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Krumme Touren in Annaberg-Buchholz

Auf der Zick-Zack-Promenade mit Zick-Zack-Gedanken

 

Heute kannst Du uns auf einer ganz krummen Tour begleiten, wenn Du willst.

 

Und zwar sind wir wieder unterwegs in einer unserer Lieblingsstädte, in Annaberg-Buchholz. Ein wunderschöner Ort in toller Umgebung. Nur fragt man sich ab und zu, wie eigentlich alte Leute, kleine Kinder und andere Menschen, die gerade nicht so gut zu Fuß sind, hier klar kommen. Zumal im Winter. Steigungen gibt es hier von normalen Stadtgassen, da hast Du das Gefühl, beim Hochlaufen nach hinten umzukippen. So steil ist das. Doch niemals würde ich mich beschweren. Ist halt eine Bergstadt im Erzgebirge. Und nicht der Darß. Also.

 

Es lohnt sich, diese Stadt bergauf und bergab zu erkunden. 

 

Hier gibt es eine Straße, teilweise einen Weg, namens "Zick-Zack-Promenade". 

 

***

 

Als ich vor einigen Jahren einige Annaberger, die ich kennengelernt hatte, von "auf der Zick-Zack" reden hörte, da glaubte ich an einen Spitznamen. So einen ausgefallenen und witzigen Namen hat doch bestimmt keine echte Straße hier, dachte ich damals.

 

Doch!

 

Es gibt sie. Und es ist auch nicht eine Straße, eine Gasse oder ein Weg oder irgendwas. Sondern eine Pro-me-na-de. Das finde ich sehr schön. Noch dazu, weil Du das erstmal hinkriegen musst, bei der Steilheit der "Zick-Zack" einigermassen elegant zu "promenieren". Den Namensgeber würde ich gerne wissen. Er oder sie hätte mir sicher gefallen. Ein Mensch mit bunter Knete im Kopf. Wie ich. 

 

Und so sieht diese Zick-Zack-Promenade auf Google-Maps aus:

 

 

Was ist eigentlich eine Promenade? Eine schicke Straße, wo viele Leute langspazieren. Auch, um gesehen zu werden. Daher das Wort "promenieren". Wikipedia erklärt uns:

 

Eine Promenade (franz. se promener ~ spazieren) ist ein großzügig und aufwendig ausgebauter Fußgängerweg. Als Promenaden werden diese Fußgängerbereiche insbesondere dann bezeichnet, wenn sie über große Flanierqualität und interessante Blickbeziehungen verfügen. Angelegte Promenaden dienen also in der Regel in erster Linie dem Lustwandeln und nur in zweiter Linie pragmatischen Fußgänger-Verkehrs-Funktionen. 

 

Die "große Flanierqualität und interessanten Blickbeziehungen" locken uns heute auf dieses Wegstück. Ganz grob zur Orientierung gesagt, liegt es zwischen der katholischen Heilig-Kreuz-Kirche und dem unteren Bahnhof Annaberg.

 

Auf gehts. Flanieren wir los. Flanieren kommt übrigens aus dem Normannischen und bedeutet soviel wie ziellos herumlaufen, schlendern. Pawel als geübter Flaneur weiß, wo es lang geht.

 

Wir starten an der Großrückerswalder Straße hinter der Heilig-Kreuz-Kirche. Hier beginnt sie. Die Zick-Zack-Promenade. Auf dem nicht mal ganz einen Kilometer langen Weg überwinden wir ca. hundert Höhenmeter. Beachtlich, oder? Zuerst gehen wir runterzu.

 

 

Hier am Anfang ist die Promenade eine ruhige Wohnstraße. Auch eine Schlosserei gibt es. Die gehört Herrn Looß. Weiter hinten steht "Haus Lebenshilfe", ein Behinderten-Wohnprojekt der Annaberger Lebenshilfe e. V. in einer wunderschönen, denkmalgeschützten Villa. Eine gute Sache, die Menschen ein möglichst selbstbestimmtes Leben ermöglicht. Mit Garten und einem nach Jugendstilvorbild neu gestalteten Zaun. Vielleicht hat ihn ja Herr Looß in seiner Schlosserei gebaut.

 

 

Wir sehen schon die Stadtmauer. Hier stehen Bänke um Blumenbeete und eine Bronzeskulptur von zwei Mädchen. Die Figuren erinnern an die Arbeiten des Bildhauers Gottfried Kohl aus Freiberg. Ich gucke später mal nach, wer der Schöpfer dieser Bronzefiguren ist. Gerade fängt es leicht an zu regnen. Ein schönes Dämmerlicht entsteht.

 

 

Nun überqueren wir am Parkhaus die Buchholzer Straße. Das ist sozusagen der Prachtboulevard von Annaberg. Eine schöne Straße, größtenteils Fußgängerzone  mit Theater, Restaurants, Cafés, einem alten Kino, Friseursalons, Schuhgeschäften, Klamottenläden, Uhren- und Schmuckboutiquen - und am Ende, am Markt von Annaberg, die Manufaktur der Träume.

 

In der italienischen Eisdiele auf der Buchholzer habe ich mich voriges Jahr getraut und zum erstem Mal in meinem Leben Hello-Kitty-Eis gegessen. Und das allein und ohne Kind. Niemand stellte Fragen oder guckte komisch.....Wunderbar, dort sitzt man sehr schön und kann die anderen Flanierenden betrachten.

 

Aber heute bleiben wir auf der Zick-Zack. Weiter gehts. Immer bergab. In diesem Fall etwas Positives.

 

Ein Stück sanierte Stadtmauer, schöne einzelne Wohnhäuser, Rasen, alte Bäume, leichter Niesel, herrlich.

 

 

Ein großes Haus aus gelben Ziegeln steht dann vor uns. Es gehört zum Theater, beherbert dessen Werkstätten und die Dramaturgie, wie draußen dransteht. Das kleine Annaberg-Buchholz hat schon seit über hundert Jahren sein eigenes Theater, ein schönes Haus mit eigenem Ensemble. 1893 wurde es mit Goethes "Egmont" eröffnet.  Das ist etwas Besonderes in der heutigen Zeit. Das Eduard-von-Winterstein-Theater und seine Freilichtbühne an den Greifensteinen sind einen Besuch wert, mehr dazu HIER.

 

Die Schauspielerin Eva-Maria-Hagen hat mit ihrer Tochter einige Zeit in Annaberg gelebt. Damals war Eva-Maria Schauspielerin am hiesigen Theater, Nina, noch ein Teenie, besuchte die Schule. Das war 1969/1970.

 

Eva-Maria hatte große Schwierigkeiten wegen der politischen Aktivitäten ihres Lebensgefährten, dem Liedermacher Wolf Biermann. Damals lebte er noch in der DDR, erst 1977 sollte seine Ausbürgerung erfolgen. Auch Nina hatte es nicht leicht, hier in Annaberg. Mutter und Tochter kannten glamourösere Zeiten, war doch Eva-Maria-Hagen ein Filmstar der jungen DDR und galt als ostdeutsche Brigitte Bardot. Nun waren sie in Ungnade gefallen und im hintersten Erzgebirge gelandet. Sie mussten klarkommen.

 

Der originale Überwachungsbericht eines Informanten der Staatssicherheit aus dem Annaberg dieser Zeit, vom März 1970, gibt Einblick in die Situation.

 

 

Eva-Maria Hagen als Elisa Doolittle in "My fair Lady" in Dessau am Theater, (Foto entstand zwischen 1966 - 1976) / www.eva-maria-hagen.de
Eva-Maria Hagen als Elisa Doolittle in "My fair Lady" in Dessau am Theater, (Foto entstand zwischen 1966 - 1976) / www.eva-maria-hagen.de

"Durch unser freundschaftliches Verhältnis zu Frau Hagen, hat sie sich neulich einmal mit mir ausgesprochen.
Es kam so zustande, daß sie einmal während einer Probe auf ein dringendes Ferngespräch aus Berlin wartete, wo es um einen DEFA Film ging wo sie eine Rolle hat und wo drei Drehtage in Prag sein sollten. Frau Hagen erzählte mir das schon während der Einteilung der Proben und wollte für diese Zeit frei haben.
Als das Telephongespräch kam ging Frau Hagen raus und kam nach einer Weile wieder, sie heulte furchtbar und erzählte mir dann unter anderem, daß man ihr gesagt hätte, obwohl sie schon Kostüm und Maskenproben gemacht hätte, daß ihr die Rolle abgenommen worden sei, daß sie umgesetzt worden sei, daß sie kein Visum für die CSSR bekommen würde.
Ich fragte sie darauf, worauf das zurück zuführen sei und da erzählte sie mir einiges.
Sie sagte, sie habe große Schwierigkeiten, man will mich beruflich tot machen, und das geht seitdem ich mit Biermann zusammen bin. Ich bin seit über einem Jahr beim Fernsehen nicht mehr aktiv beschäftigt, ich bekomme zwar mein Geld, aber man gibt mir nichts mehr zu tun und auch meinen Freundinnen, die beim Fernsehen arbeiten, hat man den Rat gegeben, den Umgang mit mir aufzugeben, sonst würden sie nicht mehr beschäftigt.
Sie sagte weiterhin, daß die Tochter Nina in der Schule große Schwierigkeiten hätte und es kam eben immer wieder zum Ausdruck, daß, seitdem sie mit Biermann zusammen wäre, sie wahnsinnige Schwierigkeiten hätte.
Auf der anderen Seite sagte sie, daß sie dem Filmregisseur am Telephon gesagt hätte, das sei Rufmord, was man mit ihr macht und daß sie jetzt dementsprechende Schritte einleiten wird. Sie wollte an den Staatsrat schreiben und sich über dieses Verhalten beschweren. Sie wollte weiterhin anführen, daß es während der Nazizeit man von Frauen verlangt habe, daß sie sich von einen Juden scheiden lassen sollten und ob das jetzt auch hier der Fall sei.
Sie war also in einer sehr niedergedrückten Situation, brachte dann aber zum Ausdruck, daß sie sich nun schon so langsam an diese Dinge gewöhnt habe.
Auf meine Frage hin, um also noch etwas zu erfahren, warum sie denn nicht eine Ausreisegenehmigung nach WD beantrage um dann drüben zu arbeiten, sagte die Frau Hagen: "Ich bin ein 100%iger Sozialist und werde auf keinen Fall so etwas machen. Aber ich sehe auch rein beruflich bald keinen Ausweg mehr".

Sie sagte, sie hätte das Gefühl, daß man von ihr vielleicht verlangt, daß sie zu Kreuze kriechen würde und um eine Rolle betteln würde, aber daß sie das auf keinen Fall tun würde, daß sie jetzt mit ihren Chansonabenden und mit den Gastspielen genug Geld verdiene.
Im großen und ganzen hatte ich den Eindruck, daß sie doch sehr traurig über diese Angelegenheit war. Ich muß aber auch sagen, daß sie in ihrer Arbeitsauffassung bei uns hervorragend ist und ich sehr froh bin, daß sie bei uns arbeitet.
Zur Frage der Verbindungen zu einzelnen Personen unseres Theaters wäre zu sagen, daß es sich bestätigt, daß die gute Verbindung zu .......... weiterhin besteht. Man besucht sich gegenseitig, kommt zum Kaffeetrinken zusammen oder ißt zusammen. Weiterhin besteht auch aus beruflichen Gründen eine gute Verbindung zur ..... , die auch des öfteren bei Frau Hagen zu Gast ist.
Zur polit. Einstellung von Frau Hagen möchte ich vielleicht noch sagen, daß sie eine gute und progressive Einstellung zu unserem Staat hat."

 

(Quelle: www.eva-maria-hagen.de/Allerhand/aktenkundig1970.shtml)

Werkstätten und Dramaturgie des Eduard-von-Winterstein-Theaters
Werkstätten und Dramaturgie des Eduard-von-Winterstein-Theaters

 

So wie die kleine Promenade "Zick Zack" heißt und bergab ein steiles Kürvchen an das nächste fügt, so springen meine Gedanken mit. Von Annaberg, der Stadt und dem schönen Theater zu Eva-Maria-Hagen, die hier eine Weile spielte und lebte. Zu ihrer Tochter Nina, der Sängerin, die heute 65 Jahre alt ist und immer noch für mich ein Vorbild für Unangepasstheit, positiven Eigensinn, Mut, Lebensfreude, künstlerische Vielfalt. 

 

Ich denke an das Ausspionieren und Kaputtmachen von Leuten durch die Staatssicherheit in der DDR. An Menschen, die oft eigentlich bereit standen, für eine bessere Gesellschaft zu kämpfen und zu arbeiten. Die scheiterten an der Unfähigkeit der Herrschenden zur Veränderung. Ich überlege mir, wie wichtig es doch ist, ständig selbstkritisch zu bleiben. Bei aller Überzeugung von einem Standpunkt, einer Haltung, einer Sache auch dem anders Denkenden ernsthaft zuzuhören und ihn mit Respekt zu behandeln. Andererseits aber auch wehrhaft zu sein und Eigenes zu verteidigen. Nicht immer gelingt mir diese Balance, aber ich erwarte es von anderen. Zum wiederholten Mal nehme ich mir vor, mich hierbei zu bessern.

 

Die Schauspielerin Eva-Maria Hagen hat vor ihrer künstlerischen Karriere einen ganz anderen Beruf erlernt. Sie ist nämlich ausgebildete Maschinenschlosserin. Das erfahre ich gerade erst bei der Bilderrecherche und der "Schlosserhintergrund" macht sie mir sofort noch sympathischer. Weiter springen die Gedanken, nun auf dem "Schlossertrip". Gedanken-Zick-Zack.

 

Dazu noch eine kleine Anekdote aus früherer Zeit. Von mir. Nicht von Frau Hagen. 

 

***

Ich sitze mit meinen Freundinnen abends am Wochenende in einer Diskothek zusammen. Wir sind alle Anfang zwanzig, schick aufgebrezelt und unterhalten uns über Männer im allgemeinen und im besonderen. Jede von uns hat schon ihre Erfahrungen gemacht, schließlich sind wir nicht mehr zwölf. Natürlich gute und schlechte Erlebnisse, wenn wir ehrlich miteinander sind.

 

Und das sind wir. Sie, meine drei besten Freundinnen, sind sogar schonungslos ehrlich zu mir, als es um den Beruf des Mannes geht, mit dem "Frau" zusammen sein sollte. Meine bisherigen Freunde waren fast alle Schlosser. Das war von mir keine Absicht, es hat sich einfach so ergeben. Nun hatte ich gerade wieder einen Neuen kennengelernt, von dem sie noch nichts weiter wußten, außer, wie er aussah. Rein äußerlich hatte er schon mal ihr Wohlwollen. Und nun?  Alle waren gespannt und redeten durcheinander. Sie sagten zu mir: "Gut wäre ein Arzt oder vielleicht ein Zahnarzt." Eine andere meinte: "Du studierst doch an der Bergakademie. Wenigstens ein Geologe?" Ihrem Berufsranking konnte und wollte ich nicht folgen, deshalb lachte ich schon in mich hinein. "Nun sag schon: Was macht er denn? Hoffentlich nicht wieder ein Schlosser ??!" fragte eine. "Neiiiiiin doch." antwortete ich und machte eine bedeutungsvolle Pause. Drei paar Augen richteten sich erwartungsvoll auf mich. Und dann - sagte ich nur ein einziges Wort: "ROHRSCHLOSSER.......". Kurz herrschte fassungslose Stille. Dann redete man wild durcheinander. An Genaueres erinnere ich mich dann nicht mehr.

 

Aber ich glaube, sie waren mit meiner Wahl wieder mal nicht einverstanden. War auch egal.

 

***

 

Wieder zurück in die Gegenwart und auf die heutige Piste! Das Wetter zieht etwas auf, die letzten Meter bis zum Ende der Zick-Zack-Promenade flanieren wir fast im Sonnenschein. Nun sind wir im Tal der Sehma, die man aber hier nicht sieht. Wir blicken auf Straße und Supermarkt, hinter dem gleich der untere Bahnhof liegt.

 

 

Wieder in die alte Innenstadt wollen wir. Und deshalb gehts jetzt die Promenade zurück, allerdings diesmal bergauf. Wir haben ganz ungemeine Flanierqualität und Promenierfreude bei einer Steigung von gefühlt fünfzig Grad....... Vor allem ich, denn der Maulwurf reist bequem in meiner Tasche. Weil er schlau ist, fragt er nicht, warum ich nicht schneller laufe. Nur ganz kurz überlege ich, ob der Namensgeber der "Zick-Zack" evtl. ein klein wenig sonderbar veranlagt ist oder war.....

 

Pawel ist auf Zack, hier auf der Zick-Zack!
Pawel ist auf Zack, hier auf der Zick-Zack!