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Das unbekannte Schloss (1)

Realer Zauber und Euphrosinas Himmelblau

 

Heute entdecken wir das kleine Schloss Reichstädt, das wirklich nicht jeder kennt. Nahe der Stadt Dippoldiswalde steht es im Dorf Reichstädt abseits der Hauptstraße, "Am Schloss 1". Eine schöne Adresse.

 

Wir wollen es erkunden, heute zunächst von außen. Denn hinein darf man nur am Sonntag Nachmittag. Sehr vornehm, wie es sich für so eine kleine Hoheit gehört.

 

Wir kommen am Schloss an. Gleich fällt auf, in welch gutem Zustand es ist. Viel Arbeit, viel Liebe und viel Geld stecken darin.

 

Man sieht die 2 Türme und die U-förmige Bauweise. Der Haupt- und die zwei Seitenflügel bilden einen grün bepflanzten und heute sonnigen Hof. An das Hauptgebäude schließt sich ein Park an. Eine an den Beeten des Schlosshofes arbeitende Dame macht uns darauf aufmerksam: Nachdem sie uns gesehen hat, unterbricht sie ihre Arbeit und begrüßt uns im Schlosshof. Sie ermuntert uns, ruhig in den sehr schönen Park zu gehen und an einem Sonntag doch mal zur Führung zu kommen. Das werden wir machen.

 

Dann verabschieden wir uns und umrunden das Schloss. Gleich aber machen wir uns noch paar Gedanken zur Schlossgeschichte. Was hier wohl schon so alles passiert ist im Laufe der Jahrhunderte? Faszinierend, wenn man sich vorstellt, wieviele Menschen hier in vergangener Zeit lebten. Herrscher und Diener, Reiche und Arme. Ich denke an ein Weihnachten im Schloss zum Beginn des 20 Jahrhunderts, an Kinder, die hier auf die Welt kamen und Menschen, die hier aus dem Leben gingen. An Neuerungen, die Einzug hielten und sowohl Begeisterung als auch harte Ablehnung hervorriefen. Z. B. die Elektrifizierung, das Auto, das Telefon, die kürzeren Röcke der Frauen und ihe Bubiköpfe in den 1920er Jahren.

 

Wir wissen schon, dass das Schloss heute wieder der alteingesessenen sächsischen Adelsfamilie von Schönberg gehört, die es nach der Wende wieder erworben hat, nachdem es 1945 enteignet wurde. Seit Anfang des 18. Jahrhunderts ist das Anwesen in Schönbergschem Besitz gewesen. Schlimm muss für die Familie die Vertreibung nach dem zweiten Weltkrieg gewesen sein.

 

Forschen wir nach:

 

Schloss Reichstädt / Malerin: Bärbel (Quelle: http://amea-schreibt-gedichte.de/die%20k%C3%BCnstlerin.html)
Schloss Reichstädt / Malerin: Bärbel (Quelle: http://amea-schreibt-gedichte.de/die%20k%C3%BCnstlerin.html)

Wikipedia weiß etwas darüber:

 

"Die Ursprünge des Schlosses gehen auf ein Rittergut zurück, das in Reichstädt wahrscheinlich schon seit dem 13. Jahrhundert bestand. Bereits 1336 wurde ein Herrensitz der Herren von Reichenstadt erwähnt. 1503 erwarb es der Bergherr Sigismund von Maltitz, der 1507 durch die Erfindung des Nasspochwerkes zu Wohlstand gelangte. Unter seinem Nachkommen Heinrich von Maltitz wurde das Rittergut 1535 zu einem Wasserschloss umgebaut. Von diesem Umbau zeugt der im Stil der Renaissance erbaute Ostflügel mit seinem Rundturm. Insgesamt liegen aber wenig Informationen aus dieser Phase der Schlossgeschichte vor. Aus einer Vermessungskarte von 1570 wird lediglich deutlich, dass die Anlage aus einer Ansammlung zweigeschossiger Gebäude bestand, die von einem Wassergraben umgeben waren.

 

1569 ging das Anwesen in den Besitz des sächsischen Kurfürsten August I. über, der es als Jagdschloss nutzte. Im Dreißigjährigen Krieg wurden Schloss und Wirtschaftsgut 1632 von Truppen Heinrich von Holks teilweise zerstört. Ab 1639 erfolgte der Neuaufbau unter dem Hofmarschall und Amtshauptmann Heinrich von Taube, der die Anlage von Kurfürst Johann Georg I. als Schenkung erhielt. 1682 ging das Schloss durch Verkauf in den Besitz derer von Nostitz über. 1717 verkaufte Gottlob von Nostitz Schloss Reichstädt an seine Schwester Charlotte Christiane von Nostitz, die Frau von Caspar Abraham von Schönberg (1680–1763) auf Maxen und Wittgensdorf. Damit gelangte Reichstädt in die Hände der sächsischen Adelsfamilie von Schönberg, die das Schloss bis 1945 besaß und seit 1998 erneut in Besitz hat....

 

In den folgenden Jahrzehnten begann eine Nutzung des Schlosses für kulturelle Zwecke u. a. als Kindergarten, Schule sowie Pionier- und Kulturhaus sowie als Wohnhaus. Für die neuen Nutzungen erfolgten im Inneren teils erhebliche Umbauten, äußerlich blieb das Schloss in seiner Grundsubstanz aber erhalten. Nach der Wende stand die Anlage zeitweise leer, bevor sie 1998 für einen Kaufpreis von 30.000 DM von Dr. Ilse von Schönberg erworben wurde und somit wieder in den Besitz der von Schönbergs zurückkehrte.

 

Schloss Reichstädt
Schloss Reichstädt

 

Heute nutzt man das Schloss für Hochzeiten und andere Feste, Konzerte, Lesungen und Führungen. Es gibt einige liebevoll restaurierte Gästezimmer, worin man nach Anmeldung auf der Schlosswebsite übernachten kann. Und man sieht auch, das es Wohnungen in dem Gebäudekomplex gibt. Leiser Neid erfasst mich, würde ich doch auch gerne hier wohnen. Es ist wirklich wunderschön.

 

Und ganz still, an diesem Sommersamstagnachmittag. Sonne und Wolken wechseln, es weht ein warmer Wind. Perfekt. Kein Lärm stört die Idylle.

 

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Komm, wir gehen einmal ringsherum um Schloss Reichstädt. Wir fangen an der Allee an, die von der Dorfstraße hinauf führt zum herrschaftlichen Anwesen. Bestimmt war das die Schlossherrin Ilse von Schönberg, die wir vorhin kurz getroffen haben. Wir sehen sie gerade von weitem mit einer Schubkarre. Denn diese Dame baut gern und legt mit Hand an in ihrem Schloss. Gleich mehr.

 

Die Sächsische Zeitung schreibt am 29. August 2007:

 

"1989, als Ilse von Schönberg im Rahmen eines Familientreffens aller Schönbergs in Dresden das Schloss zum ersten Mal sieht, löst sich der graue Putz in großen Flatschen von den Sandsteinwänden. Innen herrscht der „Charme der karierten Gardinen und Rohre durch alle Zimmer“, erinnert sie sich. Aber es ist Leben in der Bude: Das Anwesen dient als Pionier- und Kulturhaus. Der Festsaal, seines Rokokogemäldes an der Decke beraubt, ist Kino und Tanzsaal.....

 

Der Radebeuler Burgenspezialist Raimund Adam bezeichnet den Zustand des Schlosses als „rettbar“. Aber keiner denkt damals, im Sommer vor der Wende, dass sich die Schönbergs aus dem Westen für ein Kreispionierhaus im Osten engagieren werden. „Der Gedanke war absurd“, sagt Ilse von Schönberg. Aber 1994, als sie im Rahmen der 675-Jahrfeier des Ortes erneut nach Reichstädt kommt, ist alles anders. Die Kinder sind ausgezogen, die Gemeinde hat das Schloss in die Obhut des Landkreises gegeben, der einen Käufer sucht. 1,4Millionen D-Mark will das Amt an der Immobilie verdienen.

 

Die promovierte Theologin Ilse von Schönberg, 1943 in Dresden geboren, winkt ab: „Ich wohnte im Südschwarzwald und hatte dort eine Superstellung als Schuldekan für den Religionsunterricht. Was sollte ich im 730 Kilometer entfernten Reichstädt?“ Aber als Ottfried von Schönberg, der damalige Senior des Familienbundes, Schloss Reichstädt als „nicht haltbar“ abschreibt, regt sich in der lebenslustigen Frau Widerspruch. „Ich habe erst einmal ein Fragezeichen gesetzt“, sagt sie. Um vier Jahre später das Schloss zu kaufen. Weil es sonst keiner will, ist der Preis jetzt Verhandlungssache. Ilse von Schönberg zahlt 30000 Mark.

 

Nach 53 Jahren Unterbrechung ist Reichstädt wieder in Besitz der Familie, auch wenn Ilse von Schönberg mit dem 1945 enteigneten Hans von Schönberg nur weitläufig verwandt ist. Weil sie in der Region keine Anstellung als Religionslehrerin findet, bleiben ihr zunächst nur die Schulferien, um das Schloss zu sanieren. Oft helfen ihre drei Kinder mit, aber Reichstädt ist vor allem das Ding ihrer Mutter.

 

 

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„Ich baue leidenschaftlich gern“, sagt die 64-Jährige, die lange Jahre Pfarrerin war. „In meinem Beruf hat man keine sichtbaren Erfolge. Aber wenn ich eine Wand anstreiche, dann sehe ich das sofort.“ Mit ihrem Mann saniert sie in Hessen Teile einer Burg, im Südschwarzwald ein altes Bauernhaus.

 

Nun restauriert sie allein das Schloss Reichstädt, das 2800 Quadratmeter Nutzfläche hat, Zimmer um Zimmer, Fassade um Fassade, Türmchen um Türmchen. Ganz behutsam: „Ich höre auf die Botschaft des Raumes.“ Und sie macht immer nur so viel, wie ihr Geld reicht. Das hat sie von Kind auf gelernt: „Wir waren Flüchtlinge und mussten jeden Pfennig umdrehen.“

 

Nach neun Jahren ist mehr als die Hälfte des Schlosses erneuert. Ilse von Schönberg vermietet Wohnungen und die schönsten Räume für Feste wie Hochzeiten. Die Gäste übernachten in Zimmern, das Brautpaar in einer der vier Suiten. Ilse von Schönberg hat sie nach berühmten Bewohnern des Hauses benannt: dem russischen Zaren Alexander, der Erzherzogin Maria Theresia von Österreich, dem Generalpostmeister von Schönberg und nach Euphrosina, der Frohsinnigen, die wegen ihres Blaus örtliche Unsterblichkeit erlangte.

Ilse von Schönberg, so viel ist gewiss, wird als Retterin des Schlosses Reichstädt in die Geschichte eingehen. Eine „Ilse-Suite“ soll es deshalb in naher Zukunft trotzdem nicht geben. Aber wer weiß schon, was in hundert Jahren ist."

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Jetzt hast Du einen ersten Eindruck von dem kleinen Schmuckstück. Familie von Schönberg, vor allem Frau Ilse, hat hier viel bewirkt und dieses historische Anwesen für die Nachwelt erhalten.

 

Und für uns heute Lebenden natürlich. An einem der folgenden Sonntage werden wir wiederkommen und eine Führung hier mitmachen. Sie ist für maximal acht Leute gedacht, was einen angenehmen Charakter des Ganzen verspricht. Ich freue mich schon auf die schönen Säle und Zimmer, geheimnisvolle Winkel und Treppen, tiefe Küchen und Gewölbe.

 

Und auf die hellblauen Zimmer von Euphrosina.

 

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Euphrosina Maria Magdalena von Schönberg, geborene Burani war eine Italienerin, die es durch Heirat Ende des 19. Jahrhunderts nach Reichstädt verschlagen hatte. Sie wohnte nun im Schloss und liebte die Farbe himmelblau. Wahrscheinlich erinnerte sie das an ihre italienische Heimat, den unglaublichen Himmel dort und das Meer. Bestimmt hatte sie Heimweh und meckerte manchmal über das deutsche Wetter. Deshalb ließ sie das gesamte Schloss himmelblau streichen. Kann ich gut nachvollziehen und sehe Euphrosina vor mir, wie sie, schön und schwarzhaarig, mit einem Glas Rotwein (oder einem Kaffee....) vor ihrem blauen Anwesen sitzt und sich freut. Schliesslich bedeutet ihr Name soviel wie "die Frohsinnige". Bestimmt haben manche Einheimische über sie den Kopf geschüttelt. Hoffentlich war ihr das wurscht. Zu Ehren dieser fröhlichen Dame gibt es heute eine Euphrosina-Suite im Schloss. Euphrosina starb 1912.

 

 

 

 

Der Maulwurf ist natürlich wieder mit, neugierig wie immer. Er fragt mich gerade, ob man hier wohnen kann ...Wir sind gespannt auf das Schlossinnere und freuen uns auf die Führung. Vielleicht erfahren wir dann auch mehr über Lady Euphrosina. Auf jeden Fall haben wir bald Neues zu berichten.

 

Vom Schloss Reichstädt.

 

Maulwurf im Schlosshof
Maulwurf im Schlosshof