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Mensch und Maulwurf: ein Dialog (9)

Heute: Selbstgespräche

 

An einem Regentag Ende August ist nicht nur das Wetter trübe, sondern auch der Maulwurf wirkt bedrückt. Er hat keine Ideen, zumindest sagt er nichts. Sitzt etwas teilnahmslos in der Gegend rum (auf dem Sofa) und lächelt halbherzig in Richtung der Fenster, an die Wassertropfen trommeln. Irgend etwas stimmt mit Pawel nicht. Ich frage ihn. Er weicht aus. Antwortet nicht oder sehr einsilbig. Kurzum - er möchte nicht mit mir sprechen. Über das, was ihn gerade so verändert und beschäftigt.

 

Ich lasse Pawel in Ruhe, will ihn doch aber auch nicht hängen lassen. Verstehst Du, diese Spanne zwischen "nicht auf den Sack gehen wollen" und "trotzdem irgendwie helfen"? Man muss ja auch nicht immer reden. Dieser Satz stimmt oft. Also gehe ich in die Küche, mache Kaffee (mit Buttertoffeearoma). Eine Rolle "Knack und Back" muss dran glauben, schon bald duftet es angenehm nach Zimt. Das kann auf jeden Fall kein Fehler sein, denke ich mir so und trage alles zum Sofa. Interessiert mustert der Maulwurf das Kaffee-Tablett und setzt sich in Position. Immerhin. Ein Anfang.

 

Es entwickelt sich nun folgender, vorsichtiger Dialog:

 

Zimtschnecken und Kaffee helfen eigentlich immer. ( www.knackundback.de)
Zimtschnecken und Kaffee helfen eigentlich immer. ( www.knackundback.de)

 

Yvonne: "So, erst mal einen Kaffee und eine Zimtschnecke?"

Maulwurf: "Hhmmmpf." (trinkt vorsichtig einen Schluck, guckt angestrengt und etwas unglücklich)

Yvonne (reicht Pawel eine Zimtschnecke): "Hau rein."

Maulwurf: (nickt): "......danke......."

Yvonne: "Weißt Du, ich verstehe Dich - manchmal will man einfach mit keinem über das reden, was einen beschäftigt. Oder man kann es gar nicht. Dann muss man es auch nicht."

 

Wir trinken Kaffee und essen Zimtschnecken. Gesprochen wird nicht. Regen rauscht vorm Fenster. Auf dem Kaffeetisch brennt zuversichtlich eine türkisfarbene Stumpenkerze mit ruhiger Flamme. Es ist noch ein bisschen Sommer.

 

Maulwurf: "Haaaachz....."

Yvonne: "Willst Du jetzt reden?"

Maulwurf (schüttelt den Kopf, beißt sich auf die Unterlippe): "Kann nicht."

Yvonne: "Hm. ....Wenn Du willst, habe ich eine Idee für Dich. Die zaubert Dein Problem nicht weg, hilft aber vielleicht bei der Lösung...."

Maulwurf (guckt irritiert): ".......?!"

Yvonne: "Nee, keine Angst. Du musst dazu mit keinem sprechen. Auch mit mir nicht."

Maulwurf (seufzt erleichtert): "Ok.....was dann?"

Yvonne: "Pass auf. Wenn Du ein Problem hast und mit keinem darüber reden kannst oder willst, dann löse es mit der einzigen Person auf der Welt, die es wirklich etwas angeht. Mit DIR selber."

Maulwurf (nickt verstehend, schluckt): "Ok."

Yvonne: "Und dabei gibt es eine Möglichkeit, klar im Kopf zu werden. Gedanken sortieren, Lösungsmöglichkeiten finden, wieder verwerfen. Bis man am Ende etwas gefunden hat, wie man weiterkommt. Vielleicht ist es nicht die ganz große und abschließende Lösung. Vielleicht ist es nur so, dass man den nächsten Tag übersteht und es weitergeht. Und darum geht es. Nicht versacken. Weitermachen. Weiterleben."

Maulwurf (guckt schon ein wenig interessierter): "Und .....wie?"

Yvonne: "Mit DIR selbst kannst Du über alles reden. Bei DIR sind Deine schlimmsten Geheimnisse, Abgründe, Sorgen, die blödesten Peinlichkeiten, das Lächerlichste, das Versagen am besten aufgehoben."

Maulwurf (nickt zustimmend): "Was einer weiß, ist ein Geheimnis. Was zwei wissen.....na, Du kennst das schon...."

Yvonne: "Weißt Du, es geht ja auch nicht immer ums Vertrauen. Ich selber mache auch paar Sachen mit mir am liebsten ganz alleine aus. Aber nicht, weil ich keinem vertraue und denke, der geht jetzt gleich um die Ecke und erzählt alles weiter. Sondern auch, um nicht immer jemanden mit meinem Scheiß zu belästigen. Unabhängig sein, nicht immer jemanden brauchen zum Rumheulen, das ist eben auch cool. Aber nicht in jedem Fall. Manchmal braucht man den anderen wirklich. Muss auch jeder selber entscheiden."

Maulwurf: "Und wie lautet jetzt Dein Tipp für die Alleinheulenwollenden?"

Yvonne: "Nennen wir die mal lieber Einzelkämpfer......Der Tipp lautet: Führe ein SELBSTGESPRÄCH!

Nicht verrückt ist das, sondern sehr hilfreich. Und es geht so:

 

1. Sich ungestört irgendwo alleine hinsetzen oder herumlaufen, nichts anderes machen. Alleine sein.

2. Konzentrieren und laut aussprechen, was das Problem ist. Was man benannt hat, wird fassbarer. Vielleicht macht man sich Notizen. Hilft manchmal. Deutlich, konkret und laut sagen, was ist. Ehrlich dabei sein. Unter zwei Augen kann man sich selbst leichter mal zugeben, was für ein hässlicher, dämlicher Idiot man war/ist. Sprich Dich selber mit "Du" an, dann wirds greifbarer.

3. Sich überlegen, was an dem aktuellen Problem jetzt so schlimm ist. Und das deutlich sagen.

4. Was will man erreichen? Lösungen, Wege suchen. Nachdenken. Laut sagen. Bei für und wider ruhig mit sich selbst diskutieren. In der Art: Mache ich es so. dann passiert das. Mache ich es aber anders, dann wird es so und so laufen. Was sagst Du dazu? Was gefällt mir? Was stört Dich? Was will ich eigentlich? Im Wechsel.

5. Am Ende eine Möglichkeit raussuchen und festlegen und laut sagen: So und so mache ich das jetzt. Basta.

 

Und sich dann dran halten."

 

Der Maulwurf hat schon beim Wort "Einzelkämpfer" seine hängenden Schultern hochgezogen und sich mutig aufgerichtet. Jetzt rutscht er langsam vom Sofa herunter und läuft nachdenklich zur Tür. Sehr eigenartig, wo doch noch Kaffee in der Kanne ist und eine letzte Zimtschnecke darauf wartet, endlich verspeist zu werden.

 

Yvonne (guckt auf den kleinen schwarzen Maulwurfsrücken): "Wo gehst Du denn hin?"

Maulwurf (bleibt kurz stehen, dreht sich um): "Wie Du gesagt hast: '1. Sich UNGESTÖRT irgendwo alleine hinsetzen oder herumlaufen'....."

 

Dann geht er weiter, verlässt den Raum. Bald darauf höre ich seine Stimme aus dem Nebenzimmer. Er diskutiert eifrig mit sich selbst, wie es scheint. Gut so. Er wird wieder Mut fassen und einen Weg finden. Ich esse die einsame Zimtschnecke und trinke noch einen Kaffee.

 

***

 

Ja, das sage ich Dir: das Selbstgespräch ist eine sehr gute Sache. Es wird zu Unrecht belächelt, teilweise verachtet. So als Zeichen geistiger Verwirrung. Sinnloses Gebrabbel unzurechnungsfähiger Irrer?. Nein. Muss es nicht. Auch das Gegenteil kann der Fall sein.

 

Denn: Es gibt auch das konstruktive, gute Selbstgespräch. Bei Kindern kann man es manchmal beobachten. Sie reden mit sich selber, während sie etwas machen. Das hilft ihnen, sich zu konzentrieren. Sie fühlen sich nicht alleine. Sie lernen dabei auch. Sie "führen" sich selber, leiten sich an, kommentieren ihr Tun,  bestärken sich, lassen Gefühle raus. Das geht doch auch noch, wenn man älter ist. Oder?

 

Sagte doch schon der englische Schriftsteller H. G. Wells: "Interessante Selbstgespräche erfordern einen klugen Gesprächspartner..... " 

 

Na bitte. Probiers doch auch mal aus.

 

Rede mit Dir!

 

 

"Sich ungestört irgendwo hinsetzen....": Pawel im Selbstgespräch
"Sich ungestört irgendwo hinsetzen....": Pawel im Selbstgespräch

 

***

 

Dem sehr ernsthaft zu betrachtenden Versuch der Problemlösungen muss ich doch noch einen kleinen Schlenker hinzufügen. Damit uns an diesem Regentag das Herz nicht zu schwer ist. Weißt Du eigentlich, wann Selbstgespräche anfangen, wirklich bedenklich zu werden? Wenn man dabei täglich Neues erfährt.

 

Das soll natürlich ein Witz sein. Ich hab auch erst mal drüber gelächelt, so beim ersten Hören. Aber dann dachte ich mir, dass das wieder so ein Fehlschluss ist. So ein pseudoschlaulustiger Postkartenspruch, der eigentlich nicht stimmt. Denn wenn ich richtig gut, d. h. ehrlich, konkret, strukturiert mit mir selber rede - dann erfahre ich durchaus Neues. Weil andere Blickwinkel sich erschließen, neue Ideen kommen. Man sich Wege überlegt, Gedanken hat - die vorher noch nicht da waren. Also? Also.