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Alte Fabrik am Seifersdorfer Bahnhof

Geheimnisvoller Ort

 

Heute sind wir an einem alten Fabrikkomplex. Es ist die ehemalige Polsterfabrik in Seifersdorf bei Dippoldiswalde. Gleich am kleinen Bahnhof der Weißeritztalbahn liegt sie.

 

Lange schon verlassen, entwickelt das Areal den Charme des "Lost Place". Orte, die eine belebte, wechselvolle Vergangenheit haben und irgendwann aus verschiedensten Gründen aufgegeben wurden, die nennt man so. Weltweit gibt es eine große Fangemeinde, die dem morbiden und etwas traurigen Charme dieser Orte erliegen.

 

So wie ich. 

 

 

Dieser Gebäudekomplex hinter dem Bahnhof Seifersdorf war einst ein Bestandteil des VEB Kombinat Polstermöbel Rabenau-Oelsa, der für den Export beispielsweise auch Möbel für IKEA herstellte. Wem diese Fabrik vorher gehörte, wer hier in alter Zeit an dieser Stelle die Wasserkraft des Flusses nutzte - das weiß ich nicht.

 

Gleich nebenan liegt das Grundstück der ehemaligen Stuhlfabrik Tietze und Legler, aber dazu hat unsere alte Fabrik auch vor 1945/49 scheinbar nicht gehört. 1991 wurde das Werk gemeinsam mit zwei anderen Produktionsstätten Bestandteil der Dresdner Polsterwerke GmbH, bevor man in Seifersdorf die Produktion einstellte und das Werk schloss. 

 

 

Seitdem verfällt es. Das Grundstück liegt unterhalb der Talsperre Malter direkt an der Roten Weißeritz und ist damit stark hochwassergefährdet. Im Sommer 2002 beim großen Hochwasser war es sehr schwer betroffen. Niemand will diesen Komplex haben. Erben wiesen das Anwesen zurück, so gehört es jetzt dem Freistaat Sachsen.

 

Alte Polsterfabrik Seifersdorf im Hintergrund (Foto: www.fotocommunity.de / Lutz68)
Alte Polsterfabrik Seifersdorf im Hintergrund (Foto: www.fotocommunity.de / Lutz68)

 

Mehr Glück hatte das Möbelwerk in Rabenau, das früher auch zum selben VEB gehörte. Es produziert heute unter dem Namen Polsterwerke Oelsa GmbH gefragte und hochwertige Sitzmöbel, vorrangig für große Möbelhäuser. Falls Dich die wechselvolle Geschichte dieses alten Möbelproduzenten interessiert, findest Du einen Artikel der FAZ darüber am Beitragsende hier hinter dem Button.

 

Schlafcouch aus den Polsterwerken Rabenau-Oelsa, Werbung Ende der 1950er Jahre (www.faz.net)
Schlafcouch aus den Polsterwerken Rabenau-Oelsa, Werbung Ende der 1950er Jahre (www.faz.net)

 

Wahrscheinlich werden die Gebäude in Seifersdorf irgendwann abgerissen und das Gelände als Überflutungsarreal der Roten Weißeritz zurückgegeben.

 

 

Eine ganze Weile sind wir an der alten Polsterfabrik.

 

Der Ort selbst verrät manches durch seinen Aufbau, ältere und neuere Gebäude, Ruinen. Liegengebliebenes. Eine alte Blechabdeckung, eine Transportrolle.

 

Anderes spielt sich im Kopf des Betrachters ab. Diese Fabrik war mal ein lebendiger Ort.

 

Ziel für viele Menschen, die hierher zur Arbeit kamen, Verantwortung trugen oder gerade erst eine Lehre begannen. Da wurde diskutiert, gestritten, produziert, repariert, gespart, geklaut, geplant und verworfen, Werkzeug gesucht ( der 13er...), zu lange Pause gemacht und auch fette Überstunden, wenns sein musste. Auch ver- und entliebte man sich, es wurde heimlich gelächelt und auf dem Klo geheult und danach die Zähne zusammengebissen. Alles wie immer und überall.

 

Auf jeden Fall hatte man hier ab und zu mit Hochwassern zu kämpfen seit alters her. Mit der Enteignung nach dem zweiten Weltkrieg, mit Republikflucht der Werktätigen oder mit einer unnachsichtigen Kombinatsleitung durch hohe Genossen. Hoffentlich stand man zueinander, wenns wirklich drauf ankam. Wie viele Leute der Belegschaft blieben übrig, als man 1991 die GmbH gründete, wie schlimm war das endgültige Aus für sie dann später?

 

***

 

Wieviele Mädchen und Frauen standen hier ihren Mann? Waren Lehrlinge, Kranführer, Näherin, Meister, Packer, Schichtleiter, Köchin, Ingenieure, Hauptbuchhalterin oder Büroangestellte? Dass sie Frauen waren, wussten sie selber.

 

Sie arbeiteten, gingen Partnerschaften ein, zogen Kinder groß. Sie kamen zur Schicht, zum Kindergarten, zum Elternabend, auf den Tanzboden, in den Kreissaal. Standen bei Konsum und HO an, freuten sich über ein schönes Kleid, enge Jeans, einen modernen Lippenstift, Pamoliveseife, Jacobs Kaffee, Ölsardinen, Ananas in der Dose und Feinstrumpfhosen.  Am Frauentag feierte man und betrank sich gelegentlich. Man träumte vom Westen und guckte Dallas und Denver-Clan, Empfang vorrausgesetzt. Manche auch "Scheibenwischer" und "Tagesthemen". Kein Mensch sprach von Work-Life-Ballance oder genderte Berufsbezeichnungen. Dumme Sprüche, ein Klaps auf den Po waren Alltag. Aber auch Anerkennung und Zusammenarbeit auf Augenhöhe. 

 

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Das alles und viel mehr - lässt sich denken. Man kann aber auch (natürlich vorsichtig, mit festen Schuhen und Kopfschutz) in der Ruine sitzen und einfach nur der Roten Weißeritz zuhören. Sie murmelt und plätschert unschuldig, aber wir kennen die Unberechenbare.

 

Viel hat sie uns zu erzählen....

 

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Natürlich mit dabei: Pawel.

 

Als Maulwurf ist er der beste Lost-Placer überhaupt.....Außerdem will er wissen, wann wir endlich mal wieder Ölsardinen essen.