· 

Glücklich im Moment

T. will das totale Glück

Am Wasser sitzen und es sein: glücklich im Moment
Am Wasser sitzen und es sein: glücklich im Moment

 

Mein Freund T. und ich, wir diskutierten eines Tages  über das Glück.

 

Ein schöner Spätsommertag Ende September vor ein paar Jahren, sehr warm und doch schon mit einem Anflug Herbst. Uns beiden ging es gut. Jeder hatte so seine aktuellen Schwierigkeiten, aber das hindert mich zum Beispiel nicht (mehr) daran, glücklich zu sein in dem Moment.

 

T. verstand das nicht und sah es für sich ganz anders. Erst, wenn alle grundlegenden Probleme in seinem Leben geklärt wären, dann könne - nein - wolle er glücklich sein. Das war sein Anspruch. So hatte es zu sein. Und nein, so richtig freuen konnte er sich nicht über die knallroten Dalien am Gartenzaun, weil es doch weiterhin Problem XYZ gibt.

 

Ich lachte und verstand, was T. meinte. Dann sagte ich ihm, dass er wohl das Glück erpressen wolle, was nie gut sei. Er: ???

 

Da ich ein paar Jahre älter bin als er, darf ich mich - nur ab und zu mal - wie die große Schwester benehmen.... Ich erklärte ihm jetzt meine Erfahrung damit. Die musst Du nicht teilen und T. auch nicht. Drüber nachdenken kann man schon.

 

***

 

Es gibt grundlegende Dinge, ohne die wird es sehr schwer, jemals wieder glücklich zu sein. Das Betroffensein von schwerer Krankeit und Tod in der Familie, Leben in Krieg und Vertreibung, Gegenwart von Gewalt und Angst, Verlust eigener Sicherheit.

 

In unserer Diskussion waren T. und ich einig: Darum geht es hier nicht. Wir setzen also in dem Moment die Abwesenheit schwerster Katastrophen vorraus. Denn sonst ist es wieder eine andere Geschichte. Jeder braucht seine Basis. Bei mir ist es das Wissen, das es meinem Sohn, meiner Familie gut geht.

 

***

Also, was hab ich nun zu T. gesagt?

 

Wenn Du schon eine innere Checkliste hast, worauf die Punkte alle abgearbeitet sein müssen, wenn es Dir gut gehn soll - ok. Mancher hat eine solche, andere nicht. Nur sollten das auf der Liste dann Dinge sein, die von Dir und nur von Dir selber abhängen. Und nicht von anderen. Außerdem kann man sich zwar was abverlangen, aber auch was gönnen.

 

Macht man sich abhängig, ist man nie wirklich glücklich. Außer einem Sklavenglück. Das des armen Hundes, der gerade mal nicht getreten wird.

 

Das, denke ich, sind die zwei wichtigsten Aspekte, denen die Listenpunkte entsprechen sollten:

 

1. Unabhängigkeit der Ziele von nicht beeinflussbaren Faktoren

2. Überschaubare Anzahl von Aufgaben

 

Was also nicht auf der Liste stehen darf:  M. soll mich dauerhaft lieben. In meinem Job muss alles perfekt laufen. Nebenbei werde ich 1000 Zusatzaufgaben erledigen.

 

Ja, klar. Weil der Tag 30 Stunden hat und man mit Superkräften ausgestattet ist - oder wie? Und wer braucht schon Schlaf. Schon Geschäftsführer Herr W.. sprach vor vielen Jahren: "Ruhezeiten? Wozu das denn! Schlafen könnt Ihr noch genug, wenn Ihr tot seid." Allerdings schätze ich, dass Herr W. auch nicht besonders glücklich war....

 

***

 

Und Du? Hast Du auch so eine "Glücksbedingungsliste"? Stehen darauf zu viele Dinge und außerdem die falschen?

 

Die falschen: Zum Beispiel Perfektion im Job oder in der Partnerschaft. Da kann man selbst viel tun, aber es hängt immer auch etwas von anderen Menschen ab. Das heisst, das kann ich letzlich nicht beeinflussen. Also weg damit von dieser Liste. Ich muss glücklich sein können, auch wenn M. mich nicht liebt und mein Chef mich anschreit und mein Arbeitsteam Mist gebaut hat und ich Schulden habe. Wobei es schön und erstrebenswert ist, wenn alles funktioniert. Aber es sind keine Glücksbedingungen. 

 

Zu viel: Überhäufe ich mich mit zwar machbaren Aufgaben, aber immer mehr, immer zuviel? So dass man nie zufrieden sagt: "Jetzt habe ich den ollen Schweinekeller entrümpelt, da kann ich auch mal ein Eis essen gehn und mit der Katze in der Sonne rumsitzen." Nein, nach dem Keller kommen der Boden, die Garage, die Laube von Tante Klara und, und, und. Nie ist man damit fertig, weil man sich zuviel aufbürdet. Nie ist man zufrieden. Mit sich.

 

***

 

Natürlich ist man niemals fertig. Das ist auch gut so, sonst ist man nämlich wahrscheinlich tot.

 

Leben bedeutet Unfertigsein, damit man immer noch was zu tun hat.

 

Sonst würde man eines Tages früh aufwachen und hätte schon alles. Man wäre auch schon alles. Jegliche Aufgaben wurden erfüllt, alle Ziele erreicht. Man ist gesund, gutaussehend, wohlhabend, weise, gebildet und durchtrainiert. Sämtliche Keller und Papiere sind auch aufgeräumt..... Und dann? Pustekuchen. Siehste. 

 

Die Kunst besteht darin, im Nichtfertigen glücklich zu sein. Sich zu sagen: "Niemals besser als jetzt."

 

Wenn man das Baby auf dem Arm hat und es riecht gerade nach Milch, Babycreme und Vanille. Wenn man das erste Mal im Jahr im noch kalten See schwimmt und am aufblühenden Flieder schnuppert. Wenn man mit jemandem zusammen ist, den man sehr gerne mag. Wenn man sich über eine gelungene Arbeit freut. Über die Aussicht auf vorbeiziehendes Land aus dem Zugfenster. Über ein neues Kleidungsstück, ein gutes Essen, das Lächeln und das freundliche Wort eines Anderen. Oder einen heißen Kaffee trinkt, während das Feuer im Ofen prasselt.

 

Innehalten.

 

Und trotzdem immer noch was vorhaben. Die Abwechslung von Aktion und Ruhe, zwischen Pflichten und Muße. Nicht hetzen, nicht träge sein, sondern Maß halten.

 

***

 

Jeder Mensch hat ein Wort, eine Redewendung, die er oder sie auf ganz typische, eigene Weise, mit einer speziellen Geste, verwendet. Was ihn liebenswert und besonders macht für den aufmerksameren Teil seiner Umwelt.

 

T. sagte immer, um etwas besonders zu betonen: "Und DAS meine ich ernst!!!" Dann war es kurz still, wir haben uns angeguckt und sehr gelacht. Jedes Mal. Auch bei dieser Glücksdiskussion. Ich glaube, er weiß jetzt, was ich meine.

 

 

***

 

Für den Maulwurf kein Thema. Er hat sozusagen das Glücks-Gen und muss gar nichts mehr machen, um es zu sein.

 

Glücklich im Moment.