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"Im Sommer lebe ich, im Winter existiere ich"

Hannah Hauxwell auf Low Birk Hatt Farm, Baldersdale

Hanna Hauxwell winkt zum Abschied / Gemälde von Peter Broke (www.twitter.com/@PennineThe)
Hanna Hauxwell winkt zum Abschied / Gemälde von Peter Broke (www.twitter.com/@PennineThe)

 

Dieses Bild des Malers Peter Broke, besser gesagt ein Foto davon, entdeckte ich durch Zufall. Laut Titel des Bildes winkt hier eine gewisse Hannah Hauxwell jemandem zum Abschied. Wer ist Hannah, diese winzige Person auf dem verschneiten Feld ? Gibts hier eine Geschichte ? Ich suchte und fand viel:

 

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Hannah Hauxwell war eine englische Landwirtin. Sie wurde 1928 geboren und wuchs auf der elterlichen Farm in den Dales, einer einsamen Hügellandschaft im englischen Yorkshire auf. Als sie 35 Jahre alt war, blieb sie nach dem Tod der Eltern und eines alten Onkels allein auf der einsamen Farm, zu der 32 Hektar Grundbesitz gehörten. Auf Low Birk Hatt Farm hielt man Rinder. Fließend Wasser aus der Leitung oder elektrischen Strom hatte man hier auch in den 1960er Jahren nicht. Es gab Bach und Fluss unweit des Hauses. Licht spendeten Petroleumlampen. Elektrische Arbeitsmaschinen gab es nicht. Alle Arbeit wurde mit Muskelkraft von Mensch und Tier erledigt.

 

Aber ein batteriebetriebenes Radio hatte die junge Farmerin. Und ein Klavier bzw. eine Heimorgel.

 

Viele Jahre lebte sie für sich und ihre Landwirtschaft. Damit verdiente sie sehr wenig und musste mit einem Viertel des damals in England üblichen Durchschnittseinkommens auskommen. Nur alle paar Wochen fuhr sie in Dorf oder Stadt zum Einkaufen und um sonstige Dinge zu erledigen.

 

Hannah Hauxwell (www.yorkshirepost.co.uk)
Hannah Hauxwell (www.yorkshirepost.co.uk)

 

Aber dann, im Jahr 1972 im Sommer, da war ein einsamer Wanderer in den Dales unterwegs. Ein Freund des Produzenten Barry Cockroft. Dieser Freund nun entdeckte bei seinen Streifzügen in der einsamen Landschaft die Farm von Miss Hauxwell. Er war von dieser sehr einfachen und tapferen Lebensart der Frau beeindruckt. Möglicherweise auch ein wenig erschüttert. Schließlich war man in England, in den 1970er Jahren. Popkultur, Schlaghosen, Fastfood, Kino, Makeup, Musik, Werbung, Fernsehen - die Konsumgesellschaft schillerte bunt bis in die kleinen Ortschaften hinein. Und hier lebte eine Frau einsam und allein in der Pampa, ohne Strom und fließendes Wasser. Unglaublich.

 

Weil der Mann das alles so ungewöhnlich fand, nahm er die Idee zu Barry Cockroft mit. Das Ergebnis waren mehrere Zeitungsartikel und eine Dokumentation für das Fernsehen. Sie hieß "Too long a Winter". Über Nacht wurde Hannah dadurch berühmt. 

 

Menschen in ganz England und im Ausland sahen den Film über die einsame Farmerin und waren begeistert, gerührt, erstaunt. Und teilweise auch entsetzt über die Armut, in der diese Frau lebte. Man schickte Geld und Essenspakete.

 

Nicht nur die Zeitungen schrieben über Miss Hauxwell. Auch Bücher über sie erschienen und waren erfolgreich. Sogar ein Maler, Peter Broke, erfuhr von ihr. Er besuchte oft Low Birk Hatt Farm. Das Ergebnis waren viele Bilder des Anwesens, der Umgebung, der Besitzerin.

 

Auch ein gemeinsames Foto habe ich gefunden:

 

Hannah Hauxwell und Maler Peter Broke (www.yorkshirepost.co.uk )
Hannah Hauxwell und Maler Peter Broke (www.yorkshirepost.co.uk )

 

Hannahs finanzielle Verhältnisse hatten sich sehr gebessert, der Rummel legte sich und sie lebte fast so weiter wie bisher. Aber sie war jetzt nicht mehr arm.  Die Jahreszeiten prägten ihr Leben, die Arbeit auf der Farm. Sie beschrieb es in einem Satz: "Im Sommer lebe ich. Im Winter existiere ich". Manchmal, so erzählte sie, schlief sie in besonders kalten Winternächten bei den Tieren im Stall - um nicht zu erfrieren.

 

Sie erzählt davon, wie sehr sie die Landschaft und die Farm liebt. Dass das hier immer ihr Zuhause ist auf dieser Farm ihres Urgroßvaters, auch wenn sie kein Geld im Portemonnaie hat. Hannah Hauxwalls Mutter war eine gebildete Frau und gab die Liebe zu Literatur und Musik an ihre einzige Tochter weiter. In ihrem stillen Leben musizierte und las die Farmerin für sich und hat daraus sicher viel Kraft geschöpft. Eine Heirat habe sich für sie nicht ergeben, sie hat nicht den Richtigen gefunden. Sie musste allein klarkommen.

 

Miss Hauxwell hatte jetzt Fans in ganz England und darüber hinaus, die ihr Briefe und Geschenke schickten.

 

 

Fast zwanzig Jahre vergingen. Man wollte eine zweite Dokumentation über die nun ältere Farmerin machen. Das war Ende 1988, Hannah war über sechzig. Der Film hieß jetzt "A Winter too many". Denn es war ihr nun langsam zu viel, die ganze schwere Arbeit allein.

 

Sie entschloss sich zur Aufgabe des Anwesens und begann einen neuen Lebensabschnitt. Das fiel ihr schwer, hatte sie doch ihr ganzes bisheriges Leben an diesem Ort verbracht.

 

Aber Hannah war jetzt wohlhabend und hatte Möglichkeiten, die sie auch zu nutzen gedachte.

 

Neues Zuhause in Cotherstone (www.cotherstoneparishcouncil.org.uk)
Neues Zuhause in Cotherstone (www.cotherstoneparishcouncil.org.uk)

 

Die Farm wurde 1989 verkauft, die Tiere wechselten in den Stall eines befreundeten Nachbarn. Und Hannah bezog ein komfortables Cottage in Cotherstone nur einige Kilometer von ihrer alten Farm entfernt.

 

Im Leben der Einzelkämpferin sollte noch eine ganze Menge passieren:

 

In den Jahren 1992 - 1994 bereiste sie in Zusammenarbeit mit einem Fernsehteam die Welt. Sie war in Frankreich, der Schweiz, Österreich, Deutschland und in Italien, wo sie den Papst traf. Und dann kam die Reise in die USA! Mehrteilige Dokus entstanden daraus,  "Innocent Abroad" und "Hannah: USA".

 

 

Zu ihrem 85. Geburtstag erschien ein Interview in der "Yorkshire Post". Darin erzählte sie, dass sie immer noch ein sehr einfaches Leben führe und auch immer noch eine eifrige Radiohörerin sei.

 

 

Dieser sehr schöne Quilt gehörte Hannah ein Leben lang. Er wurde von ihrer Großmutter Elizabeth Bayels angefertigt und ist heute ein Ausstellungsstück des Bowes-Museum.

 

Hannahs Quilt (www.bbc.com)
Hannahs Quilt (www.bbc.com)

 

2016 zog Hannah Hauxwell in ein Seniorenheim in Barnard Castle, später dann in eines in West Auckland. Dort starb sie einundneunzigjährig im Januar 2018. Zu ihrer Trauerfeier kamen hunderte Menschen, um sich von der "Tochter der Dales" zu verabschieden.

 

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Hanna Hauxwell 1979, Gemälde von Peter Broke (www.clark-art.co.uk)
Hanna Hauxwell 1979, Gemälde von Peter Broke (www.clark-art.co.uk)

 

Was wurde eigentlich aus "Low Birk Hatt Farm"?

 

Das Anwesen wurde vom neuen Besitzer modernisiert und ist die Heimat einer neuen Familie geworden. Aus einem Teil der alten Farm-Wiesen wurde ein kleines Naturschutzgebiet namens "Hannahs Meadows".

 

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Ein besonderes Leben.

 

So einfach, so schwer, so einsam, so berühmt, so schön.

 

Hanna Hauxwell schnappt frische Luft / Gemälde von Peter Broke (www.clark-art.co.uk)
Hanna Hauxwell schnappt frische Luft / Gemälde von Peter Broke (www.clark-art.co.uk)

 

Hier die ersten beiden Filme, gedreht auf Hannah Hauxwells Farm: