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Werksschließung

Eine Tradition verschwindet

Vor einigen Tagen erfuhr ich von der geplanten Schließung eines Werkes, in dem ich früher mal gearbeitet habe.

 

Schon vor Jahren musste ich es verlassen. Der Standort wurde verkauft. Neue Verantwortliche kamen. Stets habe ich dieses traditionsreiche Werk in gefährlicher Flusslage später beobachtet und ihm Glück gewünscht. Dem mir vertrauten Ort: den Produktionshallen und Maschinen, den Werkstätten und Lagerbereichen, den Spezialabteilungen wie zum Beispiel der Instandhaltung - und natürlich den ehemaligen Kollegen. Und einem giftgrünen Gabelstapler namens Karl der Große.

 

Viel hat mich mit diesem Ort verbunden - bis heute. Manchmal, wenn ich frei hatte, fuhr ich zum alten Betriebsgelände am Fluss, drehte eine Runde durch die schöne Umgebung und ging, natürlich draußen, am Zaun entlang. Ich achtete auf die Geräusche, die zu hören waren. Der ruhige, schwere Takt der Hauptanlage (Ein Kollege sagte mal zu mir: "Da hört man ihr Herz".), die helleren, härteren Klänge aus der "alten Halle". Wie es sich anhört, wenn ein Gabelstapler etwas auflädt, transportiert, abstellt. Möglicherweise ein kleines bisschen zu schnell unterwegs ist. Das Krachen beim Schrottkippen, die Motoren der LKWs. Stimmen der Arbeitenden auf dem Weg von A nach B. Türenknallen. Werkstattgeräusche, Kühlung und Lüftung der Produktionsbereiche. Mal ein Rufen oder Lachen.

 

Jede Menge Erinnerungen an Gutes und Schlechtes, was ich hier erlebte. An Dinge, die ich auch heute noch glaube damals richtig gemacht zu haben. Und andere, die ich ganz sicher jetzt anders machen würde - besser. Wenn man etwas Bestimmtes unbedingt erreichen will, geht man an Grenzen oder darüber hinaus. Dabei macht man auch Fehler. Wer Glück hat, ist später in der Lage, das zu erkennen und daraus zu lernen. Und nicht verbittert abseits zu stehen. Sondern positive und wichtige Erinnerungen an Vergangenes zu bewahren. Um freundliche Gedanken in der Gegenwart zu haben.

 

Ich denke an Gespräche, Diskussionen und Streit. Wie wir Pläne schmiedeten, Ideen entwickelten und an der Umsetzung arbeiteten. An Gemeinsamkeit und Einzelkampf. Das Ringen um Stückzahlen, Produktqualität und Maschinenverfügbarkeiten. An Erfolge und Niederlagen. An Menschen, die immer wieder bereit waren, auf Freizeit und angenehme Arbeitsbedingungen zu verzichten und sich in Sonderschichten und Überstunden hier hingestellt haben, um etwas zu bewirken. Nicht immer wurde es ihnen gedankt. An Gespräche bei Kaffee und Bockwurst um die Geschehnisse des Tages, an nächtliche Telefonate bei besonderen Problemen. An gegenseitige Hilfe und Unterstützung. Aber auch an nicht zu vereinbarende Standpunkte, an Starre, Ignoranz, Angst, Egoismus und mangelnde Zukunftsorientiertheit.

 

An den Blumentopf (ich weiß es noch: ein Usambara-Veilchen), den mir meine neue Abteilung am ersten Arbeitstag  im März überreichte. Und ich erinnere mich genau, was ich empfand in dem Moment: Glück. Hoffnung auf was Gutes, Neues.

 

Kleiner Werks-Kollege, seit damals meist aufrecht stehend. Heute immer noch bei mir.
Kleiner Werks-Kollege, seit damals meist aufrecht stehend. Heute immer noch bei mir.

 

So finde ich es sehr traurig, dass dieser traditionsreiche und schicksalsgebeutelte Standort nach mehrfacher Umfirmierung in den letzten Jahrzehnten nun doch Ende 2020 geschlossen werden soll. Ein großer Verlust für die Region und für jeden einzelnen Mitarbeiter. Auch für die Ehemaligen wie mich.

 

Es steht mir nicht zu, über die Hintergründe und Verantwortlichkeiten zu urteilen. Dafür bin ich aktuell zu weit weg vom Geschehen. Außerdem wären solche Äußerungen an dieser Stelle hier fehl am Platz .

 

Folgerichtig ist es, so sage ich mir, dass man einen Produktionsstandort schließt, wenn er dauerhaft trotz mannigfacher Bemühungen der Leitung, der Belegschaft, trotz Umstrukturierungen und Änderungen nicht wirtschaftlich arbeitet. Es vielleicht unter den herrschenden äußeren Bedingungen aber gar nicht kann?!  Trotzdem bleiben Fragen: Hätte man es nicht doch anders entscheiden können? Wäre dieser endgültige Schritt nicht vermeidbar gewesen? Klar möchte man gerne daran glauben. 

 

Aber die Wirklichkeit sieht - heute zumindest - anders aus. 

 

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Und doch fällt mir gerade eine gewisse Granittreppe ein, über die wieder diskutierende Leute gehen sollten, irgendwann. Möglichst bald.