewahrt, weitergegeben und ausgebaut werden. Die schlechten kann man sich wenns geht abgewöhnen. Denn wenn das nicht geschieht, sehen wir, wie verheerend sich das auf die menschliche Gesellschaft auswirkt. Lebensräume, in denen alles egal ist, in denen jeder nur das macht, was er gerade will, sind nicht erstrebenswert und wie ich finde: äußerst asozial. Immer mehr Abgrenzung, Vorurteile entstehen. Die vielbesprochene "Spaltung der Gesellschaft". Das sind wir alle.

 

Sieht man zum Beispiel im Verhalten Jugendlicher, wenn dort fünf Mann auf einen losgehen und den auch noch an den Kopf treten, wenn er schon am Boden liegt. Denen hat keiner was von Fairness und Ehre und Ritterlichkeit beigebracht. Genauso den Männern nicht, die ihre Frauen und Töchter schlimmer als Haustiere behandeln. Warum? Weil sie es so gelernt haben, es ist ok für sie. Und sie kommen nicht auf die Idee, sich selbst zu hinterfragen - dafür ist ihr Brett vorm Kopf schon zu groß. Und ein Kompass war nie da oder wurde längst verloren.

 

Und Gutes gibt es, das bewahrt und weitergegeben werden muss.

 

***

 

Wenn man sich nicht selbst mal von außen aus einiger Entfernung betrachtet und bewertet, gibts auch keine Chance, die eigenen negativen Barrieren zu überwinden.

 

Aber wir können das. Ruhig werden. Aus sich selber raustreten, zehn Meter weg gehen und dann zurückgucken. Was sehen wir? Richtig: einen Beschränkten, im guten Falle mit Kompass. Das sind wir selbst. Nicht immer schön. Vielleicht sehen wir einen Choleriker, einen Heuchler, einen Lügner, einen Feigling, einen Opportunisten, einen Ungeschickten, einen Dummkopf, einen Schwächling, einen Egoisten, einen Versager, einen Unentschlossenen, einen Süchtigen, einen Labilen, einen Korrupten, einen Lieblosen, einen Ziellosen, einen Ignoranten, eine unsportliche Sofakartoffel, - was weiß ich. Vielleicht sehen wir auch - das Gegenteil. Etwas, was gut ist an uns selbst.

 

Jetzt nehmen wir unsere Barrierenliste und suchen unsere wichtigsten Beschränktheiten raus: drei Stück negativ fürs Team "Brett vorm Kopf", drei Stück positiv  fürs "Team Kompass". Die markieren wir uns. Und schon haben wir was: Etwas Gutes, was so bleiben kann. Vielleicht ausbaufähig ist und uns zu neuen Ideen anregt. Und das Negative sehen wir deutlich, haben es endlich benannt und können uns was zur Änderung überlegen.

 

Wenn man das ab und zu mal macht, dann baut man Vorurteile ab, übt Selbstkritik und Denken. 

 

Barrierefreies.

 

Gute Sache.

 

***