· 

Mensch und Maulwurf: ein Dialog (13)

Heute: Macht Liebe blind?

 

"Liebe macht blind" - das ist ein altes Sprichwort, ein Zitat - man schreibt es schon dem antiken griechischen Philosophen Platon aus vorchristlicher Zeit zu. Oder wie Francis Bacon, der englische Politiker und Philosoph (1561 - 1626), es ausdrückte: "It is impossible to love and to be wise."

 

Um diese (Un)möglichkeit, gleichzeitig verliebt und weise zu sein, da gehts uns heute.

 

***

 

Ausgelöst wurde unser Gespräch durch eine Geschichte, die 2007 in Münster passierte. Ein lebendiger schwarzer Schwan verliebte sich in einen weißen Tretbootschwan und ließ ihn nicht mehr allein. Gerade erst hatten wir das zufällig mitbekommen. Die ganze Story über den Trauerschwan Petra, ihre Liebe zum Tretboot, den Aasee und wie es weiterging, das erfährst Du HIER.

 

Die schwarze Petra und ihre große Liebe - das Tretboot (Foto: picture-alliance / dpa / F. Gentsch)
Die schwarze Petra und ihre große Liebe - das Tretboot (Foto: picture-alliance / dpa / F. Gentsch)

 

Maulwurf (verständnislos): "Wieso denn macht Liebe blind? Ich seh, also für einen Maulwurf, eigentlich immer ganz gut, wenn ich verliebt bin."

Yvonne: "Ja, Du - das ist mehr ein Vergleich. Eine Metapher. Ein Bild. Es meint, wenn Dir jemand richtig gut gefällt und Du ihn sehr gerne hast, dann bemerkst Du seine negativen Seiten nicht."

Maulwurf (überlegt und guckt kritisch): "Du meinst, also, zum Beispiel, als ich mich in Ute verliebt habe, damals. Da hat sie mir so gut gefallen. Nur ihre Stimme.....Ich mein, wenn ich blind bin, dann kann ich ja trotzdem noch hören, oder....

Yvonne: "Du hast ihre schrille Stimme trotz aller Liebe als unangenehm empfunden?"

Maulwurf: "Ja, zweifellos! Deswegen war es auch immer am schönsten, wenn sie mal nichts gesagt hat."

Yvonne: "Mit dieser Ansicht bist Du als Mann sicher nicht alleine. Und auch manche Frauen wissen eine gewisse Schweigsamkeit zu schätzen, ist aber seltener."

Maulwurf: "Und was ist nun mit der Blinden-Metapher?"

Yvonne: "Ich glaube, es ist so: Du hast in Dir eine Vorstellung, eine Sehnsucht, sozusagen eine Schablone, wie jemand sein soll, den Du liebst. Genau nach DEM suchst Du dann in der Weltgeschichte. Du legst Deine Schablone an. Dabei ist Dir das gar nicht alles selber klar, was Du so willst. Es sind nicht (nur) Äußerlichkeiten, obwohl die abwechselnden Partner mancher Menschen schon von weitem zeigen, wonach sie ausgesucht worden sind. Es sind außer dem Aussehen Charaktereigenschaften, die Ausstrahlung, ein Lächeln, eine Macke von einem selbst, ein Fetisch, Dein eigenes bisheriges Leben, Biochemie...."

Maulwurf: "Bio-was?"

Yvonne: "Biochemie. Es gibt Anziehungskraft aufgrund biologischer und chemischer Zusammenhänge. Passen zum Beispiel die Immunsysteme von zwei Menschen, Mann und Frau, gut zusammen, dann finden sie sich eher sympathisch, als wenn das nicht so ist. Man sucht sozusagen automatisch jemanden aus, mit dem biologisch guter Nachwuchs möglich ist - mal so ganz pragmatisch gesprochen. Und diese Anziehungskraft fühlt sich so richtig schön an...."

Maulwurf (überlegt): "Aber für die Biochemie muss ich doch nichts sehen, also...."

Yvonne: "Stimmt. Das mit der heftigen Blindheit kommt auch erst später. Also dann, wenn Du Dir schon jemanden ausgesucht hast, wobei Du möglicherweise auch schon schlecht sahst... Und die Biochemie sagt: "Juhu!" Und Dein Bauch und Herz sagen: "Jaaaaa!" Dann kommt der Kopf ins Spiel und will gerade sagen: "Ääähhem, Entschuldigung -  ich würde dringend davon abraten....". Das willst Du natürlich nicht hören, weil dieser nüchterne Verstand Deine ganze biochemische Romantik zerstören würde. Deshalb fliegt er raus."

Maulwurf: "Aber wenn es doch besser wäre, eine Katastrophe zu vermeiden und bestimmt Dinge gleich von vorneherein sein zu lassen?"

Yvonne: "Stimmt theoretisch. Aber hier macht uns die Natur einen fetten Strich durch die Rechnung, weil sie weiß: je mehr die nachdenken, umso gefährlicher wird es für den Fortbestand der Menschheit oder der Maulwürfe. Ihr ist das nämlich scheißegal, ob wir glücklich sind oder nicht - Hauptsache, wir sind da. Ob unsere romantische Liebe bis ans Lebensende hält oder man dauernd mit seiner Partnerwahl schief liegt. Für die Natur zählt nur eins: Du musst überleben und Deine Art erhalten. Ob Du dabei jeden Tag freudig durch die Gegend springst oder Dich kaputtheulst, ist der Natur wurscht. Und deshalb hat sie hier eine hinterhältige Sollbruchstelle in uns eingebaut. Sonst würde es nämlich ganz anders ablaufen...."

Maulwurf (reißt aufgeregt die Augen auf): "Ja, verstehe! Man würde sich verlieben, weil der Andere so toll ist. Er oder sie, ich meine jetzt mal beide. Und dann....finge man an, genauer aufzupassen, nachzudenken und zu beobachten, einzuschätzen..."

Yvonne (redet hinein): "...Und weiter würde man vielleicht feststellen, dass der Andere nicht wirklich witzig ist, sondern nur platt und albern, vielleicht ein wenig doof, intolerant oder geizig. Dass der nicht nur gut aussieht, sondern ein eitler Lackaffe / Lackäffin ist. Dass dem alles aus der Hand fällt und der niemals einen Schuhschrank zusammenbauen will oder kann. Und dass er eine unangenehme Art zu husten hat, die Zahnpastatube offen liegen lässt, Erkältungen für fast tödlich hält, Rotwein in den Kühlschrank stellt, die Filme mit dem "Paten" nicht mag und heimlich den Nachbarshund tritt..... Das kriegt man aber alles erst mal nicht mit, weil - schwuppdiwupp - die Natur einen blind und geistig verwirrt macht. Das gilt umgekehrt natürlich genauso für die rosarote Brille des anderen, wie der uns dann sieht...."

Maulwurf: "Naja, mitkriegen tut man es schon. Aber man macht sich nichts daraus, lächelt dämlich vor sich hin und denkt sich, dass das angesichts dieser so großen Liebe alles nicht so wichtig ist."

Yvonne: "Genau. Wenn nämlich nicht, dann würde man sich freundlich, aber bestimmt verabschieden und wäre raus aus der Nummer. Und die Natur würde ins Rohr gucken und wäre verärgert, weil man dann alleine, aber gemütlich und gut gelaunt auf dem Sofa läge, Netflix guckte und Schokolade äße. Aber dabei natürlich den Fortbestand der Art gefährdet."

Maulwurf: "Hhhmmm. Soweit bin ich Deiner Meinung. Aber, wenn jemand den Hund tritt, wäre ich nicht mehr freundlich. Zum Glück hatte Ute nie solche Ambitionen. Ja, Ute .....(seufzt)...war schon besonders.....(seufzt wieder)....."

Yvonne: "Oh nein....,nein, bitte, jetzt nicht wieder traurig werden. Du weißt doch: Glücklich sein über das, was man gemeinsam gehabt hat und nicht trauern, wenns vorbei ist. 'Aim high and expect nothing', Uschi Obermaier, do you know?"

Maulwurf (schnieft und schüttelt sich kurz, dann gefasst): "Jo. Oder anders gesagt: Weg ist weg und hin ist hin. Love kills."

Yvonne: "Korrekt. Hätte man nicht besser zusammenfassen können. Und wer das Schöne will, der muss auch das Schwere mitnehmen. Und außerdem kann ja auch mal was klappen."

Maulwurf (wirkt geschafft): "Von wem ist das jetzt?"

Yvonne: "Von mir..... ".

Maulwurf: "....Weißt Du, am Heftigsten ist es ja, wenn es wirklich richtig gut passt und dann trotzdem was schief geht. Wenn Du denkst, Du hast diesmal alles richtig gesehn, ohne Blindheit. Wenn der andere alle drei Teile vom "Paten" immer wieder mitguckt, ohne zu meckern. Wenn sie so bisschen schief lächelt und Dir so schön, gut und richtig vorkommt wie am ersten Tag. Wenn Rotwein bzw. Kaffee wohltemperiert ins richtige Gefäß kommen und der Schuhschrank kein Thema und die Zahnpasta egal ist und dann die Schmetterlinge im Bauch nicht kapieren, warum die jetzt trotzdem weg ist...."

Yvonne (nickt langsam, dann entschlossen): " Wie wärs jetzt mit Kaffee? Ich glaube, wir bedürfen der Stärkung."

Maulwurf: "Oh jaaaaa, bitte. Ich fühl mich so ....entkoffeiniert...."

Yvonne: "?!....."

Maulwurf (freundlich): "Egal. Noch ein Klassiker gefällig, Mylady?"

Yvonne: "Ja, bitte....   "

Maulwurf (überlegt): "Vielleicht - was von Shakespeare....:

 

'All days are nights to see

till I see thee. 

And nights bright days

when dreams do show me thee.' 

 

'Alle Tage erscheinen finster wie Nächte

bis ich Dich sehe

Und alle Nächte leuchten wie Tage

wenn die Träume Dich mir zeigen.' "

 

Yvonne: "Wunderschön...."

Maulwurf (pragmatisch): "Ganz klarer Fall von Sollbruchstellen-Romantik-Anfall bei William....."

Yvonne: "Und ich frage mich, warum sich manche Leute und Schwäne in Tretboote verlieben und andere nicht...."

Maulwurf (gelassen und nonchalant): "Or, das weiß ich gleich, ist ganz einfach."

Yvonne (gespannt): "Echt? Wieso?"

Maulwurf: "Na, die haben eben eine Tretbootschablone!"

Yvonne (lächelt): "Kann schon sein." 

 

Beide trinken entspannt Kaffee und denken, jeder für sich, noch ein wenig über Schablonen nach.

 

***

 

Anmerkung Täterwerkstatt: Das englische Wort "thee" kannte ich noch nicht. Es ist eine altertümliche Form der höflichen Anrede einer Person und heißt soviel wie "Du" oder "Ihr".

Liebenswert, immer!
Liebenswert, immer!