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Mensch und Maulwurf: ein Dialog (1)

Heute: Warum wir miteinander reden

 

Pawel der Maulwurf und ich sind ein Team. Hier in der Täterwerkstatt und auch sonst. Viele andere Personen gehören zu unserem Umfeld. Familie, Kollegen, Nachbarn, Freunden, Zufallsbekanntschaften. Mit allen kann ich sprechen, mich austauschen, diskutieren. Lob, Kritik und Gleichgültigkeit erfahren. Liebe und Abneigung.

 

Ab und zu brauche ich aber ein anderes Gegenüber. Und das ist eben bei mir der Maulwurf, den Du schon lange kennst. Pawel.

 

Ich sage zu ihm immer: "Wenn mehr Menschen einen Maulwurf hätten und mit dem reden würden, dann wäre die Welt ein besserer Ort." Und das ist wirklich so.

 

Nun kann jemand der Meinung sein, dass man sich spätestens im Grundschulalter das Sprechen mit Kuscheltieren oder sonstiger unbelebter Materie abgewöhnen sollte. Denn sonst hat man neben dem Maulwurf auch noch einen Vogel. DAS "ist doch nicht normal." Nun ist erstens die Frage, was oder wer eigentlich normal ist und zweitens, wen das interessiert. Und drittens, ob der Maulwurf immer ein Maulwurf sein muss. 

 

Dazu habe ich mit jemandem gesprochen, der es wissen muss. Dem Maulwurf. Hier unser erstes Interview. (Aus Termingründen haben wir das Gespräch vor dem Urlaub des Maulwurfs aufgezeichnet.)

 

Ich: "Hallo Pawel." 

Pawel: "Hallo Yvonne."

Ich: "Ich möchte heute mit Dir gerne über Kuscheltiere, Glücksbringer und Menschen sprechen."

Pawel: "Gerne doch."

Ich: "Manche Menschen sprechen mit ihren Stofftieren oder ihrem Talisman. Andere wieder finden das absurd, lächerlich oder sogar krankhaft. Es ist von Autismus, Borderline und Persönlichkeitsdefiziten die Rede. Was sagst Du dazu?"

Pawel: "Wenn Worte klar und laut ausgesprochen werden, dann klären sich auch die Gedanken. Worauf man sich dabei konzentriert, wen oder was man anspricht oder ob man ein Selbstgespräch führt, ist doch eigentlich egal, oder? Ich meine, Du kannst auch mit der Wand reden. Und das ist hilfreich. Wissen nur viele nicht."

Ich: "Ist es nicht besser, wenn der Mensch mit einem anderen Menschen spricht? Und sich an Widerspruch und Kritik gewöhnt?"

Pawel: "Es gibt keinen Menschen, der ein Geheimnis so gut bewahren kann wie ein Maulwurf. Oder eine Wand. Beide können auch sehr kritisch sein, vorausgesetzt, man redet ordentlich mit ihnen....."

Ich: "Ok. Das sind zwei gute Argumente."

Pawel: "Außerdem schließt das eine das andere ja nicht aus. Würdest Du nur mit mir sprechen und mit sonst keinem, dann fände ich das schon bedenklich und würde es Dir auch sagen ....."

Ich: "Aber dem ist ja nicht so."

Pawel: "Nein, wirklich nicht. Manchmal redest Du eher zu viel, auch mit anderen. Du merkst dann gar nicht, dass Dein Gegenüber uninteressiert oder genervt ist oder Dich gar nicht versteht."

Ich: "Stimmt. Und Du? Nerve ich Dich auch?"

Pawel:(Lacht) "Ich kann damit umgehen. Und ich, rege ich Dich manchmal auf?"

Ich: "Niemals."

Pawel:...

Ich: "Ein bekannter Gelehrter, Erasmus von Rotterdam, hat mal gesagt: "Die höchste Form des Glücks ist ein Leben mit einem gewissen Grad an Verrücktheit.""

Pawel: (überlegt eine Weile) "Wann hat der denn gelebt, der Erasmus?"

Ich: "Ende des fünfzehnten, Anfang des sechzehnten Jahrhunderts".

Pawel: "Ok. Ja, damit hat er recht. Vielleicht war der Erasmus ein Instandhalter. Oder bei der QS oder ein Konstrukteur...."

Ich: "Nein, Du irrst hier. Er war Priester und Theologe."

Maulwurf: "Aha. Auch in anderen Sparten gibt´s halt schlaue Leute."

Ich. "Na sicher doch. - Da sind wir uns also einig - Du und ich. Wir sind nicht gestört und unsere Gespräche sind gut für unsere geistige Klarheit."

Maulwurf: (kichert erst und nickt dann ernsthaft) "Auf jeden Fall!"

Ich: "Vielen Dank für das aufschlussreiche Gespräch."

Maulwurf: "Sehr gerne. Sind wir jetzt fertig? Wann gibts hier eigentlich endlich Kaffee?"

Ich: "Hier, bitte. Schwarz und stark, wie ein Maulwurf. Und sogar mit Karamellaroma...".

Maulwurf: (schlürft begeistert und verdreht die Augen) "Dankeschön...."