Heute. Hier. Jetzt. Selber. Unbedingt.
Der Tag, als ich fliegen lernte - an den erinnere ich mich ganz genau.
In einem längst vergangenen Sommer rannte ich einen sehr langen Feldweg hinunter. Weit konnte man ringsum in die Landschaft gucken. Nur Himmel, Feld, Wiesen, sehr weit weg Wald. Ich hatte Rückenwind. Immer, immer schneller rannte ich, breitete die Arme aus und bewegte sie auf und ab. Keine Bäume oder Büsche störten am Wegesrand. Der Wind war kräftig und machte Flattergeräusche in der Luft. In beiden Händen trug ich je ein Bündel langes Beifußkraut. Fest umfasste ich die. Damit gedachte ich, mit meinen Armen plus Krautsträußen etwas Flügelähnliches zu bilden.
Denn ich wollte fliegen. Heute. Hier. Jetzt. Selber. Unbedingt.
Ich rannte und sprang in langen Schritten in die Luft. Es fühlte sich fantastisch an. Immer schneller und weiter raste ich. Der Wind schob. Mein Herz schlug heftig. Und da ------ ...flog ich... -. Es fühlte sich unglaublich gut an.
In dem Moment wusste ich, dass mir schon wieder ein Wunder passierte, jetzt gerade. Und dass es auch schon wieder keiner glauben würde. Aber das war mir ziemlich egal.
Nicht aus Erfahrung, Resignation oder Bösartigkeit. Für das alles war ich noch viel zu jung, gerade mal sieben, acht Jahre alt. Nein, das war was ganz anderes: ein Empfinden, dass mir etwas ganz Besonderes, ganz Unglaubliches und Schönes passierte. Und das reichte. Applaus und Fragen unnötig, im Moment schon gar nicht und später auch nicht.
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Denn: Wenn man tief tauchen kann und fliegen. Wenn manchmal die Tiere oder Pflanzen mit einem sprechen. Wenn das Summen von Insekten, das Schnattern der Vögel, das Innere der Steine, der Duft der Wiese, in der man liegt und die eigenen Gedanken zusammen eine ganze fantastische Welt bilden. Wenn das alles so ist, dann braucht man kein Publikum.
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Noch oft "flog" ich diesen Berg herunter.
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Manchmal denke ich mir, ich sollte es heute mal wieder versuchen. Langes Beifußkraut gibts immer noch, der Weg lässt sich finden, ich selber bin auch noch da. Ich glaube fest daran, dass ich es noch kann.
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Der Maulwurf betrachtet mich erst skeptisch und nickt dann. Als Erdtier ist er ja auch, genau wie der Mensch, nicht unbedingt fürs Fliegen gemacht. Andererseits ist er neugierig und zudem sehr solidarisch. Was mich betrifft. Unsere aerodynamischen Vorraussetzungen sind zwar nicht ideal, aber Hummeln können schließlich auch fliegen. Pawel schlägt vor, es ganz zeitig am Morgen auszuprobieren. Im Sommer früh um vier, wenn noch keiner groß unterwegs ist. Ich glaube ja, er hat Angst, dass uns jemand sieht. Wie wir beide mit großen Krautsträußen fuchtelnd so schnell wir können den Bergweg runterrennen. Bei starkem Rückenwind. Fürchtet er etwa negative Konsequenzen?
Egal.......
Was interessiert uns das Geschwätz der Anderen, wenn wir doch wissen, dass wir fliegen können? Also bitte.
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Meine Flügel waren wie gesagt immer aus Beifußkraut, das wohlriechend und manchmal bis mannshoch am Wegrand wächst.
Zerreibt man dessen Blätter und dicke Blüten zwischen den Fingern, riecht es würzig und gut. Man verwendet dieses Kraut außer zum Fliegen auch noch zum Kochen, z. B. für die Zubereitung eines Entenbratens oder für Wild. Der Beifuß ist eine Heilpflanze und wirkt wärmend und entkrampfend. Auch für und gegen Hexerei wurde er eingesetzt. Sieht schön aus, das dunkle Grün. Ich stelle manchmal ein paar Zweige Beifuß in die Vase, alleine oder als "Auffüllung" für Blumensträuße.
Die Pflanze gehört zur Gattung Artemisia. Artemis nun wieder ist in der griechischen Mythologie die Göttin der Jagd, des Waldes, der Geburt und des Mondes sowie die Hüterin der Frauen und Kinder. Und die Herrin der Tiere.
Dann kann uns ja nichts mehr passieren. Auf gehts.
